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Wiederwahl zum deutschen Bundespräsidenten

Frank Walter Steinmeier: LGBTI* im Blick „Die Würde von LGBTI*-Menschen ist unantastbar - wir alle wissen: Es gibt noch einiges zu tun!“

ms - 11.02.2022 - 14:30 Uhr
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Frank Walter Steinmeier wird an diesem Sonntag zum zweiten Mal zum Bundespräsidenten Deutschlands gewählt werden. Die Wiederwahl gilt als sicher – er kann auf Stimmen von SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU setzen. Dabei zeigte Steinmeier eindrucksvoll, dass er nicht nur ein „Bürgerpräsident und Brückenbauer“ (ZDF) ist, sondern sich auch für die Akzeptanz und Gleichberechtigung der LGBTI*-Community einsetzt. Steinmeier ist damit der erste Bundespräsident der Bundesrepublik, der so offen und offensiv queere Lebensweisen achtet und beachtet.

Vor seiner ersten Wahl zum Bundespräsidenten glänzte Steinmeier eher durch Abwesenheit, wenn es um LGBTI*-Rechte ging. Durch den Altkanzler und heutigen Gazprom-Werbebotschafter Gerhard Schröder kam er in die Politik und zog 1998 als Chef des Kanzleramtes nach Berlin. Unter Angela Merkel wurde er Außenminister in der ersten Großen Koalition und schwieg auch hier noch im internationalen Ausland zumeist in Bezug auf queere Menschenrechtsverletzungen. Er verlor die Kanzlerwahl 2009 gegen Merkel, blieb Außenminister und wurde kurzzeitig Fraktionschef der SPD. 2017 dann findet er als Bundespräsident seine Bestimmung und zieht ins Berliner Schloss Bellevue. Man kann seine jahrelange Abwesenheit in der queeren Community kritisieren, muss aber dennoch eingestehen, dass er in den letzten fünf Jahren dafür umso mehr für LGBTI*-Menschen getan hat. Und das als Staatsoberhaupt Deutschlands, dem höchsten Amt der Bundesrepublik.

Einen ersten Paukenschlag setzte er bereits 2018 – zum zehnten Jahrestag des Denkmals für die, im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen ist Steinmeier als erster Bundespräsident überhaupt beim Festakt vor Ort. Mit klaren und eindrücklichen Worten entschuldigt er sich und bittet um Vergebung für all das geschehene Leid und Unrecht, und für das lange Schweigen, das darauf folgte.“ Besondere Aufmerksamkeit erreichte seine Rede auch deswegen, weil er auch die Zeit nach Ende des dritten Reiches mit Blick auf den Paragraphen 175 im Fokus hatte: „Die neue freiheitliche Ordnung in unserem Land, sie blieb über viele Jahre für viele noch unvollkommen. Die Würde von Homosexuellen, sie blieb antastbar. Zu lange hat es gedauert, bis auch ihre Würde etwas gezählt hat in Deutschland. Und die Jahre bis dahin, sie waren für Opfer und Aktivisten ein langer Weg, mit mühseligen Auseinandersetzungen (…) Als Bundespräsident ist mir eines wichtig: Ihr Land hat Sie zu lange warten lassen. Wir sind spät dran.“

© AndreyPopov
© AndreyPopov

Mit Blick auf seine weitere Arbeit in den darauffolgenden Jahren stellte Steinmeier zum Ende seiner Rede hin fest: „Allen Schwulen, Lesben und Bisexuellen, allen Queers, Trans- und Intersexuellen in unserem Land, Ihnen allen rufe ich heute zu: Auch Ihre sexuelle Orientierung, auch Ihre sexuelle Identität stehen selbstverständlich unter dem Schutz unseres Staates. Auch Ihre Würde ist so selbstverständlich unantastbar, wie sie es schon ganz am Anfang hätte sein sollen. Wir alle wissen: Es gibt noch einiges zu tun. Wir können uns nicht zufrieden zurücklehnen, wenn homophobe Beleidigungen heute wie selbstverständlich auf Schulhöfen zu hören sind.“ Spätestens seitdem setzt sich Steinmeier immer wieder für Menschenrechte und insbesondere für Minderheiten und Demokratie ein.

Zwei Jahre später im Rahmen der 30-Jahr-Feier des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) kritisierte er mit deutlichen Worten die immer noch bestehende Diskriminierung von Homosexuellen in Deutschland: "Nach wie vor müssen viele Schwule, Lesben, bi-, trans- und intersexuelle Menschen in unserem Land Nachteile erleiden, werden ihre Menschenrechte verletzt – im Alltagsleben, am Arbeitsplatz, durch nicht gerechtfertigte medizinische Behandlungen. An vielen Orten weltweit, auch in Europa, werden anders liebende Menschen immer noch verfolgt und herabgewürdigt.“ Er würdigte dabei die Arbeit des bundesdeutschen Vereins und mahnte an, dass autoritäres Denken, Populismus und Fundamentalismus erneut Hass und Gewalt gegenüber LGBTI*-Menschen schüren.

Wie sehr ihn dieser Hass und die Hetze beschäftigen, bekräftigte er erst vor wenigen Tagen im Februar 2021 abermals. Mit kritischem Blick auf die großen Internetkonzerne wie Facebook, Twitter oder Telegram, sagte er: „Wir dürfen es niemals zulassen, dass Menschen im digitalen Dauerfeuer jeden Schutz verlieren. Niemand muss es tatenlos ertragen, im Netz beschimpft und beleidigt zu werden, auch keine Politikerin und kein Politiker. Jeder muss sich im Zweifel zur Wehr setzen können.“ Hintergrund war die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Facebook dazu verpflichtet, Daten von den Autoren von Hass-Kommentaren an die Grünen-Politikerin Renate Künast auszuhändigen. 

Demokratie und der Schutz von Minderheiten – Steinmeier hat seine Berufung gefunden und die LGBTI*-Community darf gespannt darauf sein, was er in den kommenden fünf Jahren noch tun wird. Am Sonntag wird Steinmeier von der Bundesversammlung (fast 1.500 Menschen) zum zweiten Mal zum Bundespräsidenten gewählt werden. Nebst den Mitgliedern des Deutschen Bundestages besteht die Bundesversammlung auch aus über 700 Personen, die von den Landesparlamenten bestimmt werden – darunter auch prominente Persönlichkeiten. 2017 gehörte zu den queeren Gesichtern die Hamburger Drag-Queen Olivia Jones, in diesem Jahr wird die Berliner Drag-Queen Gloria Viagra für die Sichtbarkeit der queeren Community im Paul-Löbe-Haus sorgen. Außerdem mit dabei sein werden unter anderem die lesbische Aktivistin und Entertainerin Annie Heger, die lesbische Moderatorin Shary Reeves sowie bekannte Gesichter wie Tatort-Schauspieler Dietmar Bär, Virologe Christian Drosten, Musiker Joy Denalane und Roland Kaiser, Moderator Klaas Heufer-Umlauf, Kabarettist Dieter Nuhr, Komiker Bernd Stelter oder auch Star-Pianist Igor Levit. Auch mit dabei ist Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, die erstmals seit der Amtsübergabe Ende 2021 öffentlich auftreten wird.

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