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Skandal im Sperrbezirk

„Skandal im Sperrbezirk“ Harte Zeiten für das älteste Gewerbe der Welt

ms - 28.04.2023 - 13:00 Uhr

Sexarbeit – bis heute ein heiß umstrittenes Minenfeld, das die einen verbannen, die anderen begrüßen. In den letzten Wochen hat das Thema gerade auch unter homosexuellen Sexarbeitern noch einmal an Fahrt aufgenommen. Zum einen, weil die Landesmedienanstalt in Nordrhein-Westfalen derzeit mithilfe von künstlicher Intelligenz die Twitter-Profile von Sexworkern nach Jugendschutzaspekten überprüft – gerade das blaue Vögelchen nutzen viele jedoch als Werbeplattform. Zu freizügige Bilder sind schnell strafbar, sobald der Anbieter in Deutschland sitzt – da schützen auch die Bestimmungen von Twitter selbst herzlich wenig. Zum anderen wurde in den letzten Wochen erneut über das sogenannte nordische Modell diskutiert, welches Befürworter wie zuletzt die Frauenorganisation der SPD immer wieder fordern, die Linke.Queer dies dagegen als Reaktion strikt ablehnte. SCHWULISSIMO fragte nach bei Sexarbeiter André Nolte, Pressesprecher des Bundesverbandes Sexarbeit.

Die Branche der Sexworker erlebte in den letzten drei Jahren dank Corona einen enormen Dämpfer und Arbeitsverbote. Hat sich die Branche inzwischen davon wieder erholt?

Grundsätzlich war die Lage für alle Sexarbeitenden schwierig – unsere Arbeit, die für viele von uns die Lebensgrundlage bildet, war schlicht verboten. Nach den ersten Wellen und nachdem alle anderen Berufsgruppen schon wieder arbeiten durften, blieb die Sexarbeit unverhältnismäßig lange untersagt. Sexarbeiter haben entgegen anderer Gerüchte keine ausreichend starke Lobby. Natürlich hat Sexarbeit während der Pandemie trotzdem weiterhin stattgefunden, denn weder lassen sich Bedürfnisse verbieten, noch hatten alle die finanziellen Reserven, um ein monatelanges Arbeitsverbot auszusitzen. Auffallend ist, dass die cis- und trans* weibliche Sexarbeit mit männlichen Kunden, die sich in der Pandemie auch in Privatwohnungen sowie Hotels verschieben musste, bis heute zu einem sehr großen Teil dort geblieben ist. Mit der Ausnahme von trans* Frauen waren queere Sexworker immer schon häufiger in Hotels und Privatwohnungen als in Bordellen anzutreffen und möglicherweise auf die illegale Phase deshalb etwas besser eingestellt. Und überall ist zu beobachten, dass die Schere größer wird. Auf der einen Seite Professionalisierung und auf der anderen Seite prekäre Arbeitsbedingungen und Preisverfall auf den Straßenstrichen.

In Berlin gehen Sexworker auf der Revolutionären 1. Mai Demonstration auf die Straße und kämpfen für ihre Rechte. © imago/Emmanuele Contini

Zuletzt wurde bekannt, dass Landesmedienanstalten derzeit gezielt Profile auf Twitter nach nicht jugendfreien Bildern durchsuchen. Bewertest du das als Angriff, um die Arbeit noch schwieriger zu machen?

Als Sexarbeitende erleben wir gerade im Netz oftmals regelrechte Hexenjagden, das ist leider nichts Neues. Es ist nicht nur Twitter – immer wieder werden wir gezielt von verschiedenen Plattformen weggeekelt. PayPal sperrt Konten, Airbnb vermietet nicht an uns, Werbung bei Facebook oder YouTube ist unmöglich, Online-Zahlungsdienste meiden uns wie die Pest. Es geht dabei nicht um irgendeinen „Schutz“, sondern um die Durchsetzung einer größtenteils amerikanischen Prüderie. Die Angst vor jeglicher Art von sexuellem Ausdruck. Es gibt bereits in Deutschland Bestimmungen, ab wann etwas Pornographie ist, wie steif darf der Schwanz sein, wie ist der Winkel und der Steigungsgrad und so weiter. Danach kann man sich ja richten, auch wenn die Bestimmungen schon sehr streng sind. Wir vom Verband wünschen uns generell mehr Offenheit und freuen uns, dass hier Bewegung zu verzeichnen ist, zum Beispiel darf man mittlerweile Bondage-Bilder veröffentlichen, sogar wenn der Po, Sünde aller Sünden, im Bildzentrum ist. Das ist keine Pornographie mehr. Dass es beim Prüderie-Wettbewerb uns Sexarbeiter am härtesten trifft, liegt meiner Meinung nach vor allem daran, dass wir gezwungenermaßen sichtbarer sind als die anonyme Masse. Wir haben eine Impressumspflicht und sind relativ leicht zu finden, während Privatmenschen schwerer zu fassen sind. Für uns ist das nicht nur geschäftsschädigend, sondern auch diskriminierend.

Das Image der Sexarbeit ist bis heute allgemein eher negativ. Immer wieder machen auch Anschuldigungen die Runde wie jene, dass Deutschland der „Puff“ Europas sei. Wie blickst du auf diese Diskussionen?

Ich weiß, dass „Puff Europas“ unheimlich provokant klingen soll, aber was spricht eigentlich dagegen? Wahrscheinlich haben wir als einwohnerstärkstes Land auch die meisten Eisdielen und sind die „Eisdiele Europas“. Menschen kommen hierher, um hier zu arbeiten. Man geht dahin, wo es erlaubt ist – geht ja nicht anders, wenn es in so vielen Ländern durch die Illegalisierung viel schwieriger ist, zu arbeiten. Und Deutschland ist reich, die Menschen wissen, dass man hier gut verdienen kann. Migration ist in allen anderen Branchen begrüßenswert – aber hinter der Formulierung „Puff Europas“ verbirgt sich wenig überraschend die wabernde Idee von Kriminalität und Menschenhandel. Genau deshalb müssen wir legale Sexarbeit unterstützen, die Arbeitsbedingungen verbessern und dürfen nicht aufhören, uns für mehr Rechte einzusetzen.

Viele Online-Dienste meiden uns wie die Pest.
Es geht dabei nicht um irgendeinen „Schutz“,
sondern um die Durchsetzung einer größtenteils
amerikanischen Prüderie.

Feministinnen fordern immer wieder, Sexarbeit ganz zu verbieten oder das sogenannte nordische Modell einzuführen, dabei werden nur die Kunden kriminalisiert – de facto trotzdem ein Verbot von Sexarbeit. Zahlreiche Organisationen von Amnesty International bis zur Deutschen Aidshilfe sprechen sich vehement dagegen aus. Warum diskutieren wir immer wieder in Deutschland trotzdem darüber?

Sexkaufverbote sind kontraproduktiv, in dem Sinne, dass sie einerseits keine Veränderung an Missständen in der Sexarbeit bewirken und andererseits für mehr Missstände sorgen. Das ist keine persönliche Meinung, sondern verifizierbarer Fakt. In Ländern, die den Kauf von sexuellen Dienstleistungen kriminalisieren, findet weder weniger Sexarbeit statt noch werden Menschenhandel oder sexuelle Ausbeutung reduziert. Für Sexarbeitende hat ein solches Verbot im Gegensatz einschneidende und dramatische Auswirkungen. Unsere Arbeit wird gefährlicher, das Risiko, sexueller Ausbeutung oder Menschenhandel zum Opfer zu fallen, steigt, und die Menschen sind für Hilfsangebote weniger gut zu erreichen. Und die Betroffenen leiden unter massiver gesellschaftlicher Stigmatisierung, die echte Auswirkungen hat – nicht nur auf unseren Geldbeutel, sondern auch auf unsere Rechte als Bürger. Leider stehen sich in dieser Diskussion, vor allem in der Öffentlichkeit, zwei unversöhnliche Seiten gegenüber. Kurz gesagt: Beide Seiten setzen sich gegen Missstände in der Sexarbeit und gegen missbräuchliche Verhältnisse ein. Aber was Lösungsansätze anbelangt, scheiden sich die Geister völlig.

Eine Person, die hierbei immer wieder polarisiert, ist die ehemalige Sexarbeiterin Huschke Mau. Sinngemäß sagt sie, man müsse sich die Frage stellen, ob man generell überhaupt Sexarbeit in einem Land wolle, sprich, wolle man Väter, Brüder, Freunde haben, die andere Menschen für Sex „ausnutzen“. Wir alle kennen die Reportagen über Zwangsprostitution. Wie groß schätzt du das Problem ein – ist es die Regel oder der Einzelfall?

Huschke Mau gehört zu den eben erwähnten Menschen, die Sexarbeit generell als missbräuchlich wahrnehmen – ihr langfristiges Ziel ist die Ächtung und Abschaffung der Branche. Jedes Argument, das im Gegenteil auf die Verbesserung der Branche abzielt, wird dort logischerweise ins Leere laufen. Was mich wütend macht, ist, dass viele Sexarbeit-Gegner bestimmte Aussagen geradezu mantraartig in der Öffentlichkeit wiederholen, obwohl diese längst als nicht korrekt entlarvt wurden. Ein Beispiel ist: ´9 von 10 Prostituierten wollen aufhören.´ Dabei gibt es bis heute keinerlei belegbare Daten zur Gesamtzahl der Sexarbeitenden. Daher kann es nicht stimmen und ist reine Propaganda zum Durchsetzen ihres Ziels.

In einem Spiel mit Machtgefälle kann sowohl der dominante als auch der submissive Part total aufgehen – man kann loslassen, Dinge tun und sagen und fühlen, die im Alltag nicht möglich sind. © L-THORE REHBACH

Ärgert es dich denn, wenn Sexarbeiter, die freiwillig in der Branche arbeiten, gerne auch einmal als „verwirrte Einzelfälle“ abgetan werden?

Ja, die verwirrten Einzelfälle kommen immer wieder zur Sprache. Sexarbeitende, die sagen, dass sie den Job freiwillig machen, werden entweder als Lügner, als besonders traumatisiert, als naiv oder als Mit-Profiteure abgehakt. Nicht falsch verstehen, ein Happy Hooker, der voll in seiner Arbeit aufgeht wie ich, ist jetzt auch nicht die Regel. Die Hauptmotivation der meisten Leute für ihren Job ist schlicht, dass sie damit ihr Geld in einer kapitalistischen Gesellschaft verdienen, das ist bei Sexarbeitern nicht anders. Bei zahlenmäßigen Aussagen muss man immer bedenken, dass es große Unterschiede in der Definition von Freiwilligkeit gibt, gerade wenn Sexarbeit betrachtet wird – siehe Kapitalismus.

Du bist selbst auch immer wieder in Kontakt mit Sexarbeitern von der Straße und sagst, dass das illegale Geschäft im schwulen Sektor vor allem familiäre Migrationsprostitution aus Rumänien oder Bulgarien ist. Da fahren die Onkel, die früher selbst als Sexarbeiter tätig waren, ihre Neffen über die Grenze, um in Deutschland Geld zu verdienen. Kannst du nachvollziehen, dass hier immer wieder Kritik laut wird?

Natürlich, Minderjährigkeit geht gar nicht. Die Frage ist wiedermal, wie erreichen wir Verbesserungen am sinnvollsten? Sexueller Missbrauch und Ausbeutung sind bereits verboten. Auf den Missbrauch und die Ausbeutung von Minderjährigen stehen strenge Strafen. Wenn man an der Realität merkt, dass Verbote hier nichts helfen, inwiefern soll ein weiteres „unterbinden“, also verbieten, den Jungs weiterhelfen, die sich oft selbst gar nicht als Opfer wahrnehmen? Niedrigschwellige Beratungsangebote, Sozialarbeiter, die auf die Straße gehen und langfristig Vertrauen aufbauen, immer wieder Unterstützung anbieten, empowern – das sind reale Hilfsmaßnahmen, die viel mehr finanzielle Unterstützung erfahren sollten.

ZUR PERSON
André Nolte

André Nolte ist Pressesprecher des Berufsverbandes
für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD e.V.)
und setzt sich für die Rechte von Menschen in der
Sexarbeit ein.

 

Du hast mir erzählt, dass gerade unter Homosexuellen anders auf die Sexarbeit geblickt wird, hier ist es beinahe cool, ein Sexworker zu sein, man wird sozusagen für den Sex auch noch bezahlt, ist also ein besonders heißer Kerl. Seit dem Ausbruch von Covid gab es dabei einen Anstieg von rund 20 Prozent bei der schwulen Sexarbeit.

Gerade bei den schwulen Portalen gibt es viele Hobbyprofile von Männern, die sich zwischendurch was dazuverdienen, aber sich vermutlich nicht alle als Sexarbeiter bezeichnen würden, und es gibt zudem die, die ein solches Profil anlegen, um aus der Rolle lediglich einen Lustgewinn zu ziehen, aber eigentlich keine wirklichen Einkünfte erzielen. Ich glaube, die aktuelle Lage zeigt jedoch, dass Sexarbeit noch immer besonders dann an Bedeutung gewinnt, wenn sich Krisen anbahnen. Und Sexarbeit ist eben eine Möglichkeit, Geld zu verdienen.

24.900 Sexworker meldete das
Statistische Bundesamt für das
Jahr 2020.

Ich stelle mir gerade die schwule Sexarbeit als besonders schwierig vor, weil ein Mann seine Erregung kaum vortäuschen kann. Naiv gefragt, wie können Sexarbeiter hier immer „ihren Mann stehen“, selbst wenn der Kunde vielleicht nicht als erotisch wahrgenommen wird?

Die Grenzen sind da viel fließender, als wir oft denken. Wie Magnus Hirschfeld schon gesagt hat, ist die reine Homo-, beziehungsweise Heterosexualität ein Extrem, das recht selten ist. Darüber hinaus geht es in der schwulen Sexarbeit auch nicht immer um die klassische Penetration. BDSM- und Fetisch-Praktiken sind sehr verbreitet. Viele professionelle Sexarbeitende haben auch eine enorm hohe erotische Vorstellungskraft und können dann darüber Erregung erzeugen. Zu guter Letzt, das muss man ganz offen sagen, gibt es auch Viagra.

Die Sexarbeiter, mit denen ich geredet habe, sagen, das ist ein Job wie jeder andere. Kritiker bestreiten das und sagen, diese Arbeit „verletze“ emotional. Wie sieht du das?

Ich finde in dieser Frage hat die Meinung von Menschen, die den Job machen, mehr Gewicht, als von Leuten, die sich das nur gruselnd vorstellen. Menschen, für die Sex ausschließlich eine intime Angelegenheit zwischen zwei Liebenden im Schlafzimmer sein darf, oder die in der Sexualität nicht zwischen Privat und Beruf trennen können, sollten kommerzielle Sexualität natürlich meiden, da es ansonsten zu psychischen Verletzungen kommen kann. Dieses subjektive Gefühl „Aber ich könnte das nie“ auf Menschen zu projizieren, die das anders sehen, erscheint mir seltsam. Ja, Sexarbeit ist keine Tätigkeit für jeden oder jede – für manche ist es geeignet, für andere gar nicht. Das gilt auch für andere Berufe und Tätigkeiten. Ob die jetzt besonders niedrigschwellig sind, wie die Arbeit am Bau oder Spargelstechen, oder ob es solche mit hoher Emotionsarbeit sind, zum Beispiel Pfleger im Hospiz oder die Arbeit mit psychisch kranken Menschen. Mich persönlich würde Arbeiten am Bau psychisch total fertigmachen, auch wenn ich es körperlich noch hinbekommen würde. Da vögele ich lieber auch mal jemanden, den ich nicht so toll finde und denk es mir schön.

Cis- und trans* weibliche Sexarbeit mit männlichen Kunden, hat sich in der Pandemie in Privatwohnungen sowie Hotels verschoben und ist bis heute zu einem sehr großen Teil dort geblieben. © iStock/Armin Staudt

Noch immer ist die rechtliche Lage von Sexarbeitern in Europa schwierig, vor kurzem haben sich mehrere Verbände zusammengeschlossen, um hier die Rechte gerade auch von LGBTI*-Sexarbeitern zu stärken. An was mangelt es derzeit am meisten?

Es fehlt an einer Lobby. LGBTI*-Sexworker haben zudem mit Queer-Diskriminierung zu kämpfen und schleppen noch zusätzlich die Last von schlechten Arbeitsbedingungen und das Stigma von Kriminalität mit. Jemanden „Schwuchtel“ zu nennen, ist offiziell diskriminierend, „Du dreckige Hure“ nicht. Übrigens hat sich der LSVD gerade ganz aktuell pro Sexarbeit positioniert – es bleibt also zu hoffen, dass sich die Zeiten ändern und die Anliegen von LGBTI*-Sexarbeitern ernster genommen werden.

Über 90 Prozent der rund 20.000 schwulen Seworker online sind nur gelegentlich aktiv. Du hast vor knapp zehn Jahren den Sprung in die professionelle Sexarbeit gewagt. Gibt es aus deiner Sicht Gefahren im Job, die man beachten muss?

Gerade in der Berliner Schwulenszene ist Chemsex sehr verbreitet – was ich da an Jungs habe kommen und gehen sehen. Ich kann Anfängern nur empfehlen, Abhängigkeiten in jeder Form zu vermeiden, sowohl zu Substanzen als auch zu einzelnen Personen, Stichwort Sugardaddy. Neben Sicherheit und Vorsicht für den eigenen Körper ist es wichtig, auf die emotionale Gesundheit zu achten. Das beginnt damit, die eigenen Grenzen wahrzunehmen und dann zu lernen, wie man sie wahrt.

Ich kann Anfängern nur empfehlen,
Abhängigkeiten in jeder Form zu
vermeiden, sowohl zu Substanzen
als auch zu einzelnen Personen,
Stichwort Sugardaddy.

Du arbeitest als dominanter Master. Noch immer ist der Blick auf die Fetisch-Szene auch innerhalb der Community eine manchmal herablassende. Was sagst du dazu?

Ich wünsche mir, dass wir lernen, innerhalb der LGBTI*-Community toleranter zueinander zu sein. Dieser Drang, möglichst dem Mainstream zu entsprechen und dabei andere pervers zu nennen, zeugt nur davon, dass Mama und Papa noch in unseren Köpfen sind. Frei nach dem Motto: Wenn ich meine Eltern schon nicht mit meiner sexuellen Ausrichtung oder geschlechtlichen Identifikation glücklich machen kann, dann muss meine Sexualität aber unbedingt dezent im Schlafzimmer stattfinden.

Worin liegt für dich das Besondere in diesem Zwischenspiel zwischen Dominanz und Unterwerfung?

Mit Hilfe von BDSM können wir uns selbst in ganz anderer Form spüren. Temporär ein wenig an der Fassade zu kratzen und gesellschaftliche Normen ablegen zu können, kann erotisch und befreiend sein, sogar eine kathartische Wirkung haben. In einem Spiel mit Machtgefälle kann sowohl der dominante als auch der submissive Part total aufgehen – man kann loslassen, Dinge tun und sagen und fühlen, die im Alltag nicht möglich sind.

 Auf der Straße ist das illegale Geschäft im schwulen Sektor vor allem durch familiäre Migrationsprostitution aus Rumänien und Bulgarien ein Problem. (Symbolfoto) © iStock/SB Arts Media

Du hast auch heterosexuelle Männer, die zu dir kommen – warum?

Wenn Heteromänner zu mir kommen, kann alles Mögliche dahinterstecken. Homoerotische Phantasien, die ansonsten nicht ausgelebt werden. Der Wunsch nach einer Tracht Prügel von einem Kerl, mit oder ohne erotischen Kontext. Oder auch der Wunsch nach Demütigung, indem man explizit von jemanden, den man nicht sexuell begehrt, vorgeführt oder sexuell benutzt wird.

Die einen in der Community setzen sich dafür ein, dass alle Fetische gleichberechtigt existieren dürfen, andere wünschen sich, dass das Thema ein Stück weit verrucht bleibt. Deine Einschätzung?

Da muss ich natürlich schmunzeln, denn mir ist durchaus bewusst, dass, wenn ein Tabu wegfällt, das Spiel mit diesem Tabu mit der Zeit oft weniger verbreitet wird. Gesamtgesellschaftlich gesehen ist der Ruf von Verruchtheit für mich aber eine Form der Abwertung. Und der Abbau von Abwertung hat für mich immer höhere Priorität als der, aus meiner Sicht einfach zu verkraftende, mögliche Verlust eines Extra-Kicks.

LGBTI*-Menschen mussten lange um die
Daseinsberechtigung ihrer Sexualität
kämpfen und haben ihre Sexualität in der
Regel auch stärker reflektiert. Das ist kein
Grund zur Scham, sondern zum Feiern.

Über Fetisch wird auch jedes Jahr in der Pride-Saison diskutiert. Immer wieder werden zum Beispiel Puppys angegriffen, denn sie würden der LGBTI*-Community mehr schaden als nützen, wenn sie sich öffentlich zeigen.

Ich finde im Gegenteil, wir können sogar stolz darauf sein, dass wir der Heterowelt in dieser Angelegenheit ein paar Schritte voraus sind. LGBTI*-Menschen mussten lange um die Daseinsberechtigung ihrer Sexualität kämpfen und haben ihre Sexualität in der Regel auch stärker reflektiert – klar, dass wir uns unserer BDSM- und Fetisch-Bedürfnisse deshalb oft bewusster sind als der Mainstream. Das ist kein Grund zur Scham, sondern zum Feiern.

Was würdest du dir generell mit Blick auf die Gesellschaft wünschen, wenn du an Sexarbeit in Deutschland denkst?

Ich wünsche mir generell mehr Toleranz rund um das Thema. Und mehr Interesse an realistischen Ansätzen und Gesprächen mit Betroffenen, statt einer Empörungs-Performance. Es braucht eine Entemotionalisierung der Diskussion. Es stimmt, dass in unserer Branche oft schlechte Arbeitsbedingungen herrschen, das sieht in anderen Branchen mit so großer Arbeitsmigration nicht anders aus. Wir müssen uns als Gesellschaft der Herausforderung stellen, eine Konsens-Sensibilität zu entwickeln. Also gezielt überprüfen, ob Straftaten vorliegen, oder die Arbeitsverhältnisse schlecht sind, aber nicht plumpe Verbote und unsichtbar machen von Missständen. Und das, was Menschenrechtsorganisationen selbst seit Jahren predigen: Den Zugang zu mehr Rechten und dadurch die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitern.

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