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Neue Studie: Vorteile sind weit verbreitet und tief verwurzelt

Fettphobie in der queeren Community Neue Studie: Voruteile sind weit verbreitet und tief verwurzelt

ms - 18.02.2022 - 12:30 Uhr
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So bunt die queere Community ist, so vielfältig auch die Vorlieben. Eine der aktuell stärksten Gemeinschaften innerhalb der LGBTI* ist die Welt der Bären, also jener meist korpulenter Herren mit starker Behaarung. Eine neue Studie der Universität Brighton zeigt nun, dass es dabei selbst innerhalb der Bären-Szene Probleme gibt.

Die Anfänge der Bären-Community finden sich in den 1970er Jahren, hier bildeten sich in den USA und Europa zunächst kleinere vereinzelte Gruppen. Einer der frühesten Zusammenkünfte waren die „Bartmänner Köln“ sowie die „Beards meeting Beards“ Treffen in London. Der Siegeszug der Bären wurde aber im Wesentlichen von einem Mann eingeleitet: Richard Bulger. Der drahtige Kerl aus San Francisco veröffentlichte 1987 das allererste Bear Magazine – das einstmals kleine Faltheftchen wurde mit den Jahren international berühmt und schaffte es durch eine gut aufgebaute Kommunikationsebene die einzelnen Bären-Communitys zu verbinden. Einer der wesentlichen Gründe, warum die bärigen Herren seit damals so stark an Beliebtheit gewonnen haben, liegt in der Gay-Szene selbst begründet – als Gegenströmung zu Jugendwahn und Körperkult konnten Männer in der Bären-Community entspannt so sein, wie sie sind. Es entstand eine neue Freiheit im Kopf.

© powerofforever
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Doch sind die heutigen Bären wirklich so frei? Dr. Nick McGlynn, selbst ein bäriger Mann und Leiter der Studie an der Universität Brighton, widerspricht dem gegenüber Pink News: "Meine Studienergebnisse sind eine sehr beunruhigende Erkenntnis für mich, und ich denke, sie widerlegen jede Vorstellung, dass Bärenräume völlig frei von Fettstigmatisierung sind, dass sie diese utopischen Räume für dicke Männer sind. Das ist ganz und gar nicht der Fall.“

Es ist eine ambivalente Situation – auf der einen Seite bieten die Bären-Community und insbesondere Clubs und Bars für bärige Männer genau jene Schutzräume an, die es ihnen erlauben, frei zu leben. McGlynn selbst hat dies als besondere Art der Befreiung erlebt: „Ich hatte immer schreckliche Angst davor. Ich zog mein Oberteil in diesem Raum aus und es war eine unglaubliche, befreiende Erfahrung, und ich erinnere mich immer noch sehr stark an die positiven Gefühle, die ich dabei empfand." Auf der anderen Seite zeigt sich in seinen Studienergebnissen aber eben auch, dass die Community die, von der Gesellschaft kolportierte Fettphobie ebenso verinnerlicht hat wie einen gewissen Bartneid – frei nach dem Motto: Wer hat den schönsten und vollsten Bart und entspricht damit dem Archetyp eines „echten Kerls“.

McGlynn stellte fest, dass die Fettphobie so weit verbreitet ist, dass schon der Anblick eines muskulösen Mannes in einem Bärenraum für dickere queere Männer eine befremdliche Erfahrung sein kann. "Es ist nicht unbedingt so, dass Muskeltypen irgendetwas falsch machen, aber allein die Anwesenheit und das Wissen, wie sehr Muskeln aufgewertet werden und wie stigmatisiert Dicksein ist, macht die Leute unruhig. Das ist eine ziemlich schwierige Diskussion, denn niemand hat Schuld daran. Die Absichten eines Muskelbären können durchaus gut sein, aber es ist einfach die Anwesenheit dieser Körper, die den anderen Menschen Unbehagen bereitet."

Ein weiterer Aspekt: Viele homosexuelle und bisexuelle Bären halten bei einem Bärentreffen stets Ausschau danach, wer der dickste Mann im Raum ist. Unbewusst tragen sie damit genau jene Form von Bodyshaming in die Community hinein, der sie selbst doch eigentlich genau in diesen Schutzräumen entgehen wollen. "Ich denke, das deutet darauf hin, dass wir alle das Stigma des Dickseins mit uns herumtragen und dass die Weitergabe dieses Stigmas an den dicksten Mann dazu beiträgt, dass sich manche andere Männer wohl fühlen können.“

Dieser Umgang mit dem eigenen Körper, diese Fettphobie ist ein tief verwurzeltes und weit verbreitetes Problem in der ganzen LGBTI*-Community. Durch zahlreiche Interviews mit anderen Bären erfuhr McGlynn dabei, dass Fettphobie selten offen oder aggressiv ist - sie ist viel subtiler: "Es geht nicht darum, dass die Leute mit dem Finger auf einen zeigen und sagen: 'Du bist zu dick, verschwinde' - obwohl das auch manchmal vorkommt. Aber diese Art von offener Fettphobie scheint inzwischen ziemlich selten zu sein. Viele Leute haben allerdings über die subtilen Arten der Herabsetzung gesprochen - sie bekamen beispielsweise kleine Kommentare oder Blicke von Leuten zugeworfen, sodass sich diese Fettphobie immer mehr in ihnen selbst manifestieren kann."

Dabei ist eines klar, so Dr. Nick McGlynn weiter: "Ich glaube, die Menschen wollen sich in einem Raum wohlfühlen und sie wollen sich akzeptiert fühlen. Sie wollen sich fallen lassen können. Ich denke, das ist für uns alle wichtig." Um ein Umdenken gerade auch innerhalb der LGBTI*-Community zu erreichen, hält der Wissenschaftler es für ratsam, sich die Frauenbewegung als Vorbild zu nehmen. Frauen haben bereits seit vielen Jahren mit der Stigmatisierung ihres „nicht perfekten Körpers“ zu kämpfen und inzwischen wertvolle Methoden entwickelt, dagegen zielgerichtet vorzugehen. "Die Stigmatisierung von Fett betrifft verstärkt gerade schwule, bisexuelle und queere Männer, daher halte ich es für wichtig, auf diese umfangreiche und wichtige feministische Arbeit zurückzugreifen. Wir müssen diese ernsthaften Gespräche über Stigmatisierung auch unter uns führen."

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