Gewalt auf den Prides! Wie sollen wir mit dem Pride-Hass umgehen? Die LGBTI*-Politiker Lehmann, Lenders und Vogler im Gespräch!
In den USA machte sich unlängst bei den Pride-Paraden in New York und San Francisco nebst aller Feierlaune auch immer mehr ein mulmiges Gefühl von Angst breit, denn immer öfter kam es zu angekündigten oder tatsächlichen Angriffen auf demonstrierende CSD-Teilnehmer. Ähnlich zeichnet sich aktuell die Lage auch in Deutschland ab, fast keine Pride-Parade oder CSD mehr, bei denen es nicht zu verbalen oder physischen Attacken kommt.
Direkte Angriffe und Drohungen
Die Vorfälle sind mannigfaltig, manchmal kommt es ganz direkt zu Handgreiflichkeiten oder Beschimpfungen, anderenorts wie zuletzt beim CSD Harz werden LGBTI*-Menschen auf der Straße mit Urin überschüttet, der aus Fenstern gekippt wurde. Immer wieder erlebten CSD-Teilnehmer in diesem Jahr auch bereits Angriffe mit Eiern oder Tomaten.
Auch der CSD in München Mitte Juni verzeichnete eine gestiegene Anzahl von gewaltvollen Vorfällen, wie die Diskriminierungs-Fachstelle Strong! meldete. Es kam dabei einmal mehr zu „Beleidigungen, Demütigungen und Lächerlichmachen“, wobei die Täter „meist Jugendliche oder junge Männer“ gewesen sind, so die Fachstelle in ihrer Presseerklärung weiter. Kurz davor planten drei andere Jugendliche beziehungsweise junge Männer einen Anschlag mit Messern, Sturmgewehr und Fahrzeugen auf die Regenbogenparade in Wien; sie konnten tags zuvor vom österreichischen Staatsschutz glücklicherweise festgenommen werden.
Angriffe machen wütend und sind erschreckend
Jürgen Lenders, der queer-politische Sprecher der FDP im Bundestag, erklärte dazu gegenüber SCHWULISSIMO: „Dass es bei CSD-Veranstaltungen vermehrt zu Angriffen auf die LGBTIQ-Community kommt, ist erschreckend. Weltweit erleben LGBTIQ Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung und Gewalt. Die globalen Rückschritte bei den Rechten für sexuelle Minderheiten bereiten mir große Sorge, hart erkämpfte Fortschritte zur Gleichberechtigung drohen verloren zu gehen.“
Verärgert über die aktuellen Entwicklungen zeigt sich gegenüber SCHWULISSIMO der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann von Bündnis 90 / Die Grünen: „„Aus Angst, dass ihnen was passieren könnte, vermeiden viele LSBTIQ* bereits im Alltag offen aufzutreten. Ich finde es unerträglich, dass sie selbst bei Besuchen von CSDs queerfeindliche Angriffen befürchten müssen – ausgerechnet dann, wenn sie auf die Straßen gehen, um für Akzeptanz und Anerkennung zu demonstrieren.“ Lehmann erinnert dabei auch den Totschlag von Malte C. im vergangenen Jahr während des CSDs in Münster.
Die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, wirft dabei ein besonderes Augenmerk auf LGBTI*-Jugendliche: „Dass das gesellschaftliche Klima gegen queere Menschen rauer geworden ist, zeigt sich auch in den Angriffen auf überwiegend junge Teilnehmende an den Pride-Paraden. Gerade deswegen müssen auch die Veranstalter:innen klare Kante gegen Rechtsextremismus und jegliche Menschenfeindlichkeit zeigen, denn diese sind die Quelle, aus der der Hass gegen LGBTIQ+ sprudelt.“
Drohungen vor fast jeder Pride
Zudem kommt es auch immer öfter zu Drohungen im Vorfeld der Paraden; drei der bundesweit größten Prides stehen in den kommenden Wochen noch an, darunter Berlin, Köln und Hamburg. Die Veranstalter der CSDs beteuern, zusammen mit der Polizei gut vorbereitet zu sein. Lenders von der FDP betont dabei auch die erst kürzlich erfolgte Änderung des Strafgesetzbuches, damit solche Angriffe künftig besser benannt und verfolgt werden können. Zudem stellt Lenders klar: „Der beste Schutz vor Diskriminierung ist eine Politik, die Akzeptanz fördert. Wir müssen mehr Bewusstsein, mehr Sensibilität und somit auch mehr Unterstützung für die Betroffenen schaffen.“
Fundamental christlicher Hass aus den USA
Den Weg für diesen Hass in Deutschland ebnet dabei unter anderem auch der Kulturkampf in Amerika, wie Vogler weiter erklärt: „Aus den USA verbreiten sich auch in Deutschland immer mehr fundamentalistische christliche Sekten, deren reaktionäres Welt- und Menschenbild keine sexuelle und geschlechtliche Vielfalt erträgt. Wir dürfen hier nicht zurückweichen oder uns spalten lassen, sondern müssen zusammenstehen. Je mehr Menschen gemeinsam auf den Straßen sind, desto besser ist jede:r einzelne geschützt. Aufeinander achten und Zivilcourage zeigen hilft mit, dass sich alle so sicher wie möglich fühlen.“
Wird Hass auf LGBTI* wieder gesellschaftsfähig?
Dabei machen nicht nur die schiere Anzahl der Übergriffe und die teils massiven Drohungen Sorgen, sondern auch die offenbare Leichtigkeit, mit der wieder schlimmste Hass-Parolen gesellschaftsfähig zu werden scheinen. Beim CSD in Schleswig-Holstein (Rendsburg) wurde so beispielsweise zuletzt gegenüber LGBTI*-Menschen mehrfach von einer Gruppe junger Männer immer wieder ganz offen skandiert: „Schwule sollen nicht leben!“ – eines von vielen Beispielen. Ein 17-jähriger CSD-Teilenehmer wurde kurz darauf niedergeschlagen.
„Wir dürfen uns nichts vormachen: Gezielt geschürter Hass auf Regenbogenflaggen und Kampagnen gegen den Pride Monat bleiben nicht wirkungslos, sondern ermutigen Menschen, ihre Queerfeindlichkeit gewalttätig auszuleben. Unseren Gegner*innen geht es um Verunsicherung und Einschüchterung, sie bekämpfen Sichtbarkeit und queeren Stolz. Dagegen müssen wir zusammenstehen: Zusammen als Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter*, nicht-binäre, queere Menschen und mit unseren vielen Verbündeten. Millionen Menschen in Deutschland besuchen in diesem Jahr weiterhin die CSDs und zeigen Flagge für Freiheit und Gleichberechtigung, dafür bin ich sehr dankbar“, so Lehmann weiter.
Pride? Wichtiger denn je!
Lenders betont abschließend, dass die Pride-Demonstrationen gerade in diesem Jahr besonders wichtig sind: „Der CSD ist auch heute noch ein wichtiger Gedenk- und Demonstrationstag, ein Fest für Freiheit und Menschenrechte. Einmal im Jahr ist man auf der Straße nicht in der Minderheit und sendet damit ein Zeichen in die Gesellschaft. Mir ist es wichtig, dass die Menschen Haltung zeigen und füreinander einstehen und sich von gezielten Kampagnen gegen sichtbares queeres Leben nicht einschüchtern lassen. Vielfalt macht eine Gesellschaft freier und damit auch stärker.“