Führungskrise in Berlin Doppelrücktritt: Offen lesbische Vorsitzende verlässt SPD
Zehn Monate vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus erschüttert ein Doppelrücktritt die Hauptstadt-SPD: Die Vorsitzenden Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel legen ihr Amt nieder – ein seltener Schritt an der Spitze einer Landespartei kurz vor einer entscheidenden Wahl. Beide führten das Amt erst seit 2024 und ziehen damit die Konsequenzen aus zunehmenden innerparteilichen Konflikten und mangelndem Rückhalt, während die Berliner SPD aktuell als Juniorpartnerin an der Seite der CDU regiert.
Krisenstimmung bei Berlins Sozialdemokraten
Die parteiinterne Krise verschärfte sich, als Böcker-Giannini jüngst in ihrem Heimatverband Reinickendorf an der Listenaufstellung für das Abgeordnetenhaus 2026 scheiterte: Die offen lesbische Politikerin bekam keinen aussichtsreichen Platz und unterlag deutlich einer Mitbewerberin. Für Hikel, derzeit Bürgermeister von Neukölln, zeichnete sich nach einer schwachen Nominierung mit nur 68,5 Prozent der Stimmen bereits Rückzugsbereitschaft ab – er kündigte an, bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten zu wollen.
Die Entwicklung trifft die SPD zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Die Partei ringt um Profil in der Berliner Regierungskoalition und sieht sich zugleich einer zunehmenden Polarisierung und politischen Spaltung ausgesetzt. Der vorgesehene Nachfolger für den Landesvorsitz, Steffen Krach, aktuell noch Regionspräsident in Hannover, soll auf einem Sonderparteitag im März gewählt werden. Ursprünglich war dieser nur zur Programmverabschiedung eingeplant.
Parteiinterner Reformstau und Zukunftssorgen
Böcker-Giannini und Hikel betonten in ihrer Erklärung an die 18.000 SPD-Mitglieder, wie sehr sie mit den Parteigremien bei Reformvorhaben immer wieder an Grenzen stießen. Ihr Ansinnen, Brücken zwischen den unterschiedlichen Parteiflügeln und -ebenen zu bauen, sei zunehmend blockiert worden. Schlüsselentscheidungen in den Wahlkreisversammlungen hätten gezeigt, dass der von der Basis gewünschte Wandel intern nicht mehr machbar sei.
Auch auf Bundesebene stand die SPD zuletzt unter Druck: Sinkende Umfragewerte und ein schwieriges Verhältnis zwischen Partei- und Fraktionsspitze führen vielfach zu Unsicherheiten im Profil und in zukunftsweisenden Entscheidungen. In Berlin betonen Beobachterinnen und Beobachter, dass die angespannte Lage vor allem auf das Kräfteverhältnis mit der CDU, aber auch auf Lagerkämpfe innerhalb der SPD zurückzuführen ist.
Herausforderung Berliner Wahl 2026
Mit dem Rücktritt des Führungstandems steht die Berliner SPD unmittelbar vor einer Zerreißprobe. Die Wahl des Parteivorsitzenden im Frühjahr wird zeigen, ob es gelingt, die Partei zu einen. Der neue Chef wird für die Herausforderung stehen, verschiedene Strömungen und Erwartungen zu verbinden – und ein überzeugendes sozialdemokratisches Profil gegenüber CDU und den anderen Parteien zu schärfen.
Es bleibt offen, ob der eingeführte Reformkurs nach dem Wechsel an der Spitze weiterverfolgt werden kann – oder ob der Rücktritt einen Kurswechsel einläutet und die Berliner SPD vor einer Phase der Neuorientierung steht. Sicher ist: Die Sozialdemokratie in Deutschlands größter Stadt muss sich binnen weniger Monate neu aufstellen, um bei der Wahl 2026 bestehen zu können.