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Harald Glööckler // © vvg

Im Interview Harald Glööckler

vvg - 11.12.2019 - 09:00 Uhr

„Man hat nur die Chance, Aufmerksamkeit zu erlangen, wenn man außergewöhnlich ist.“

Harald Glööckler, deutscher Modedesigner und Buchautor, ist im deutschsprachigen Raum so bekannt, dass man ihn nicht vorstellen muss. SCHWULISSIMO traf Harald Glööckler in Frankenthal vor einer Buchpräsentation und bat ihn seine Gedanken - wahlweise zu einem von zwei Begriffen von A bis Z - zu äußern.

Angel Award/Außergewöhnlich

Wir leben in einer Zeit, wo alle auf der einen Seite berühmt, auf der anderen aber uniformiert und gewöhnlich sein wollen. Außergewöhnliche Menschen bewundert und verehrt man, wenn sie einen gewissen Zenit erreicht haben. Wenn sie aber in keine Schublade passen, werden sie mit Häme überschüttet. Man hat nur die Chance, Aufmerksamkeit zu erlangen, wenn man außergewöhnlich ist. Es lebt sich aber einfacher, wenn man sich in der Masse verstecken kann.

Bibel/Biografie

Ich bin protestantisch getauft, habe aber gemerkt, dass die Kirche ihren Pflichten nicht nachkommt, was ich in meinem Buch „Kirche öffne dich“ beschreibe. Als ich festgestellte, dass ich schwul bin und in meinem Elternhaus keinen zum Reden hatte, hatte ich mir gewünscht, mit dem Pfarrer zu reden. Aber der war Mechaniker und wäre besser beim Autobauen geblieben. Ich trat aus der Kirche aus; was sollte ich in einem Verein, der mich wegen meiner Sexualität verurteilt? Später wurde ich von der deutschen Bibelgesellschaft gebeten, einen Schmuckschuber für die Bibel zu entwerfen. Meinen Entwurf nahmen sie an, mein Schuber gewann den Red Dot Award 2017 und es wurden nicht zuletzt durch mich sehr viele Exemplare der Neuauflage der Lutherbibel verkauft. Klasse, wenn ein aus der Kirche ausgetretener, exzentrischer, schwuler Modemacher von der Kirche gebeten wird, eine Bibel zu designen.

Chancengleichheit/Charakter

ist wichtig, aber heute kaum noch zu finden. Das hängt mit der Kirche zusammen, die über Jahrtausende Menschen entmündigte. Wir haben ein angeborenes Wissen, das uns genommen wurde, weil die Kirche sich für das alleinige Gewissen hält. Die, die dagegen waren, wurden gefoltert oder verbrannt. Jetzt hat kaum noch jemand mit der Kirche was im Sinn noch hat man Charakter. Wenn man keinen Charakter hat, hat man auch kein Rückgrat. Und ohne Rückgrat kippt man schnell um.

Depression/Desaster

Das ist doch eigentlich ein anderes Wort für Politik. Und die ist ein einziges Desaster.

Ehe für Alle/Eltern

Mich stört das Wort „Ehe“, das ist so antiquiert. Ich weiß gar nicht, warum wir so scharf darauf sind, eine Ehe führen zu wollen? Mein Mann und ich haben die gleichgeschlechtliche Partnerschaft; wir durften zu der Zeit noch nicht heiraten. Ich war angefressen, dass man die Verpartnerung nicht einfach in Ehe umwandelt. Warum muss man den Weg zweimal gehen? Das ist doch Schikane und ich lass mich nicht schikanieren. Ich bin für „Gleiche Rechte für Alle“ aber nicht für „Ehe für Alle“!

Forever young/Fremdschämen

Will man das? Was heißt forever young? Manche sind schon mit 20 alt im Geiste, andere mit 80 noch jung. Man kann mit 50 nicht wie 20 aussehen, das will man auch nicht. Aber wenn man es gut macht, siehe: Cher, kann man einen Stillstand herbeischaffen und eine Illusion geben, dass man zeitlos aussieht. Aber auch nur, wenn man im Geiste jung ist.

Gina Lollobrigida/Glitter-Glanz&Gloria

Gina ist eine der interessantesten ganz speziellen Menschen in meinem Leben. Sie hat einen faszinierenden Glamour. Und wie ich auf Social Media sehe, inspiriert Sie auch Drag Queens weltweit und sie ist eine große Freundin der Schwulen. Sie war für mich eine Bereicherung, wir verehren uns gegenseitig. Sie ist jetzt 91 Jahre, fit, jettet um die Welt und sieht großartig aus. Sie hat an die 20 Shows von mir anmoderiert und ich war mehrmals in ihrer Villa in Rom.

Heterosexualität/Homosexualität

Irgendwo haben wir beides in uns. Ich bin ein extrem dominanter Mensch, wenn ich aber was haben will, gebe ich das Weibchen. Heteromänner, die mit sich im Reinen sind und weder homo- noch bisexuellen Züge haben, sind die lockersten Typen. Schwierig sind die, die merken, dass da auch was anderes in ihnen steckt, was sie aber verstecken. Sie machen dumme Witze, wollen aber mit Homos nicht in Verbindung kommen.

Internet/Intimsphäre

Die ist bei mir schon einen Meter um mich herum. Ich kann es nicht leiden, wenn man mir zu nahe kommt. Die Intimsphäre ist ja nicht sexueller Art, sondern, wenn sich zwei Menschen treffen und sich etwas entwickelt. Intimsphäre fängt auch beim Handy und der Handtasche an.

Jugendsünden/Jurymitglied

Ich habe in meiner Jugend nicht gesündigt, deswegen muss ich jetzt langsam damit anfangen. Die Sünde ist eine Erfindung der Kirche. Nur alles, was die verbieten, machen die doch selber.

Kreativität/Kritik

…könnte hilfreich sein, wenn sie fundamentalisiert ist und erst dann abgegeben wird, wenn man danach fragt. Sie sollte mit dem Teelöffel verabreicht werden und nicht mit der Schöpfkelle. Kritisieren ist eine deutsche Untugend. Hier wird alles niedergemacht nach dem Motto „Jetzt hat der auch noch rote Fingernägel“.

Laster/Leidenschaft

Ohne Leidenschaft, Passion oder Begeisterung ist Alles Nichts. Immer mehr Menschen sind leidenschaftslos, wir Deutsche sowieso. Südländer, Latinos sind leidenschaftlicher und ich auch, weil ich sehr impulsiv bin. Ich habe eine buddhistische Ruhe, aber in mir brodelt ein Vulkan, der plötzlich ausbrechen kann. Leidenschaft ist großartig, solange die da ist, weiss man, das man lebt.

Harald Glööckler // © vvg

Mode-Guru/Multitalent

Das sind beides große Worte. Man kennt mich durch meine Mode, aber ich habe mehr gemacht: z.B. allein in diesem Jahr fünf Bücher geschrieben. Ein Multitalent ist jemand, der sich traut, etwas zu machen. Dabei muss er nicht begabter sein als andere. Man entdeckt seine Talente, fördert sie, ist diszipliniert - und indem man Kreativität benutzt, vermehrt man sie. Was man nicht nutzt, verkümmert.

Nacktaufnahmen/No-Gos

Es gibt keine No-Gos. Das Geheimnis des Lebens ist, das wir geistige Wesen sind, die eine körperliche Erfahrung machen. Gott oder irgendwer greift nicht ins Geschehen ein und so können wir alles machen, was möglich ist. Allerdings müssen wir uns zur Rechenschaft ziehen lassen.

OPs/Outing

Mein Outing war keine große Sache. Mir war mit sechs Jahren klar, dass ich Männer interessanter finde. Das wars. Das ich schwul bin, ist ein Fakt und weder gut noch schlecht. Es wird erst zum Problem, wenn man darüber nachdenkt, was andere denken könnten. Wenn Eltern aufmerksam sind, werden sie es noch vor dem Kind selbst mitbekommen.

Pompöös/Prüderie

Ich finde, es kann gar nicht pompöös genug sein, das Leben ist doch trist genug. Pompöös ist etwas Großartiges. Der Hof Ludwig XIV. war ein wunderbar pompööser Ort. Sowie die Rokokozeit, oder die römischen Orgien zur Zeit Caligulas. Drag-Queens zum Beispiel finden das toll, da kann es nicht pompöös genug sein. Viele Schwule wollen lieber männlich-knackig wirken, mit dem Anstrich eines Heteromannes; was oftmals lächerlich wirkt. Ich habe noch nie einen Heteromann gesehen, der ein Strass-Shirt anzieht und sagt, er sähe dadurch schwul aus. Ein Shirt hat noch keinen schwul gemacht.

Qualität/Quantität

Manchmal ist Quantität schöner. Zu viel des Guten kann auch wundervoll sein. Alle fordern immer Qualität, aber was ist das? Das Wort ist doch etwas sehr Anstrengendes, Langweiliges. Da steckt doch schon das Wort Qual drin. Quantität wird immer runtergemacht. Ich mag eher Quantität, warum nicht?

Ruhm/Respekt

In meinem neuen Buch schreibe ich „Die Schande vergeht, der Ruhm bleibt!“ Respekt ist so eine Sache: Ob man respektiert wird oder nicht; wenn man Ruhm erreicht hat, ist es doch egal, ob man respektiert wird. Ruhm ist die Steigerung von Respekt; denn dann wird man verehrt.

Sonderling/Shitstorm

Muss grundsätzlich nichts Schlechtes sein. Wenn man clever ist, nutzt man den für sich aus. Am Ende weiß keiner mehr, was war, sondern nur, dass etwas war. Wenn etwas Negatives kommt, drückt man dem so lange seinen Stempel drauf, bis plötzlich alle irritiert sind und der Zug die Richtung nimmt, die man selbst gerne hätte.

Tapetenwechsel/Tränen

Ich bin jetzt nicht so am Wasser gebaut. Ich bin erzogen worden, Gefühle nicht zu zeigen. Man weint nicht; nicht mal auf Beerdigungen. Aber manchmal trickst mich eine Träne aus: Dann habe ich über etwas nachgedacht, z.B. wie wir Menschen mit Tieren umgehen. Das macht mich traurig, sodass mir eine Träne entschlüpft. Aber das passiert nicht in der Öffentlichkeit.

Umwelt/Unvernunft

Ich wundere mich, dass sich alle so wahnsinnig über die Abholzung des Regenwaldes aufregen. Die haben ihren Steingarten vorm Haus und fragen sich, was sie denn machen können. Warum pflanzen sie nicht einfach einen Baum? Wenn Millionen das machen würden, hätten wir Millionen Bäume mehr. Die Umwelt kann ohne uns leben, aber wir nicht ohne die Umwelt.

Vor 12/Vorbilder

Ich habe ein Buch mit dem Titel „Vor 12“ geschrieben. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob es nicht schon „Nach 12“ ist. Aber wir wollen mal positiv bleiben. Es geht darum, wie wir mit unseren Mitmenschen, den Anders-Denkenden, den „Anders-Geschlechtlichen“, den Tieren und der Umwelt umgehen. Denn das ist entsetzlich.

Wiedergeburt/Wiener Opernball

Kein Mensch weiß mit absoluter Genauigkeit, ob er schon mal da war: Ich möchte nicht noch einmal wieder kommen. Ich möchte zwar 100 oder 150 Jahre alt werden, aber den ganzen Zirkus von Kindheit an noch einmal durchleben? Nein, wir machen das im Hier und Jetzt mal richtig, sodass wir nicht noch mal kommen müssen. Meine Seele hat in meinem Leben genug gesehen.

X-mas/X-beliebig

Weihnachten ist so Kurtz Mahler, eine wunderbare Zeit; aber das war's dann auch. Es ist wie ein Besuch im Disneyland. Mir hat man Weihnachten gründlich verdorben: Wenn der Vater mit dem Messer hinter der Mutter herrennt, ist das kein schönes Weihnachten.

Yoga/Yin&Yang

Ich bin durch einen indischen Yogameister yogaverwöhnt. Ich traf ihn, stand vor ihm und allein durch seine unglaubliche Ruhe erlebte ich Yoga. Da strahlte die Sonne. Bei den meisten anderen ist nur Dunkelheit. Danach hatte ich einen Personaltrainer, der wie eine Uhr ohne Uhrwerk war, wie ein Körper ohne Seele.

Zweitausenzwanzig/Ziele

Ziele sind wichtig, aber man sollte vor lauter Ziel nicht den Moment und den Weg vergessen. Aber man muss den Weg zu ihnen auch gehen. Ein Ziel von mir ist 150 Jahre alt zu werden.

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