Leserumfrage „Tolerance Day!“
„Vielfalt als Chance“ – CSD Motto
„Jede Ausgrenzung verbietet sich.“ – Zitat Angela Merkel
„Wir alle haben Fremdbilder im Kopf. Sie setzen sich aus Erfahrung, Gehörtem und ungeprüften eigenen Vorstellungen zusammen. Bei manchen werden Fremdbilder zu Feindbildern“.
Am 19. Februar war „Tolerance Day!“ Wir haben mal nachgefragt, wie es innerhalb der Community mit der Toleranz aussieht!
In den Medien und auf den Straßen Deutschlands, Europas und der ganzen Welt geht es aufgrund der erschütternden Realität derzeit heiß her. Aber vergessen wir schon wieder den Sommer mit allen weltweiten CSD-Demonstrationen? Demonstrieren wir noch oder gehen wir nur feiern? Grenzen wir uns selbst ab? Tolerieren wir uns innerhalb unserer eigenen Gruppierung? Tolerieren wir wirklich alle unsere Mitmenschen und deren Ansichten? Was ist mit dem Mitmenschen direkt nebenan, den Fußballspielern auf dem Feld, dem Ausländer oder dem Penner neben uns in der U-Bahn, dem Touristen, dem in Deutschland lebenden Ausländer oder der Kopftuchträgerin von nebenan? Sind wir tolerant? Bin ich tolerant? Jeder Einzelne von uns muss sich diese Frage selbst stellen und beantworten und seinen Beitrag dazu täglich leisten. Beileidsbekundungen, Anteilnahmen via unpersönlicher Medienkommunikation, einmal im Jahr zum CSD zu gehen... Das ist alles wichtig, aber es reicht nicht. Sind wir noch in der Lage, persönlich zu kämpfen, zu helfen, für etwas einzustehen? Meine klare Meinung: Die Vielfalt ist eine Chance und keine Gefahr. Ich selbst baue alle meine geschäftlichen Tätigkeiten auf diesem Konzept auf und egal, wo, in welcher Stadt, in welcher Branche ich arbeite. Seit den neun Jahren meiner Selbstständigkeit erlebe ich offene Toleranz meiner Gäste, Kunden und Mitbürger. So entstand aus eventuellen Fremdbildern kein Feindbild, sondern ein toleriertes Miteinander. Im Privaten klappte es im Übrigen ebenso. Egal, ob bei Freunden oder der Familie. Seid also vielfältig, (er)lebt die Chancen und die Toleranz.
Dominik K., Essen
Toleranz ist ein breit gefächertes Thema. Ich erwische mich ja manchmal selbst dabei, mal tolerant und mal weniger tolerant zu sein. Dann etwa, wenn man weniger darüber nachdenkt, was man da gerade so „unsauber“ gedacht hat. Erschreckend finde ich, dass man in einer so toleranten Stadt wie Köln abends sehr darauf achten muss, nicht den falschen Leuten zu begegnen. Ich saß an schönen Sommertagen oft auf der Terrasse schwuler Cafés und bekam mit, wie man uns aus vorbeifahrenden Autos bedroht und angefeindet hat und uns schwulenfeindliche Sprüche wie „schwule Säue“ oder „Wir machen euch fertig“ zugerufen hat. Also von Respekt und Toleranz keine Spur. Eigentlich sollte man schon im Elternhaus und in den Grundschulen damit anfangen, Kindern beizubringen, was das Wort Toleranz bedeutet. Und was für ein Reichtum es ist, ein freies Leben führen zu können. Man braucht ja nur nach Russland und in unzählige andere Länder zu blicken, um zu erkennen, was es heißt, wenn man diese Freiheit nicht besitzt.
Ich bin der Meinung, jeder sollte jeden so leben lassen, wie er es wünscht. Leider merke ich aber auch, dass gerade bei den jüngeren Menschen die Toleranz an Bedeutung abnimmt. Besonders bei Schwulen merkt man, dass man ab einem bestimmten Alter – wenn man die 40 erreicht hat – nicht mehr respektiert wird. Da ist es einfach ein Makel, älter zu sein. Da hilft es auch kaum, denen nett und freundlich gegenüberzutreten, weil die sowieso nur annehmen, man will sie anmachen, im doppelten Wortsinn. Ich bin auch oft geschockt, wie respekt- und niveaulos und in welchem Ton sich jüngere Leute mit älteren Menschen unterhalten. Das, was man uns als Anstand beigebracht hat, ist für viele ein absolutes Fremdwort.
Frank, Köln
Es gibt genug Gründe, sich über den eigenen „Akzeptanzgraben“ zu bewegen, um anderen in ihrem Anderssein begegnen zu können. Es ist nicht möglich und auch nicht notwendig, alles „Anderssein“ zu verstehen, aber es ist möglich, Mitgefühl zu entwickeln, auch denen gegenüber, die mit ihrem Verhalten außerhalb des eigenen Verständnisrahmens liegen. Leider gibt es nur wenige, die wirklich über ein „Anderssein“ nachdenken wollen, obwohl gerade Schwule in den 1980igern für das „Andere“ kämpften. Das Gewöhnlichere und Unanstrengendere ist leichter zu leben. Was mich persönlich ärgert: auf den blauen Seiten zu sehen, wie man sich innerhalb der eigenen Szene ausgrenzt. Da werden Forderungen gestellt, z.B. „keine Dicken und Alten“ oder „Asiaten brauchen sich gar nicht erst zu melden“. Das kann ja jeder für sich denken, aber muss man das nach außen mitteilen? Wären mehr Leute bereit, sich die Angst hinter der Abgrenzung anzuschauen, kämen sie im Resultat der Erfüllung ihrer Wünsche möglicherweise ein Stück näher. Es fehlt der heutigen, schnelllebigen Gesellschaft die Fähigkeit, stehenzubleiben. Bemühten sich Menschen mehr um dieses „Stehenbleiben“, dann würde das die Räume eröffnen, in denen sie ankommen wollen. Es gibt auch nur wenig Annäherungen oder gar Freundschaften zwischen Lesben und uns Schwulen, die außerhalb des CSD's eine gemeinsame Tragfläche haben. Die Realität zeigt leider, dass die Anteile überwiegen, uns gegenseitig eher zu verabscheuen. Ich finde, es hat auch mit Toleranz zu tun, wenn Frauen einen Laden eröffnen, den Männer nicht betreten dürfen. Toleranz fängt da an, wo man nicht alles gut finden muss, aber anderen ihre Freiheit lässt, so zu sein, wie sie sein wollen. In der Tat habe auch ich Toleranzgrenzen. Drogen zu konsumieren und ohne Gummi zu vögeln, wären für mich keine Wege für persönliches Glück.
Frank H., Berlin
Vereinen und Initiativen geht es nicht ohne ehrenamtliche Unterstützung. Unsere Community ist darauf angewiesen, um einerseits Schutzräume und andererseits Sichtbarkeit zu entwickeln, zu erhalten und auszubauen. Dabei können wir erleben, dass es neben der geschlechterspezifischen identitätsbildenden Arbeit von Schwulen und Lesben einen immer wichtiger werdenden Bedarf an Gemeinsamkeiten, auch mit Trans*-Engagierten gibt. Gemeinsam sind wir vielfältiger, gemeinsam sind wir stark, gemeinsam macht vieles auch einfach mehr Spaß. Gemeinsames Handeln ist für viele unserer Arbeitsbereiche zum Erfolgsrezept geworden. Wir erleben das in der Schulaufklärung, in der Jugend- und SeniorInnenarbeit, in der Familienselbsthilfe, in der ARCUS-Stiftung und in der politischen Lobbyarbeit.
Ausschließlich Männer wurden im Januar in den Vorstand des Kölner Schwulen- und Lesbentages gewählt, auch deshalb, weil sich keine Lesbe zur Wahl stellte. Dafür gibt es sicherlich viele Gründe, die an anderer Stelle zu erörtern sind. Dabei ist eine Zusammenarbeit, wie wir sie etwa als Geschäftsführungen der beiden Landesverbände für Lesben und für Schwule in vielen Arbeitsbereichen entwickelt haben, oftmals entlastend und von großen Synergien geprägt. Wir müssen mit unseren eh schon gering ausgestatteten Strukturen nicht alles doppelt machen. Häufig erleben wir in den Mitgliedsgruppen vor Ort noch, dass dieser Mehrwert vielleicht erkannt, aber noch nicht gelebt wird. Deshalb möchten wir ausdrücklich dafür werben, sich in gemischten Teams zu engagieren und die eigenen Spielräume auszuweiten. Die oft unterschiedlichen Arbeitsweisen und das Lösen von Problemen sind für Schwule wie Lesben bereichernd. Zeigen wir der Gesellschaft, wie eine geschlechtergerechte Arbeit auf Augenhöhe aussehen kann. Wir können das!
Gabriele Bischoff, Geschäftsführerin LAG Lesben in NRW e.V.
Markus Johannes, Landesgeschäftsführer Schwules Netzwerk NRW e.V.
Ich mag das Wort Toleranz überhaupt nicht. Toleranz heißt, die Andersartigkeit eines anderen gerade einmal zu dulden. Wenn man jemanden toleriert, so stellt man sich über jemanden. Wir alle sollten wohl eher Akzeptanz anstreben und akzeptieren, dass es eine große Vielfalt an Menschen und Lebensmodellen gibt. Ich finde es falsch, zu glauben, das eigene Lebensmodell und das eigene „Ich“ wären besser als das eines anderen. Jeder darf leben, wie er will, aber jeder muss auch das Recht haben, nicht alles gut finden zu müssen. Wir Schwulen scheinen momentan ziemlich empfindlich geworden zu sein. Irgendwie scheint es momentan „in“ zu sein, an jeder Ecke Homophobie zu wittern. Dabei sind innerhalb unserer eigenen Szene Ausgrenzung, Beleidigungen und Intoleranz doch an der Tagesordnung: zu dick, zu dünn, zu jung, zu alt, zu klein, zu groß, zu modisch, zu schrill, zu tuntig, zu spießig, zu haarig, zu nackt, zu muskulös, zu unfit zu XY. Niemand kann und muss es jedem Recht machen. Keiner, der nicht in mein Beuteschema fällt, ist weniger wert. Zum Glück ist der durchschnittliche Schwule meist so sozialisiert, dass er nicht direkt zuschlägt, sondern wir uns oft mit verbalen Äußerungen und Blicken abweisen und anzicken. Lesben und Schwule feinden sich an, Transsexuelle, Transen, Tunten und Drags werden teilweise innerhalb der Szene verachtet und konservative Schwule hassen alles Schrille und Bunte, da man selber ja „so nicht ist“. Wir sind weit entfernt davon, uns gegenseitig zu akzeptieren. Vielleicht sollte man weder Toleranz noch Akzeptanz lernen, sondern Respekt vor anderen Menschen, ihren Gefühlen und ihrem Leben. Respektvoll miteinander umzugehen wäre vielleicht mal ein guter Ansatz für das Jahr 2015.
Sten K., Wuppertal
Das fängt ja schon beim ewigen „Zickenkrieg“ zwischen Köln und Düsseldorf an. Wird in einer der Städte nur der Name der anderen Stadt genannt, wird schon laut gebuht. Das historische Konkurrenzdenken ist vielleicht zum Running Gag geworden, aber es ist auch so, dass ein Kölner nicht in die Düsseldorfer Szene fährt, wohl aber ein Düsseldorfer in die Kölner.
Wir Schwulen drücken uns da selber oft einen Stempel auf, weil wir uns in Kategorien drängen. Wir gehen dorthin, wo wir unseresgleichen finden, und stehen den Gruppen, die unsere Vorlieben nicht teilen, intolerant gegenüber. Wie oft hört man: Der ist zu alt, der zu fett, zu behaart, zu tuntig. Man akzeptiert nur das, was man selbst mag und akzeptiert nicht, dass andere einen anderen Geschmack haben. Das sollte eigentlich schon in der Erziehung mitgegeben worden sein. Ich könnte mir selbst auch Intoleranz vorwerfen, denn ich selber bevorzuge Treffs, wo sich Männer ab 40 aufhalten. Jüngere sind für mich eher uninteressant, sie geben mir nichts. Das heißt aber nicht, dass ich sie nicht akzeptiere. Das Verhältnis zwischen Schwulen und Lesben ist selten harmonisch. Die Frauen wollen meistens unter sich sein. Ich habe eine lesbische Freundin auf eine Frauen-Party begleitet und war dort einfach Luft. Ich weiß allerdings nicht, ob das fehlender Respekt oder Angst vor Verletzung und Abweisung ist. Da sind Schwule offener, wenn ich eine Freundin mit in eine schwule Bar nehme, wird sie dort von den Jungs auch akzeptiert und angenommen.
Letztendlich finde ich, dass wir Schwulen endlich anfangen sollten, über unseren Schatten zu springen. Wir sollten Toleranz erlernen und das auch unseren „andersdenkenden“ Mitmenschen gegenüber zeigen. Man(n) kann auch einen geselligen Abend mit Leuten haben, die nicht in das eigene Raster passen.
Tobias, Düsseldorf