Exklusiv-Interview mit Alice Schwarzer Alice Schwarzer im Interview zu Transsexualität, dem Fall Ganserer und dem neuen Selbstbestimmungsgesetz
Wie definieren wir künftig Frauen? Mit welchen Rechten können wir queere und vor allem trans-Menschen besser schützen? In den lautstark geführten Debatten zeigt sich seit einigen Wochen auch in Deutschland, dass die Empörung auf beiden Seiten sehr groß ist – und die argumentativen Gräben zwischen biologischen und trans-Frauen anscheinend tiefer als je zuvor sind. Oder täuscht der Eindruck und ein Wechsel der Betrachtungsweise könnte vielleicht zur Befriedung beitragen?
In Amerika und Großbritannien tobt bereits seit mehreren Jahren der Kampf um die Deutungshoheit, wer auf der „richtigen Seite der Geschichte“ steht. Immer wieder gerät beispielsweise Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling in die Schlagzeilen, weil sie einen Unterschied zwischen trans-Frauen und biologischen Frauen macht, gerade auch mit Blick auf die künftigen Frei- und Schutzräume für die jeweiligen Parteien. Es lässt sich trefflich sowohl für wie auch gegen die Bestsellerautorin argumentieren, doch zumeist kommt es inzwischen nicht einmal mehr so weit, denn eines scheint die Debatte in weiten Teilen gar nicht zu vertragen – das sind die Grauzonen. Freund oder Feind? Queerfeindlich und altbacken oder weltoffen und geschlechtsliberal? Von gestern oder von morgen?
Seit diesem Jahr spitzt sich nun die Debatte gerade auch in Deutschland abermals zu – das liegt maßgeblich am geplanten neuen Selbstbestimmungsgesetz, das das veraltete Transsexuellengesetz abschaffen soll. Erste konkrete Schritte sollen bis zum Sommer veröffentlicht werden, einige Eckpunkte des neuen Gesetzes machen aber bereits heute die Runde. Bisher muss ein trans-Mensch, der eine Geschlechtsangleichung vornehmen will, zwei psychologische Gutachten vorlegen – am Ende entscheidet ein Richter, ob die Geschlechtsänderung vollzogen werden darf. Dieser kostenintensive Prozess soll vereinfacht werden. Die Frage ist nur, wie einfach soll es werden?
Nach den Plänen der Grünen soll künftig jeder Mensch ab 14 Jahren frei sein Geschlecht wählen und eintragen lassen können. Auch der Einsatz von Hormontherapien wie Pubertätsblocker sind im Gespräch – ohne nötige Genehmigung der Eltern. Allein an dieser einen Tatsache spalten sich schon die Geister – während die einen die Pubertätsblocker nur für eine harmlose Form einer Art „Pause-Taste“ in der Entwicklung von Kindern ansehen, die mit Ende der Einnahme einfach weiter fortgesetzt werden könne, sehen andere die Gefahr, massive und irreversible Schäden an den Körpern von Jugendlichen anzurichten. Schweden stoppte deswegen 2021 die Hormontherapien für Minderjährige. Die Begründung: Diese Verfahren werden als noch experimentell und wissenschaftlich nicht abgesichert eingestuft.
Was ist also der richtige Weg? Darüber zu debattieren ist die eigentliche Schwierigkeit der gesamten Situation, denn die Fronten sind so verhärtet, dass kritischer Widerspruch nicht mehr geduldet wird. Noch einmal an Dramatik gewonnen hatte die Debatte dann, als das Frauenmagazin EMMA einen Artikel online veröffentlichte, der mit Blick auf die trans-Politikerin Tessa Ganserer fragte, wie wir künftig Geschlecht definieren und wie wir mit der Gesamtsituation umgehen wollen.
Tessa Ganserer ist eine von zwei trans-Frauen im neuen Bundestag, rechtlich wie biologisch nach wie vor ein Mann, was die EMMA dazu veranlasste, die trans-Frau mit ihrem alten männlichen Vornamen zu benennen. Der vermeintliche „Skandal“ erzielte seine Wirkung und der Streit brach wie eine Flutwelle über die EMMA-Redaktion herein. Vergessen die eigentliche Debatte, das sogenannte Deadnaming machte Herausgeberin Alice Schwarzer über Nacht endgültig zur Persona non grata, zu einer „bösen alten radikalen trans-feindlichen Feministin“. Was folgte, waren die oftmals aufkommenden Forderungen, einfach gar nicht mehr mit oder über diese Frau zu sprechen.
Eines ist dabei klar – wir werden die Diskussionen um das neue Selbstbestimmungsgesetz und die Frage, wie trans-Frauen und biologische Frauen miteinander leben können, führen müssen. Ob das neue Buch von Alice Schwarzer und Chantal Louis „Transsexualität – Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift“ dazu beitragen wird können, wird sich zeigen müssen.
Es gilt zu befürchten, dass die Gräben abermals tiefer werden, dabei scheint die Lösung eigentlich relativ simpel, auch wenn die Umsetzung im Einzelfall schwierig sein kann: Wir müssen miteinander reden. Ohne Sprech- oder Denkverbote. Auch wenn uns einzelne Positionen des Gegenübers nicht gefallen oder wir sie nicht verstehen. Es muss möglich sein, auch queerpositive Gesetze wie das neue Selbstbestimmungsgesetz hinterfragen zu dürfen, ohne sofort politisch rechts außen oder ein Feind der LGBTI*-Community zu sein.
Diese Debatte wird auch deswegen so emotional geführt, weil auf beiden Seiten Ängste stehen. Die Angst, als trans-Person abermals gegängelt und wieder einmal nicht gleichberechtigt ernstgenommen zu werden. Am anderen Ende der Skala steht die Angst, wie Frauen ihre Schutzräume behalten können, ohne abermals den Kürzeren zu ziehen. Eine schwierige Debatte, eine notwendige – und eine, die auf Augenhöhe und mit Respekt geführt werden muss. Sprechverbote helfen da nicht weiter – und deswegen haben wir genau darüber mit Alice Schwarzer gesprochen.
Die Emma hat in einem Artikel darüber berichtet, dass die Initiative „Geschlecht zählt“ Einspruch gegen die Wahl Ganserers eingelegt hat, weil diese als biologischer und rechtlicher Mann über die Frauenquote in den Bundestag gekommen ist. Ganserer selbst nennt das einen „Angriff auf ihre Persönlichkeitsrechte“. Die Kernfrage in ihrem Artikel war: Wie wollen wir künftig Geschlecht definieren? Welche Antwort haben Sie darauf inzwischen für sich gefunden?
Zunächst einmal: Den Text habe nicht ich geschrieben, aber ich bin selbstverständlich für EMMA verantwortlich. Ich fürchte, Geschlecht ist keine Frage subjektiver Definition, sondern eine objektive Realität. Zumindest das biologische Geschlecht, das der Vorwand ist für die Zuweisung des kulturellen Geschlechts. Was in unseren Breitengraden unter anderem bedeutet: Gender Pay Gap, Familienarbeit, Männergewalt. In islamischen Ländern wie Afghanistan kann es sogar eine Frage auf Leben und Tod sein. Rein biologisch ist das Geschlecht außerdem eine körperliche Erfahrung: bei Frauen die der Menstruation, Schwangerschaft oder Abtreibung.
Ein großer Kritikpunkt am Artikel der Emma war das sogenannte Deadnaming, also die Tatsache, dass Sie die Politikerin Ganserer mehrfach inklusive ihres alten männlichen Vornamens betitelt haben. Rein formell haben Sie damit recht, aber man darf trotzdem fragen: War das eine bewusste und nötige Provokation?
Ganserer ist ein Spezialfall. Bei ihm/ihr geht es darum, dass er/sie als personenstandsrechtliche und biologische – noch? – männliche Person einen Frauenquotenplatz besetzt. Es geht also nicht um die Person, sondern um das Politikum, dass die Grünen im Fall Ganserer provokant die von ihnen angestrebte Reform des Transsexuellengesetzes sozusagen vorweggenommen haben.
Trotzdem, bleiben wir noch einmal beim Deadnaming. Nicht nur im Fall Ganserer, auch anderweitig wird immer wieder erklärt, dass sich trans-Personen zutiefst verletzt fühlen, wenn man sie mit ihrem alten Vornamen anspricht. Verständlich oder übertrieben? Wie ist Ihre Meinung dazu?
Ich finde es selbstverständlich, dass man eine Transperson mit dem neuen Namen anspricht. Alles andere wäre eine Brüskierung. Aber ebenso selbstverständlich ist, dass diese Person nun beide Erfahrungen in sich hat: die aus dem früheren biologischen Geschlecht plus der im neuen Wunschgeschlecht. Und das ist doch interessant. Darüber sollte man reden dürfen. Eine Transperson löscht ja ihr altes Leben nicht aus, sondern wählt nur ein neues – und ist dann eben die Summe von beidem.
„Ein friedliches Zusammenleben zwischen biologischen und Transfrauen? Das gibt es doch!“
Es gibt auch kritische Stimmen aus der trans-Community gegenüber Ganserer, eine davon ist beispielsweise die trans-Frau und You-Tuberin PersiaX, die sagt, Ganserer sei keine trans-Frau, weil sie trotz ihrer männlichen Geschlechtsteile keinen Leidensdruck und keine Geschlechtsdysphorie erlebt. Vorausgegangen ist ein Interview in der taz, in der Ganserer sagt, dass sie immer wieder zweifle, ob sie sich überhaupt operieren lassen solle und meint, ein „Penis sei nicht per se ein männliches Genital“. So etwas würde laut der You-Tuberin eine echte trans-Frau nie denken. Wie stehen Sie diesen Aussagen gegenüber?
In der Tat muss Ganserer sich fragen lassen, ob er/sie nun transsexuell ist oder ein Transvestit. Also ob er/sie das Geschlecht wechseln möchte oder nur interessiert ist, die Kleidung des anderen Geschlechts zu tragen.
Auf den Punkt gefragt: Sind trans-Frauen für Sie „richtige Frauen“?
Auf diese Frage habe ich schon vor 40 Jahren geantwortet: Ja! Einen Mann, der diesen irreversiblen Schritt getan hat, sollten wir Frauen als Frau akzeptieren. Und umgekehrt. Dies darf jedoch nicht missbraucht werden durch dominantes Eindringen in Frauenräume - wie im Sport oder in Frauenschutzräumen. Es ist ebenfalls von den „neuen Frauen“ Respekt zu erwarten, Respekt vor den biologischen Frauen. Was allerdings eine „richtige“ Frau ist, weiß niemand. Für mich müssen „richtige“ Frauen nicht zwingend Dessous, Kleidchen und rote Fingernägel tragen. Oder gerne Eierlikör trinken. Das ist doch ein groteskes, reaktionäres Frauenbild von vorgestern.
Betrachten wir die aktuellen Empörungswellen. Bei kritischen Rückfragen in puncto Ganserer oder Selbstbestimmungsgesetz wird man oftmals sehr schnell in die politisch rechte Ecke gestellt oder für nicht mehr gesellschaftsfähig erklärt. Sie selbst mussten das jüngst auch erleben. Jan Böhmermann meinte, Sie würden merken, dass Sie „die Gestaltungshoheit über die Zukunft“ verlieren und deswegen so austeilen. Andere wie die Tagesspiegel-Journalistin Hatice Akyün schreibt, man möge Sie am besten gar nicht mehr zu Wort kommen lassen. Ärgern Sie solche Äußerungen?
Solche Töne sind einfach nur traurig. Die eine fordert Sprech- und Denkverbote. Der andere scheint zu glauben, Menschen ü60 hätten nichts mehr beizutragen. Das ist natürlich der nackte Rassismus, also „Diskriminierung wegen eines unveränderlichen äußeren Merkmals“. So lautet die Definition von Rassismus. In dem Fall genauer gesagt: Ageismus.
Diese Sprechverbote gibt es auch innerhalb der LGBTI*-Community. Ist es nicht das Ende jeder Debattenkultur und in gewisser Weise auch einer Demokratie, wenn wir uns gegenseitig Sprechverbote auferlegen?
Ja, das ist das Ende der Debattenkultur. Und zutiefst antidemokratisch. Darum muss es entschieden zurückgewiesen werden.
In den Medien werden Sie zumeist in letzter Zeit als Feind von trans-Personen inszeniert. Eine etwas absurde Situation, bedenkt man, dass Sie sich jahrzehntelang nicht nur für die Gleichberechtigung von Frauen sondern eben auch für queere und auch trans-Menschen eingesetzt haben. Ärgert es Sie, dass Ihre früheren Verdienste scheinbar einfach vergessen werden?
Nein, es ärgert mich nicht persönlich. Ich bin das gewohnt. Ich bin nur alarmiert von der Geschichtslosigkeit und Selbstgerechtigkeit solcher Leute. Habe ich Fehler gemacht? Im EMMA-Lesesaal oder in meinen Büchern sind alle meine Texte zu dem Thema zu lesen – da kann jede und jeder selbst überprüfen, ob ich Fehler gemacht habe.
Trans-Personen müssen bis heute nach dem alten Transsexuellengesetz vor einer Personenstandsänderung zwei psychologische Gutachten vorlegen. Wie damit künftig verfahren? In diesem Punkt ist sich selbst die trans-Community nicht einig. Diese Gutachten haben ja in erster Linie den Zweck, eine „echte“ Transsexualität beziehungsweise Geschlechtsdysphorie von anderen Ursachen zu unterscheiden (Stichwort Depression). Sie sprachen vor kurzem dabei von einem „fatalen Irrweg.“ Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, auch im neuen geplanten Selbstbestimmungsgesetz den Passus einer psychologischen Begutachtung in welcher konkreten Form auch immer beizubehalten?
Unbedingt muss auch in Zukunft genau nachgefragt werden können, ob ein Mensch wirklich an einer echten und auch therapeutisch unauflösbaren Geschlechtsdysphorie leidet – oder ob es sich zum Beispiel nur um eine Irritation an der Geschlechtsrolle handelt, wie es zweifellos bei vielen jungen Mädchen der Fall ist. Denn die Folgen eines biologischen Geschlechtswechsels sind ja gravierend: lebenslange Hormonbehandlung und schwere chirurgische Eingriffe, die so manches Mal ebenfalls lebenslange Beschwerden nach sich ziehen. Die jungen Frauen haben ja gute Gründe, die so widerspruchsvolle Frauenrolle abzulehnen. Jede Feministin tut das! Oder auch die Jungen, die keinen Bock auf Machotum haben. Beide aber haben in unseren Zeiten dank Frauen- und Schwulenbewegung die Möglichkeit, sich auch die jeweils als „männlich“ oder „weiblich“ konnotierten Freiheiten zu nehmen – ohne deswegen biologisch gleich das Geschlecht wechseln zu müssen. Mein Ideal ist der freie Mensch, der sich nicht vom Geschlechtsrollendiktat einschränken bzw. verstümmeln lässt. Das biologische Geschlecht ist eine Realität, aber es darf nicht länger Vorwand für die Zuweisung der Geschlechtsrolle sein.
Harry-Potter-Autorin Rowling sagt, dass trans-Frauen nicht mit biologischen Frauen so einfach gleichzusetzen sind, dabei erwähnt sie immer wieder besondere Schutzräume für Frauen. Stichwort Frauenhäuser oder Umkleidekabinen. Auch das Beispiel Gefängnis macht immer wieder die Runde, sprich, muss künftig ein männlicher Häftling in ein Frauengefängnis verlegt werden, wenn er sich als weiblich umdefiniert? Manche trans-Aktivisten sagen, all diese Punkte seien nur „Einzelfälle“ und sozusagen an den Haaren herbeigezogen. Was stimmt denn nun?
Leider kann eine Transfrau, die mal Mann war, eine Bedrohung für Frauenschutzräume oder auch für Frauenprivilegien sein – Letzteres siehe Ganserer auf dem Frauenquotenplatz. Und über die Rolle von Transfrauen zum Beispiel im Sport – die rein körperlich die biologischen Frauen locker abhängen – wird ja schon geschrieben. Also: Man kann doch nicht so tun, als sei ein Transmensch ein Mensch ohne Vergangenheit. Unter gewissen Umständen muss man der ganzen Geschichte eines Transmenschen Rechnung tragen. Zum Beispiel im Sport hieße das für Ex-Männer: Ausschluss aus dem Frauensport.
Noch vor der politischen Sommerpause sollen erste Punkte des neuen Selbstbestimmungsgesetzes schriftlich festgehalten werden. Eines scheint dabei schon festzustehen: Bereits ab dem 14. Lebensjahr sollen Jugendliche über ihren Geschlechtsstatus künftig rechtlich allein entscheiden dürfen. Im Gespräch ist auch, dass Minderjährige ohne Einwilligung der Eltern eine geschlechtsangleichende Behandlung (Pubertätsblocker) beginnen werden können. Gerade diese zwei Punkte sind strittig. Was sagen Sie dazu?
Das wäre wirklich dramatisch! Ein Verbrechen an den Jugendlichen. Im Alter von 14 weiß man in der Regel noch überhaupt nicht, wer man ist, nicht nur in Bezug auf die Geschlechtsidentität. Und das ist doch genau die Phase, in der freiheitsliebende Mädchen aus der Frauenrolle rauswollen. Verständlicherweise. Sie wissen noch nicht, dass sie auch als biologische Frauen frei sein könnten. Ich hoffe in der Tat, dass EMMA und auch das Buch, das ich zusammen mit Chantal Louis herausgebe, dazu beitragen wird, viele nachdenklich zu machen und so dieses fatale Gesetzesvorhaben zu verhindern! Es würde im Übrigen auch die statistische, rechtliche und politische Auflösung der Kategorie Geschlecht bedeuten. Das hätte unabsehbare Folgen.
Statistisch gesehen definieren sich heutzutage mehr als 7 Prozent der Bürger als Mitglied der LGBTI*-Community. Auffallend: Bei den jüngsten Befragten, der Generation Z (geboren zwischen 1997-2003) ist es jeder Fünfte, also dreimal mehr als der Durchschnitt (Studie Gallup 2021). Was sagen Ihnen diese aktuellen Zahlen?
Das Interessante ist doch, dass „queer“ das exakte Gegenteil der Transideologie ist. Für einen transsexuellen Menschen ist es zwingend, sein biologisches Geschlecht dem gefühlten anderen Geschlecht anzugleichen. Transsexuelle sind also strikt binär. Queere Menschen aber sagen von sich, sie seien nonbinär, also wollten sich nicht für ein Geschlecht entscheiden. Ich bin selbstverständlich dafür, dass echte Transsexuelle das Geschlecht wechseln können, um ihren Schmerz zu lindern. Aber meine Utopie als Feministin ist natürlich die Aufhebung der Geschlechtsidentität und eine nicht fixierte, freie Sexualität. Das, was der radikale Feminismus schon immer gefordert hat und weiter fordert: freie Menschen statt Frauen und Männer oder gar X neue Schubladen für immer mehr Geschlechter.
Wie könnte aus Ihrer Sicht ein friedliches Zusammenleben zwischen biologischen und trans-Frauen künftig möglich sein, ohne dass auf der einen Seite Schutzräume von Frauen verletzt werden und auf der anderen Seite trans-Frauen sich als Menschen zweiter Klasse erleben?
Ein friedliches Zusammenleben zwischen biologischen und Transfrauen? Das gibt es doch! Ich vermute, nein, ich weiß: Die Mehrheit der echten Transfrauen und Transmänner sieht die Propaganda der Transcommunity selber sehr kritisch. Wir haben gerade auch in der aktuellen EMMA ein Gespräch mit so einer Transfrau, die vor 25 Jahren das Geschlecht gewechselt hat. Sie hat schwere Bedenken in Bezug auf die Forderungen der Transcommunity.
In ihrem neuen Buch über Transsexualität kommen Psychiaterinnen, Therapeutinnen, Pädagoginnen und Eltern jugendlicher Betroffener zu Wort. Was haben Sie als kurzes Fazit aus diesen Gesprächen für sich mitgenommen? Wo liegen die wahren Kernprobleme in der aktuellen Diskussion?
Das Kernproblem ist die Verwechslung von Natur und Kultur. Das ist magisches Denken. Wir können die Kultur ändern – aber nicht die Natur.
Versuchen wir hier einmal einen Vermittlungsversuch: Warum würde es gerade auch der trans-Community guttun, Ihr neues Buch zu lesen?
Weil die Zurkenntnisnahme von Informationen und Gegenargumenten immer richtig ist. Die Diffamierung und Herabwürdigung kritischer Menschen um jeden Preis bringt niemanden weiter.
Zur Person
Alice Schwarzer ist eine der bekanntesten Feministinnen Europas sowie Gründerin und Herausgeberin der Frauenzeitschrift EMMA (seit 1977).
Geboren in Wuppertal (1942) setzt sie sich seit ihrer Jugend für Frauenrechte ein. 2011 erzählte sie erstmals von ihren Partnerschaften zu Männern wie zu Frauen. Schwarzer engagiert sich seit 40 Jahren für die queere Community und kämpft zudem für die straffreie Abtreibung, gegen Prostitution und Pornografie. Ihre Arbeit ist nicht immer unumstritten, beispielsweise, als sie für die BILD-Zeitung über den Prozess gegen Wettermoderator Kachelmann berichtet.
83 Prozent der Deutschen kennen sie und Zweidrittel sind der Meinung, dass sie viel für Frauen getan hat.