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Leserumfrage // © izusek

Leserumfrage Erleben wir ein neue Prüderie?

vvg - 15.03.2017 - 10:00 Uhr

Ich finde, jeder sollte so leben, wie er es möchte, da darf und sollte es keine Einschränkungen geben, solange man seinen Mitmenschen nicht schadet. Das sollte auch bei der sexuellen Orientierung selbstverständlich sein, dass jeder und jede sich für das Lebensmodell entscheidet, welches er für sich am geeignetsten hält. Es gibt Dinge auf dieser Welt, die hat man sich nicht ausgesucht, aber nur man selbst muß damit klarkommen und eine tolerante Umgebung kann dies ermöglichen. Ich - und sicherlich viele andere Menschen - fühlen sich in der letzten Zeit sehr schlecht von unserem Rechtsstaat geschützt; generell in allem was Kriminalität und insbesondere Menschenhass betrifft. Das empfinden nicht nur alte Leute so, ebenso Frauen, die lesbischen eingeschlossen und vor allem schwule Männer. Man bekommt viel über die Medien mit und fühlt sich schutzlos. Ich arbeite als Krankenpfleger in einem katholischen Krankenhaus, obwohl ich selbst evangelisch bin. Ich halte nicht viel von Religion; meine Aufgabe ist es, Leuten zu helfen, losgelöst davon, welcher Konfession (und Sexualität) sie angehören. Bei meine Kollegen habe ich mich geoutet, andere fremde Menschen geht das nichts an, denn leider haben viele Teile der Gesellschaft ein negatives Bild in ihrem Köpfen und betrachten Homosexuelle als krank; sehen sie als Abschaum. Das ist sicherlich mit ein Grund, dass viele schwule Männer sich auch heute nicht öffentlich outen, weil sie die Angst haben, danach nicht mehr akzeptiert zu werden. Leider fehlt innerhalb der Szene auch ein gemeinsames Miteinander; man hält nicht mehr zusammen, weil jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und nur darauf achtet, dass es ihm selbst gut geht. Doch gerade in unsicheren Zeiten, ist es wichtig zusammen zu stehen.
Marco aus Solingen
 

Marco // © vvg

Ich finde, besonders junge Leute kehren zurück zur Spießigkeit. Das leite ich von ihren  Kommentaren ab, die sie auf der Straße oder im Internet über Schwule abgeben, z.B. das sich „Homosexualität nicht gehört!“ Sie stellen die Familie in den Vordergrund und deren Rechte sollte man eher fördern statt die von Schwulen und Lesben. Ich persönlich bin auch schon angefeindet worden: Im Sommer 2016 beim Aussteigen aus der Berliner S-Bahn mit meinem Freund wurden wir von einem Vater angerempelt, der seine kleine Tochter auf der Schulter trug. Nachdem er uns zuerst anpöbelte, ob wir nicht aufpassen könnten, wurden wir nach kurzer abwertender Musterung mit den Worten „Scheiß Schwule, euch sollte man alle vergasen!“ beschimpft. Als er uns mit dem Fuß traktierte und mir sogar ins Gesicht schlug, begaben wir uns schnellstens aus der Gefahrenzone; denn weder Polizei noch irgendein Passant waren zu sehen, die uns zu Hilfe kommen konnten.

Ich hörte auch vom Künstler auf der Kölner X-Mas Avenue, der von einer Frau angezeigt wurde, weil er Penisbilder verkaufte. Das finde ich übertrieben: Warum besucht das „Klage-Weib“ keinen heterosexuellen Weihnachtsmarkt, wo sie solche Bilder nicht ertragen muss? Ich nehme ja auch Rücksicht auf andere und würde nie in Fetisch-Klamotten in öffentlichen Verkehrsmitteln reisen, selbst wenn es zum CSD ginge. Sicherlich laufe ich auch nicht Händchen haltend durch die Stadt, weil ich nicht schräg angepöbelt werden möchte. Dieser Kompromiss ist eine Mischung aus Rücksichtnahme und eigener Vorsicht. Die Leute sind heute wesentlich einfacher und schneller dabei, um zu provozieren, zu diskriminieren und ihre intolerante Meinung herauszuposaunen. Ich glaube mit der Szene wird es weiter bergab gehen, auch weil viele denken, wir hätten alles erreicht und brauchen keinen CSD mehr, um politisch zu sein. Wir müssen aber weiter auf die Strasse gehen, dürfen uns nicht alles gefallen lassen und dürfen auch nicht die Klappe halten.
Michael H., Münster
 

Michael // © vvg

Ich habe schon den Eindruck, dass wir uns mit dem, was wir inzwischen erreicht haben, langsam wieder zurück entwickeln. Ich selber habe mit meinem Mann keine persönlich negativen Erfahrungen gemacht, trotzdem habe ich dafür ein gutes Beispiel: Ich habe als Fotograf einige Fotos meiner letzten Ausstellung auf meinem Instagram-Account gepostet. Darunter befand sich ein Bild, dass ein männliches, nacktes Hinterteil zeigt, auf dem eine Hand liegt. Einen Hintern sieht man heutzutage in jeder Sauna und nicht nur an FKK-Stränden. Da ist nichts anstößiges oder Pornografisches dran. Nach 2 Stunden online wurde das Foto wegen sexuellem Inhalt gelöscht. Ich habe das Bild erneut hochgeladen, allerdings dieses Mal mit einem schwarzen Balken versehen. Dasselbe ist doch einem Berliner Künstler passiert, der seine gemalten Penisse überkleben musste, weil sich ausgerechnet eine Heterofrau über die männlichen Geschlechtsteile auf einem schwulen Weihnachtsmarkt aufgeregt und eine Anzeige gemacht hatte. Ich finde so etwas einfach lächerlich, habe aber keine Ahnung, wo das herrührt? Aber diese Rückentwicklung dauert ja schon eine ganze Weile. Vielleicht ist das ein Ding aus den USA, wo man solche Prüderie schon länger kennt und wo man bloß keine Nippel zeigen darf: man könnte ja daraufhin erblinden. Ich denke, in den Köpfen mancher Menschen taucht etwas Anderes auf, als das, was man tatsächlich sieht. Ich weiß nicht, ob die Menschen zur Spießigkeit zurückkehren, oder ob da Einflüsse aus anderen Ländern hinzukommen. Vielleicht wollen sich einige auch nur wichtig machen, indem sie etwas „krank" finden, was eigentlich normal ist. Der erhobene Zeigefinger ist schnell oben, wenn man etwas nicht sehen mag; dabei kann jeder jederzeit alles im Internet sehen. Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt - wie es bereits in einigen Ländern passiert - dass die Schwulen wieder Angst um ihre Zukunft und ihr Leben haben müssen.
Oliver Zeuke, Düsseldorf
 

Oliver // © vvg

Ich beobachte, dass eine harte Welle rückwärts kommt, welche die Sexualität ausblenden will. Sie geht einher mit der Vorstellung, dass Kinder generell von Männern und Schwulen bedroht werden, und man schlussfolgert, dass die Sexualität zurück gedrängt werden muss. Das ist eine Mischung aus faschistischen, erzkatholischen und evangelikalen Einflüssen, welche die „wahre“ Sexualität nur erlauben, wenn sie sich innerhalb von festen Beziehungen abspielt mit nur einem Partner / einer Partnerin. Man suggeriert, die Abbildung von Geschlechtsteilen ist obszön und es ist nicht selbstverständlich, was wir in der Welt haben: nämlich Körperteile wie Brüste, Vaginas, Penisse und Ärsche, die auch gesehen, geschätzt und geliebt werden sollten. Es kommt von Menschen, die mit der Modernisierung und Globalisierung nicht zurecht kommen und einen Urzustand der Gesellschaft wiederherstellen wollen, den es nie gab. Dazu gehören keine Ausländer und keine sexuell Anderslebenden. Alle sollen in glücklichen Familien leben, die wunderbar sortiert sind, wo die Frau am Herd steht, der Mann das Geld ranschafft und die Kinder gehorchen. Diese Welle rückwärts geht zusammen mit einer erstarkenden Macht der Religionen, wie man sie in Russland und Polen beobachtet, wo sie starken Einfluss auf das gesamt-gesellschaftliche Zusammenleben nehmen. Rechte und Freiheiten, die wir über Jahrzehnte erkämpft haben, sollen verdrängt und uns weggenommen werden. Und auch wenn Trump kein ausdrückliches antischwules/antilesbisches Programm hat, sind die Werte, die er vermittelt, trotzdem so, dass sie in diese Richtung zeigen werden. Was wir dagegen tun können, ist informieren. Es bringt nichts, Gruppen wie die AfD auszuschließen - wir müssen sie mit Argumenten bloßstellen und ihre wahren Absichten aufzeigen. Sonst werden sie wie ein Krebsgeschwür in der Gesellschaft wuchern. Wenn das passiert, bekomme ich wirklich Angst.
Prosper Schücking, Berlin - Ministerialdirigent beim Deutschen Bundestag
 

Prosper // © vvg

Wenn ich mir tagtäglich die Schlagzeilen in den Medien anschaue, mache ich mir schon Sorgen um die Zukunft. Die Feindseligkeiten gegenüber Menschen, die Minderheiten sind, nimmt weltweit zu. Ob das nun in Russland unter Putin Gesetze gegen Homosexualität sind, in der Türkei die "Säuberungenwelle" in Institutionen, Medien und in der Wirtschaft nach Erdogans Motto: "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!" oder was demnächst in Amerika unter dem frisch gewählten Trump passieren wird: überall werden die Zeiten für schwule Männer, Andersdenkende und Andersfühlende schwieriger. Da können wir uns nicht heraushalten, dass es bisher nur in anderen Ländern stattfindet, es betrifft uns alle; auch hier in Deutschland. Trump will die Welt umkrempeln und unsere Rechte, die wir uns über Jahre hart erkämpft haben, zunichte machen. Man muß nur einmal seine ersten Amtstage betrachten ...

Ich selbst habe mich, obwohl ich verpartnert bin, nach außen hin immer abgeschottet; weil ich Angst davor hatte, dass man uns doof anmacht. Natürlich sollte man sich öffentlich machen und zu seinem Lebensstil stehen, denn die Feindlichkeit uns gegenüber nimmt besonders durch die negativen Einflüsse rechter Parolen täglich zu. Wir werden nicht mehr so akzeptiert, wie das noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen ist. Hinzu kommen auch die Einflüsse der Einwanderer aus muslimischen Ländern, die uns vorschreiben wollen, dass wir so zu leben haben, wie es einzig ihre Religion erlaubt. Ich appeliere an die Szene und all ihren Vereinigungen, wachsam zu sein und alle demokratischen Mittel einzusetzen, um unsere erzielten Erfolge zu bewahren und ein für alle Mal, Diskriminierungen gegenüber Minderheiten auszuschließen, indem man die Strafgesetzte diesbezüglich konkretisiert und auch anwendet.
Volkmar aus Essen          
                           

Volkmar // © vvg

Wir sind im Mai 2015 gemeinsam in eine neue Wohnung in der für Schwule ja so toleranten Stadt Köln gezogen. Den Mitbewohnern war vorab bekannt, dass ein schwules Pärchen einziehen würde. Die meisten Nachbarn hatten soweit keine Probleme mit uns, bis auf die Familie X: Er: Araber mit Migrationshintergrund; Sie: zum Islam konvertierte Deutsche. Im weiteren Verlauf des Zusammenlebens entwickelte dieses Ehepaar uns gegenüber starke Antipathien, die schlussendlich in einer Eskalation endeten. Herr X hatte sich uneinsichtig, intolerant und äußerst homophob gezeigt. Das aggressive Verhalten und die Beleidigungen möchten wir nicht weiter kommentieren. Angemerkt sei nur, dass ein derartiges Verhalten sehr schnell zum Verlust seiner eigenen Mietwohnung - bedingt durch fristlose Kündigung - führen kann. Wir haben sehr schnell begriffen, dass die Toleranz in dieser weltoffenen Stadt gar nicht so groß ist, wie gerne von öffentlicher Seite behauptet, wenn auch nur einzelne ungestraft ihre Homophobie ausleben können. In der Öffentlichkeit werden wir unsere Zuneigung zueinander weiterhin nicht zeigen. Kann diese persönliche Einstellung schon als „neue Prüderie“ bezeichnet werden?

Unsere Community muss sich in der Öffentlichkeit weiterhin bemerkbar machen, dass uns die eingeräumten Rechte und Pflichten dauerhaft zugestanden werden. Der Kampf für unsere Rechte und Pflichten hat nie geendet und geht stetig weiter. Insbesondere sehen wir die Politik und die Stadt Köln deutlich in der Pflicht, den neuen Einwohnern mit oder ohne Migrationshintergrund zu verdeutlichen, wie ein „echtes“ weltoffenes Zusammenleben in der Stadt erwünscht ist. Gegenseitige Akzeptanz und Vielfalt stellt sich jedenfalls anders dar!!!
Wolfgang & Rainer, Köln
 

Wolfgang & Rainer // © vvg

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