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Hassverbrechen vs. Redefreiheit
Rubrik

Hate Crime vs. Redefreiheit Schutz vor Hassverbrechen oder doch das Ende der Meinungsfreiheit?

ms - 02.04.2024 - 13:00 Uhr

Was ist Meinungsäußerung und was eine strafbare Aussage, die unter den Passus der Hasskriminalität fällt? Über diese Frage wird weit über die Grenzen Schottlands hinaus aktuell heftig gestritten, denn in dem Land greift seit ersten April der sogenannte „Hate Crime and Public Order Act“. 

Haft für J.K. Rowling?

Die britische Schriftstellerin Joanne K. Rowling (Harry Potter-Romane), die im schottischen Edinburgh lebt, erklärte dazu bereits: „Ich bin zurzeit im Ausland, aber wenn das, was ich hier geschrieben habe, als Straftat im Sinne des neuen Gesetzes gilt, freue ich mich darauf, verhaftet zu werden“, so die Bestsellerautorin via X. Rowling, die öfters gerne pauschal inzwischen als transphob benannt wird, macht sich immer wieder für die Rechte von Frauen stark, spricht sich klar gegen Trans-Frauen in Frauenschutzräumen aus und bekräftigt, dass es nur zwei Geschlechter gibt. 

Unklare Gesetzeslage

Das neue schottische Gesetz gegen Hassverbrechen bleibt genau hier unklar und lässt daher Raum für Interpretationen – neben klar rassistisch motivieren Taten und offenen Aufrufen zu Hass und Gewalt aufgrund von Alter, Behinderung, Religion oder sexueller Orientierung stehen auch Anfeindungen der Trans-Identität unter Strafe. Ist die Benennung der biologischen Zweigeschlechtlichkeit bereits ein solcher Schritt? Laut der schottischen Ministerin für Sicherheit, Siobhian Brown, könne zukünftig bereits das Misgendern strafrechtliche Folgen haben. Eine genaue Definition, was ein Hassverbrechen künftig ist und was nicht, gibt es nicht.

Der Zeit-Autor und Auslandskorrespondent in London, Dr. Jochen Bittner, fragt diesbezüglich deswegen nach: „Es gibt nur zwei Geschlechter. Ein Mann kann keine Frau werden. Der Islam ist keine Religion des Friedens. Sind diese drei Sätze legitime Meinungsäußerungen, oder schüren sie Hass und müssen sanktioniert werden?“

Das Ende der Meinungsfreiheit?

Rowling betonte weiter, dass die Rede- und Meinungsfreiheit am Ende sei, wenn „die genaue Beschreibung des biologischen Geschlechts als kriminell angesehen wird.“ Dem stimmte auch X-Eigentümer Elon Musk online zu und betonte, wie wichtig es sei, sich für die Freiheit der Rede stark zu machen. 

Der britische Premierminister Rishi Sunak bekräftigte, dass seine Partei sich immer für die Redefreiheit einsetzen werde und sicherte Rowling im Ernstfall seine Unterstützung zu: „Menschen sollten nicht dafür bestraft werden, wenn sie einfache biologische Fakten aussprechen.“ 

Breite Front an Kritikern

Zu den weiteren Kritikern gehören zahlreiche andere Prominente, Politiker sowie auch mehrere Polizeigewerkschaften. Der Generalsekretär der Polizeigewerkschaft Scottish Police Federation, David Kennedy, erklärte, die schottischen Polizisten seien dafür gar nicht ausreichend geschult. Polizeipräsidentin Joanna Farrell betonte indes, man wolle versuchen, das Gesetz „mit Augenmaß“ anzuwenden.

Schottlands Regierungschef Humza Yousaf indes verteidigte sein neues Gesetz. Zuletzt war Yousaf mit einem ebenso heftig umstrittenen Selbstbestimmungsgesetz in Schottland gescheitert. Damit das schottische „Hate Crime“-Gesetz ein Erfolg wird, wurden deswegen nun in ganz Schottland über 400 Meldestellen für Hasskriminalität eingerichtet, unter anderem auch in Rathäusern, Universitäten sowie in Einkaufszentren – hier können Schotten ab sofort anonym andere Schotten eines Hassverbrechens bezichtigen. 

Für die zahlreichen Kritiker öffnet auch dieser Schritt Tür und Tor für ein Klima der Angst sowie für ein Denunziantentum. Zeit-Autor Bittner schreibt dazu: „Ein Strafrecht, das die Redefreiheit beschneidet, muss maximal präzise und chirurgisch vorgehen. Ansonsten löst es bei der Bevölkerung die Sorge aus, sich mit Äußerungen zu umstrittenen Themen ins Unrecht zu setzen. Dabei braucht es den Schutz der Meinungsfreiheit nirgendwo so sehr wie auf eben jenen umstrittenen Debattenfeldern. Werden diese zu Zweifelsräumen über das Erlaubte, dann sagt man lieber weniger. Das schadet nicht nur dem gesellschaftlichen Fortschritt, sondern auch der liberalen Demokratie.“

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