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Präsident stoppt das LGBTI*-Verbot an Schulen // © IMAGO / Xinhua

Das Wunder von Polen Putins Krieg bringt Polen zum Umdenken

ms - 03.03.2022 - 10:12 Uhr
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Es klingt wie ein Wunder: Nachdem der LGBTI*-feindliche Gesetzentwurf zuletzt alle Hürden genommen hatte, schien es nur noch eine reine Formsache, bis auch der polnische Präsident Andrzej Duda das Papier unterschreiben würde.

Damit wäre de facto die Zensur an allen polnischen Schulen eingeführt worden und zudem alle Themen rund um LGBTI* komplett aus dem Unterricht entfernt worden. Unter Strafandrohung wäre es Lehrern verboten gewesen, überhaupt über queere Themen zu sprechen, zudem wären sie gezwungen gewesen, ihren Lehrplan zuvor bei einem eigens dafür neu geplanten Ministerium einreichen und absegnen lassen zu lassen.

Dieser menschenfeindliche Gesetzentwurf ist jetzt erst einmal vom Tisch. Präsident Duda legte gestern überraschend sein Veto gegen die von Bildungsminister Przemyslaw Czarnek vorgeschlagene Änderung des Bildungsgesetzes ein. Duda gab seine Entscheidung kurz nach Beginn der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates bekannt.

Er räumte ein, dass der Gesetzentwurf zwar viele Elemente enthalte, die er unterstützen könne, dass aber die Einwände, die unter anderem von den Oppositionskreisen vorgebracht wurden, zu groß seien, als dass er die Änderung unterzeichnen könne: „Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen. Wir brauchen jetzt keine weiteren Streitigkeiten", so der Präsident.

Ist damit das Gesetz endgültig gestoppt? So ganz sicher ist das nicht, denn Duda ging es gestern wohl eher darum, die politischen Kräfte in Polen zu bündeln und sich auf die schwierige Situation in Bezug auf den Ukraine-Krieg zu konzentrieren. Noch dazu muss Polen sich aktuell um bisher rund 500.000 Flüchtlinge aus der Ukraine kümmern, Tendenz täglich steigend.

Ein Gesetzentwurf wie die geplante Reform des Schulwesens kommt da aktuell zur falschen Zeit. Duda selbst räumt ein: „Dieser Gesetzentwurf enthielt auch eine Reihe von Lösungen, die ich befürwortete und von denen ich glaube, dass sie eingeführt werden sollten. Ich habe aber beschlossen, dieses Gesetz erst später zur erneuten Prüfung vorzulegen. Verschieben wir das auf später! Vorläufig gibt es ein Veto gegen diesen Gesetzentwurf. Lassen sie uns jetzt darauf konzentrieren, was derzeit für die Sicherheit Polens am wichtigsten ist.“

Damit spielt Duda auf ein neues Gesetz zur Verteidigung Polens an, das gestern im Nationalrat besprochen wurde. So großartig das aktuelle Veto zum queerfeindlichen Gesetzentwurf ist, markiert es höchstwahrscheinlich keine Trendwende in der Gesinnung des Präsidenten. Zuletzt hatte er sich erst 2020 dafür ausgesprochen, Kinder vor „LGBTI*-Propaganda“ in öffentlichen Institutionen schützen zu wollen. Duda spielt jetzt also erst einmal auf Zeit und will alle politischen Dispute vorerst zur Seite legen, um die gesamte Regierung augenblicklich hinter sich zu haben und schnelle Entscheidungen treffen zu können.

Dass der Gesetzentwurf, umgangssprachlich auch nach dem befürwortenden Bildungsminister „Lex Czarnek“ benannt, vorerst vom Tisch ist, sorgte gestern für Freudentaumel bei der Opposition, den Lehrerverbänden und in der queeren Community Polens. Sławomir Broniarz, Vorsitzender der polnischen Lehrergewerkschaft, sagte gegenüber den polnischen Medien:

„Wir sind froh, dass der Präsident nicht taub geblieben ist für die Kritik all jener, die seit Monaten argumentieren, dass Lex Czarnek kein einziges Problem der polnischen Schulen löst, sondern viele neue schafft!“ Die Vorsitzende der Stiftung "Raum für Bildung" und Anführerin des Protests gegen Lex Czarnek, Dr. Iga Kazimierczyk, kommentierte das Veto so: „Das ist eine sehr gute Nachricht, dank derer 4,5 Millionen Kinder und ihre Eltern aufatmen können. Dadurch haben die Eltern weiterhin die Möglichkeit, mit den Schulen zusammenzuarbeiten, wenn es darum geht, wie die Schule ihre Kinder erzieht. Die Eltern werden keinen Superintendenten und keine Zensoren vor die Nase gesetzt bekommen!“

Die Politikerin Agnieszka Dziemianowicz-Bąk der polnischen Linken ergänzte:

„Präsident Andrzej Duda hat getan, was er tun musste. Es ist seine Pflicht als Präsident, die Freiheiten und Rechte der Schüler und die Sicherheit der Lehrer zu wahren und dafür zu sorgen, dass das polnische Bildungssystem seine Aufgaben ungestört erfüllen kann. Heute ist es nicht an der Zeit, die polnische Schule zu spalten, heute ist es an der Zeit, anzupacken und das polnische Bildungssystem darauf vorzubereiten, Tausende von Schülern und Studenten aus der Ukraine so herzlich wie möglich aufzunehmen, damit sie hier ihre zweite Heimat finden und sich sicher fühlen können. Um dies zu erreichen, müssen die polnischen Schulen in Ruhe arbeiten können!“

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