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Social-Media-Verbot für Jugendliche?

Social-Media-Verbot Queere Vereine befürchten massive Probleme

ms - 22.08.2025 - 16:00 Uhr
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Ende 2024 verhängte Australien ein Social-Media-Verbot für Jugendliche unter 16 Jahren. In Deutschland nahm die Debatte über ein solches Gesetz für die Bundesrepublik zuletzt immer mehr an Fahrt auf. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hat sich so dafür ausgesprochen, dass Instagram, TikTok, Facebook oder X erst ab einem bestimmten Alter nutzbar sein sollten. Bundesfamilienministerin Karen Prien (CDU) sieht dies ähnlich. 

Handyverbot an Schulen?

Auch ein generelles Handyverbot an Schulen wird diskutiert und teilweise bereits in einzelnen Bundesländern umgesetzt, in Bremen wird Mitte dieses Monats ein Handyverbot bis zur zehnten Klasse eingeführt. Man wolle damit dem Selbstdarstellungsdruck entgegentreten und die gesunde Entwicklung sowie die Privatsphäre der Minderjährigen schützen. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sprach sich inzwischen für eine Altersbeschränkung aus: „Als Staat haben wir unsere Schutzfunktion in den vergangenen Jahren wirklich vernachlässigt. Es wird höchste Zeit, dass alles getan werde, damit Unter-16-Jährige frei von Social Media in unserer Gesellschaft aufwachsen können“, so Günther in der Bild am Sonntag. 

Ebenso wird auch auf EU-Ebene über schärfere Zugangsbeschränkungen für Jugendliche nachgedacht, zuletzt sprachen sich Frankreich, Griechenland, Spanien und Belgien dafür aus. Befürchtungen von queeren Vereinen oder Kritik seitens des Deutschen Lehrerverbandes an solchen „realitätsfernen“ Ideen werden derzeit kaum gehört. Und einmal mehr: Die Betroffenen werden erst gar nicht mit einbezogen. SCHWULISSIMO fragte nach bei Nick Hampel, Projektleiter des digitalen Jugendzentrums lambda space.

Queere Vereine befürchten Zensur einerseits und sehen andererseits die Gefahr, dass Kommunikationsmöglichkeiten für junge Menschen massiv eingeschränkt würden. Ist das für die junge queere Community nicht besonders bedenklich? 

Ein Verbot von Social Media würde für viele queere junge Menschen Isolation und Einsamkeit bedeuten. Denn: Der digitale Raum ist inzwischen einer der wichtigsten Orte für queere Jugendliche, um sich zu vernetzen, auszutauschen und Freund*innen zu finden. Das liegt vor allem daran, dass es immer noch viel zu wenig Angebote im analogen Raum gibt. 

Wieder einmal wird dabei über Belange der Jugend diskutiert – ohne die Jugend mit einzubinden. Warum werden insbesondere vulnerable Gruppen wie eben queere Jugendliche nicht stärker gehört?

Jugendliche haben keine milliardenschwere Lobby hinter sich. Sie werden immer noch viel zu oft von Erwachsenen als naiv, unwissend und nicht entscheidungsfähig abgestempelt. Als Selbstorganisation sehen wir queere Jugendliche als Expert*innen ihrer eigenen Lebensrealitäten. Wenn politische Entscheidungen über ihre Lebenswelt getroffen werden – etwa über Social Media – müssen sie mitsprechen dürfen. Ältere Generationen haben grundlegend andere Sozialisationserfahrungen mit Medien gemacht. Und wenn diese Sozialisationserfahrungen die Grundlage für politische Entscheidungen sind, die junge Menschen betreffen, dann ist das genau das Problem, was wir leider oft sehen: Politik, die über den Köpfen von Jugendlichen gemacht wird.

Ihr arbeitet seit Monaten an lambda space und da kommt nun ein Gegenentwurf von der Berliner Politik, der nahelegt, die Jugend ein Stück weit von digitalen Medien und Angeboten fernzuhalten. Also genau das Gegenteil von dem, was ihr im Kern wollt, oder?

Für uns sind digitale und analoge Angebote kein Widerspruch. Im Gegenteil: Sie ergänzen sich. Wie du schon gesagt hast, entwickeln wir derzeit mit lambda space das erste digitale queere Jugendzentrum. Hierbei geht es nicht darum, dass wir analoge Jugendzentren abschaffen wollen. Wir wollen für queere Jugendliche einen weiteren Raum schaffen, den sie besuchen können, wenn ihre queere Jugendgruppe nicht geöffnet hat – oder wenn sie in ihrer Nähe schlicht keine haben. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die digitale Welt vielen Menschen aus älteren Generationen Angst macht. Sie sind damit nicht großgeworden und haben Schwierigkeiten, alles, was da so passiert und möglich ist, einzuordnen. Das ist auch voll verständlich und okay – aber umso wichtiger ist es, dass in solchen Debatten die Stimmen von jungen Menschen mehr Raum bekommen.

Selbst wenn Jugendliche durch ein technisches Hintertürchen einen Weg finden könnten, solche Altersbegrenzungen zu umgehen, bedeutet das doch auch: Wer nicht fit genug dafür ist, bleibt außen vor? 

Ein Verbot sozialer Medien kann nicht verhindern, dass queere Jugendliche Wege finden, sich online zu vernetzen. Aber es sorgt dafür, dass diejenigen, die weniger technikaffin sind, außen vor bleiben. Es schafft also neue Hürden, neue Ausgrenzung. Das darf in einer ohnehin diskriminierungserfahrenen Gruppe wie queeren Jugendlichen einfach nicht passieren. 

Soziale Medien sind trotz aller Debatten über Nutzen und Gefahren ein wesentlicher Bestandteil für queere Menschen auf dem Land – würde das nun in wesentlichen Teilen wegfallen, werden queere Jugendliche nicht dann erneut gerade im Ländlichen wieder besonders stark isoliert? 

Gerade im ländlichen Raum gibt es leider immer noch viel zu wenige queere Jugendangebote. Deshalb hat Social Media hier eine besondere Relevanz: Es ist oft der einzige Weg, um andere queere Jugendliche zu finden und sich nicht alleine zu fühlen. Wenn Social Media für u16 ersatzlos verboten wird, wächst die Isolation von queeren Jugendlichen – mit allen psychischen Konsequenzen, die das nach sich zieht.

Das heißt, es nehmen so wahrscheinlich auch Depressionen und Gefühle von Einsamkeit weiter zu. Befeuert ein solches Verbot nicht damit genau jene Gesundheitskrise, die es insbesondere bei jungen LGBTIQ+-Menschen seit Jahren gibt? 

Die sozialen Medien sind einer der wichtigsten Kommunikationswege von queeren Jugendlichen. Immer wieder wird mir berichtet, wie zentral der digitale Raum ist. Und dass er für viele der erste Zugang zu anderen queeren Jugendlichen war. Diesen Zugang für queere Jugendliche ersatzlos zu streichen, hätte fatale Folgen und würde meiner Einschätzung nach zu ernsthaften Problemen für die queere Jugend führen.

Befürworter des Verbots sprechen von Jugendschutz, gerade auch im Bereich Mobbing, Hass und Hetze. Genau damit sehen sich bis heute viele queere Jugendliche konfrontiert. Trotzdem wären andere Herangehensweisen an diese Problematik wahrscheinlich sinnvoller – was könnte das aus deiner Sicht sein? 

Viele queere Jugendliche sind sich der Ambivalenz von sozialen Medien durchaus bewusst. Einerseits können sie hier neue Freund*innen finden, sich austauschen und dazugehören. Andererseits gibt es immer mehr Hass und Queerfeindlichkeit, der auf Instagram & Co. zum Alltag geworden ist. Trotzdem bleiben viele Jugendliche auf den Plattformen – weil es schlichtweg an alternativen Orten im Internet mangelt. Hier sehe ich große Potentiale für neue Projekte der queeren Jugendarbeit, eben zum Beispiel lambda space. Pädagogisch begleitet, mit Schnittstellen zu Beratungsangeboten, rund um die Uhr erreichbar, und gemeinnützig. Wir brauchen Alternativkonzepte zu Instagram & Co., die ihren Fokus nicht auf Gewinn, sondern auf Gemeinschaft setzen. Wenn über Verbote von sozialen Medien gesprochen wird, sollte immer auch über die Finanzierung solcher Alternativstrukturen gesprochen werden. Denn wenn queere Jugendliche BigTech nicht mehr nutzen dürfen, müssen sie trotzdem die Möglichkeit haben, sich digital zu vernetzen.

Sind 16 Jahre nicht so oder so eine eigentlich viel zu hohe Altersgrenze für so ein Verbot? Viele queere Jugendliche haben doch bereits schon weit früher in ihrem Leben Fragen, wenn sie sich zum Beispiel unklar sind über ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität oder wenn sie sich einfach informieren wollen oder andere queere Menschen kontaktieren möchten.

Für viele queere Jugendliche beginnt die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität lange vor dem 16. Lebensjahr. Viele von ihnen nutzen Social Media nicht nur zum Spaß. Es ist ihr Zugang zu Informationen, Zugehörigkeit und Unterstützung. Pauschale Altersgrenzen greifen hier zu kurz und ignorieren die Lebensrealitäten von queeren jungen Menschen.

In Bremen wird im August auch ein Handy-Verbot an Schulen eingeführt, andere Bundesländer planen Ähnliches oder diskutieren derzeit darüber. Der Deutsche Lehrerverband kritisiert das als realitätsfern, wichtiger sei eine Schulung über den richtigen Umgang. Wie siehst Du das? 

Ein pauschales Handyverbot an Schulen ist für mich eine Scheinlösung. Für mich klingt das sehr nach „Wenn ihr eure Handys hier nicht mehr nutzt, sind Mobbing, Fake News, Handysucht und all die anderen Probleme dann auch erledigt“. Doch so funktioniert Medienpädagogik nicht – und schon gar nicht im Jahr 2025. Probleme verschwinden nicht, nur weil man das Medium versteckt. Junge Menschen müssen den bewussten Umgang mit Medien lernen. Und dieses Thema durch ein Verbot einfach wegzuschieben, ist genau so wenig sinnvoll wie eine ü50 Lehrkraft, die den Schüler*innen erklären will, wie TikTok funktioniert. Bezieht Jugendliche mit ein! Es gibt viele Jugendorganisationen, die sich mit dem Umgang mit Medien beschäftigen und deutlich bessere Lösungsansätze als ein pauschales Verbot haben. Doch das setzt voraus, dass Politiker*innen und Menschen in Entscheidungspositionen anfangen, jungen Stimmen mehr Raum zu geben und tatsächliche Mitbestimmung durch junge Menschen möglich ist. 

Sollte ein solches Verbot tatsächlich auch in Deutschland kommen, würde das bedeuten, es bedarf einer digitalen verpflichtenden Altersbeweispflicht für alle. Besteht darin gerade im Bereich LGBTIQ+ nicht eine weitere große Gefahr? Vielleicht will man ja durchaus auch einmal anonym online unterwegs sein, zum Beispiel, wenn sich junge Menschen über Sexualität oder Fetisch oder Vorlieben informieren wollen. Zensiert eine solche verpflichtende Alterszertifizierung nicht am Ende uns alle, also auch erwachsene queere Menschen? 

Gerade für sehr junge queere Menschen – also genau jene, die von einem Verbot oder einer verpflichtenden Altersverifikation betroffen wären – ist die Pseudonymität im Netz oft extrem wichtig. Sie ermöglicht es, sich in einem geschützten Rahmen mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen, Fragen zu stellen, und Informationen zu finden. Ein verpflichtender digitaler Altersnachweis würde diese Niedrigschwelligkeit zerstören. Wer sich erst ausweisen muss, bevor er*sie queere Inhalte sehen oder andere queere Jugendliche kennenlernen darf, wird abgeschreckt – aus Angst, aus Scham, oder weil es schlicht keinen sicheren Weg zur Verifikation gibt. Und das gilt nicht nur für Minderjährige. Auch viele erwachsene queere Menschen sind in Kontexten unterwegs, in denen ein digitales Outing gefährlich oder belastend sein kann.

Nick, vielen Dank dir für das Gespräch! 

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