Homo-Sex-Verbot in den USA? „Alle Dinge, die wir als LGBTI* für wertvoll halten und von denen wir dachten, sie seien in diesem Land sicher, sind nicht mehr sicher!"
Mit Kopfschütteln und einer Mischung aus Verzweiflung und Unglauben nimmt die LGBTI*-Community in den Vereinigten Staaten von Amerika immer bewusster zur Kenntnis, dass nach der Streichung des landesweiten Rechtes auf Abtreibung noch in diesem Jahr nicht nur die gleichgeschlechtliche Ehe, sondern auch einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Sex vom Obersten Gerichtshof in den USA rechtlich gestrichen werden könnte. Passiert dies, würden in rund der Hälfte aller Bundesstaaten nach aktuellem Stand wieder sogenannte “Sodomie“-Gesetze in Kraft treten, die tatsächlich Sex zwischen zwei Männern oder zwei Frauen unter Strafe stellt – ganz zu schweigen von dem Recht auf Ehe. (SCHWULISSIMO berichtete).
LGBTI*-Aktivisten erklären dabei ein ums andere Mal in den letzten Wochen, dass die Tragweite oftmals noch innerhalb der Community verdrängt wird – viele Schwule und Lesben können sich einfach nicht vorstellen, dass ihre Heimat einen dermaßen gigantischen Schritt in die Vergangenheit machen würde. Ausgangspunkt dafür war die Besetzung dreier neuer Richterposten am Supreme Court durch den damaligen Präsidenten Donald Trump, der die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der konservativen Hardliner veränderte - sechs Republikaner stehen jetzt drei Demokraten gegenüber. Nun bestätigte auch Sarah Kate Ellis, Geschäftsführerin und Präsidentin einer der größten LGBTI*-Organisationen des Landes namens GLAAD, wie ernst die Lage aktuell tatsächlich sei. Gegenüber dem Advocate sagte sie mit Blick auf das jetzt gekippte Grundsatzurteil Roe v. Wade, das vor 50 Jahren ein Recht auf Abtreibung in den USA verankert hatte: "Obwohl wir es schwarz auf weiß sahen, konnten wir uns nicht vorstellen, dass ein so wichtiger Präzedenzfall gekippt werden würde." Mit Sarkasmus blickt Ellis so auf die Feierlichkeiten vor wenigen Tagen zum Unabhängigkeitstag: „Während die Bürger die ´Freiheit´ unserer Nation feiern, sind sie gleichzeitig gezwungen, sich mit der Tatsache abzufinden, dass ihre eigene Freiheit widerrufen wurde. Egal, ob man LGBTI*, weiblich oder transsexuell ist, jeder, der körperliche Autonomie für sich beansprucht, ist in Gefahr.“
Ellis, die in Kontakt mit vielen LGBTI*-Organisationen des Landes steht, bestätigt dabei auch, wie sehr die Angst in der queeren Community um sich greift. Es ist zu befürchten, dass der Präzedenzfall Obergefell v. Hodges, der 2015 das Recht auf die gleichgeschlechtliche Ehe festsetzte, gestrichen werden könnte. Doch Ellis mahnt dabei, dass diese Entscheidung eigentlich auf ein noch fundamentaleres Urteil fußt und zwar auf den Fall Lawrence v. Texas, bei dem das Oberste Gericht festhielt, dass Sexualität abseits der reinen Zeugungsabsicht sowie auch zwischen Menschen gleichen Geschlechts allen Bürgern zugestanden werden müsse. LGBTI*-Aktivisten wie Ellis befürchten, dass dieser Präzedenzfall im Fokus der künftigen Angriffe der Richter am Supreme Court liegt: "Wenn sie gegen Lawrence vorgehen, was jede Form einer LGBTI*-Lebensweise kriminalisieren würde, dann müssen sie erst gar nicht mehr Obergefell v. Hodges außer Kraft setzen. Sobald wir als Bürger kriminalisiert werden, ist es zu diesem Zeitpunkt vollkommen irrelevant, ob wir verheiratet sind oder nicht. Ich bin kein Panikmacher, aber ich denke, dass das, was wir in den letzten Jahren gesehen haben - die Trump-Administration, der Aufstand vom 6. Januar und jetzt die Aufhebung von Roe v. Wade – uns zeigt, dass alle Dinge, die wir als LGBTI* für wertvoll halten und von denen wir dachten, sie seien in diesem Land sicher, nicht mehr sicher sind."
Für Ellis sind dabei die Zwischenwahlen im November von zentraler Bedeutung – wenn die konservativen Hardliner massiv an Stimmen gewinnen, könnte ein vollkommen neues und sehr dunkles Kapitel der Vereinigten Staaten von Amerika aufgeschlagen werden. Ellis dazu: "Für uns als LGBTI*-Community ist es von größter Bedeutung, dass wir bei diesen Zwischenwahlen wählen gehen, denn wir müssen die Mehrheit im Senat behalten. Ich verstehe, dass es eine Wahlmüdigkeit gibt, weil es bei jeder Wahl irgendwie um Leben oder Tod geht, aber leider ist das in diesem Land gerade tatsächlich jetzt der Fall, wenn man marginalisiert ist." Alle marginalisierten Gruppen in den USA – von der Frauenbewegung, über LGBTI* bis hin zur Black Lives Matter-Organisation oder den Vereinen für die Rechte für Menschen mit Behinderung – müssen ihre Kräfte bündeln, so Ellis: "Wir müssen alle zusammenkommen und einen umfassenden intersektionellen Plan erstellen, weil alles miteinander zusammenhängt. Inmitten der zunehmend trüben Gewässer und der großen Hoffnung des Landes, dass seine Regierung im Einklang mit seinen selbst erklärten Werten handelt, sollten wir uns auf den Weg machen!“