Haus der Geschichte FKK im Museum
Im Stuttgarter Haus der Geschichte kommt derzeit buchstäblich Bewegung in die Ausstellungslandschaft: Mit „Frei Schwimmen – Gemeinsam?!“ lädt ein traditionsreiches Museum erstmals in Deutschland zu gezielten Nacktführungen. Ein Experiment, das sowohl Neugier als auch gesellschaftlichen Diskurs weckt. An jeweils zwei Abenden dürfen sich Besucherinnen und Besucher ganz ohne Kleidung durchs Museum bewegen, eingebettet in Performances und Spezialführungen.
Freikörperkultur und Museumsbesuch
Die Idee, die Museumsbesucher zur Vollnacktheit aufzufordern, ist eine bewusste Provokation. Durchgeführt in Kooperation mit Getnakedgermany e.V., steht das Projekt in einer langen Tradition der Freikörperkultur (FKK). Bis zum 14. September ist die Ausstellung regulär, also bekleidet, geöffnet. Zwei Termine mit explizitem Kleidungsverzicht jedoch sind heiß begehrt und bereits ausgebucht – ein Beleg, wie faszinierend das Thema ganz offenbar auf viele wirkt.
Das Konzept berührt zentrale gesellschaftliche Fragen: Wo liegen die Grenzen der Scham? Wer entscheidet über Körper und deren Darstellung im öffentlichen Raum? Für viele Menschen ist Nacktheit im öffentlichen Kontext noch immer ein Tabu, das mit derlei Aktionen herausgefordert wird. Das Stuttgarter Haus der Geschichte wagt damit einen Balanceakt zwischen Experiment und Bewahrung der Würde aller Beteiligten.
Dass gerade Schwimmbäder und Orte gemeinsamer Körperlichkeit zentrale Schauplätze sozialer Debatten sind, zeigt die Ausstellung deutlich. Im 19. Jahrhundert waren „Badeanstalten“ streng nach Geschlechtern getrennt, ethnische oder soziale Zugehörigkeit konnten den Zugang verwehren. Die Präsentation reicht von historischen Burkinis bis hin zu Apparaten zur sogenannten „Körperoptimierung“, eindrücklich wird hier die Entwicklung gesellschaftlicher Normen sichtbar.
Auch aktuelle Kontroversen finden in der Ausstellung wieder: Heute, in einer Zeit, in der Debatten um Diversität, Gleichberechtigung und persönliche Freiräume lauter werden, beschäftigt die Frage nach Freizügigkeit weiterhin Politik und Gesellschaft. Und so ist die Kooperation mit einer modernen Naturismus-Bewegung wie Getnakedgermany keine Retro-Idee, sondern hochaktuell: In Frankreich, Spanien oder Hannover haben ähnliche Formate bereits aufmerksamkeitsstarke Impulse gesetzt, gerade auch mit Blick auf Inklusion und den Abbau von Tabus.
Internationale Beispiele belegen: Mit offenen Kulturevents rund ums Nacktsein wird nicht nur über Scham, sondern auch über Teilhabe, Selbstakzeptanz und Respekt neu verhandelt – Themen, die digital wie analog immer mehr Menschen bewegen. Ein Experte für Soziologie der Körperkulturen spricht in diesem Zusammenhang gar von einer „sanften gesellschaftlichen Revolution im Umgang mit dem eigenen und fremden Leib“.
In den sozialen Netzwerken und Kulturforen wird das Experiment rege diskutiert, zwischen Faszination, Skepsis und Zustimmung. Während die einen das Angebot als ein Zeichen einer liberalen, weltoffenen Museumslandschaft werten, fürchten andere einen Trend zur Banalisierung ernsthafter Kulturarbeit. Doch das breite Feedback zeigt: Körperbilder, Identität und gesellschaftliche Akzeptanz sind Themen, ihrer Aktualität kaum zu überschätzen.
Dass beide Nackttermine im Stuttgarter Haus der Geschichte ausgebucht sind, ist ein klares Indiz: Die Nachfrage nach innovativen Kulturangeboten wächst, gerade wenn sie traditionelle Grenzen verschieben. Wie sehr solche Initiativen dazu beitragen können, festgefahrene gesellschaftliche Muster zu hinterfragen, werden Auswertung und öffentliche Debatte im Nachgang zeigen. Denkbar ist, dass sich andere Einrichtungen inspirieren lassen – der internationale Erfolg ähnlicher Konzepte belegt deren Potential.
Nicht zuletzt weist das Beispiel Stuttgart auf eine größere Dynamik im deutschen Museumswesen hin: Viele Häuser suchen angesichts sich verändernder Publikumsinteressen und brisanter Gesellschaftsthemen nach kreativen Formen der Vermittlung, mehr Teilhabe und relevanten Diskursen. Die FKK-Ausstellung könnte so zum Vorbild für einen offenen Umgang mit Körper und Identität im musealen Raum werden.