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Axel Limberg // © Archiv

Axel Limberg Das rettende Ufer

js - 10.09.2017 - 10:00 Uhr

Flüchtlinge sind eines der großen Themen unserer Zeit. Viele von ihnen werden wegen ihrer sexuellen Identität in ihrer Heimat verfolgt. Zuhause drohen ihnen Gefängnis, Folter oder der Tod.

Axel Limberg ist Autor, Journalist und ehrenamtlicher Flüchtlingsbetreuer. Nun hat er schwule Flüchtlinge in seinem bewegenden Buch „Das rettende Ufer“ thematisiert und bringt den Leser damit zum Nachdenken, zum Weinen und auch ein wenig zum Schmunzeln. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt und viele seiner Antworten verursachen Gänsehaut.

Was hat dich dazu bewegt dieses Buch zu schreiben?
„Ich bin seit 2 ½  Jahren ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer. Habe natürlich mit vielen Flüchtlingen zu tun, allerdings waren bisher keine Schwulen dabei. Das hat sich jetzt durch das Buch geändert. Ich fand, es war an der Zeit dieses spezielle Thema zu behandeln. Obwohl es gar nicht so speziell ist und sich gar nicht um so eine kleine Gruppe handelt. Alleine in Hamburg gibt es drei Anlaufstellen für schwule Geflüchtete. Und in einer Einrichtung in Berlin wohnen über 100 schwule Flüchtlinge.“

Also gibt es in jeder größeren Stadt solch eine Anlaufstelle?
„Ja, die gibt es wirklich in jeder größeren Stadt. Die Anlaufstellen im Einzelnen habe ich recherchiert. Sie befinden sich im Anhang des Buches. Mir ist dabei aufgefallen, dass es sich im Osten Deutschlands sehr ausdünnt. Doch gerade die Jungs im Osten haben eine Anlaufstelle noch bitterer nötig, als Ohnehin.“

Hat dich das Schreiben dieses Buches bewegt?
Ja, es war nicht einfach. Ich kannte Schicksale von Geflüchteten, durch meine ehrenamtliche Arbeit. Also war es nicht die erste Leidensgeschichte, die ich gehört habe. Aber es war zum ersten Mal in dieser professionellen, journalistischen Situation. Auch wenn es mich selbst überkam und ich eigentlich weinen wollte, durfte ich es einfach nicht, weil das Gespräch sonst einfach vorbei gewesen wäre. Das war für mich das Schwierigste daran: Selbst nicht aus dem Rhythmus kommen und professionell zu bleiben. Ich habe dann häufig nach den Gesprächen geweint.“

Bestimmt sind alle Schicksale bewegend. Aber gab es eine Geschichte, die dich ganz besonders berührt hat? Eine, die du nie vergessen wirst?
„Ja bei einer Geschichte hat sich mir der Magen umgedreht. Ich fand es im Nachhinein bescheuert, dass sich mein Körper und meine Psyche so anstellen, denn ich habe diese Geschichte ja nur gehört und nicht selbst erlebt. Die Psychologen sprechen hier tatsächlich von einer Art Co-Trauma. Ich habe die Geschichte des jungen Mannes nicht gehört, sondern gelesen, denn er hat sie mir aufgeschrieben, weil er nicht mit mir darüber reden konnte. Das klingt merkwürdig, aber die einzige Geschichte die ich nicht gehört habe, war für mich letztendlich die Schlimmste.“

Wie erklärst du heterosexuellen Flüchtlingen, dass Schwul sein etwas ganz Normales ist?
„Ich glaube hierbei spielt die Person, mit der die Flüchtlinge zu tun haben eine entscheidende Rolle. Und auch der Zeitpunkt, wann man es ihnen erzählt ist wichtig. Ich habe es „meinen“ Flüchtlingen nicht sofort erzählt, als ich sie in Deutschland kennenlernte. Wenn ein Geflüchteter hier wirklich angekommen schien und die Werte und Regeln in unserem Land verstanden hat, dann bin ich erst auf diesen jungen Menschen zugegangen und habe ihm gesagt, dass ich schwul bin. Ich habe dabei tatsächlich nie etwas Negatives erfahren. Im Gegenteil, ich habe ganz tolle Erfahrungen gemacht. Vielleicht habe ich immer genau den richtigen Moment abgepasst.“

Aber ist es denn Richtig auf den Moment des Coming Outs zu warten, oder haben wir das hier in Deutschland nicht eigentlich hinter uns gebracht?

„Eigentlich hast du natürlich Recht. Das Problem ist nur, dass die hauptamtlichen Flüchtlingshelfer kaum Zeit für die Flüchtlinge haben. Mal ein ruhiges Gespräch führen oder einen Kaffee trinken ist ihnen nicht möglich. Ich war dann teilweise über Monate der einzige Ansprechpartner für die Jugendlichen, wenn sie wirklich einmal etwas Schwerwiegendes auf dem Herzen hatten. Ich glaube ich hätte den Draht zu Einigen verloren, wenn ich ihnen sofort gesagt hätte, dass ich schwul bin. Ich wäre eventuell als einzige Vertrauensperson für sie ausgefallen.“

Wie lange warten Flüchtlinge im Durchschnitt auf Asyl?
„Das ist sehr unterschiedlich. Bei den syrischen Flüchtlingen geht es mittlerweile recht schnell. Es gibt aber auch Flüchtlinge aus Afghanistan die zwei bis drei Jahre warten.“

Was müssen die Behörden verbessern?
„Also es sind mehrere Behörden involviert. Ich finde, in Hamburg macht die Schulbehörde den besten Job, weil die Jungs wirklich schnell beschult werden. Der Übergang von der Schule in den Beruf funktioniert überhaupt nicht gut. Und die Innenbehörde ist auch noch verbesserungswürdig. Also meine Jugendlichen zum Beispiel haben einen ganz starken Nachteil, wenn sie ein Schülerpraktikum machen sollen. Die bekommen das manchmal erst sehr knapp vorher gesagt. Bei den deutschen Jugendlichen haben sich dann meist schon die Eltern um einen Praktikumsplatz gekümmert. Meine Jungs bekommen dann meist nur einen Platz im Einzelhandel, wo sie  Regale einräumen. Das sind häufig Bereiche, wo sie später gar nicht arbeiten wollen. Und dann wirft man ihnen vor, dass sie vielleicht noch nicht so schnell ausbildungsfähig sind. Wie soll das funktionieren, wenn sie gar nicht die Chance bekommen, in dem Bereich zu arbeiten, den sie sich auch für ihre Zukunft vorstellen können? Ich habe es erlebt, dass ich und andere Ehrenamtliche den Jungs dann einen Praktikumsplatz gesucht haben, mit dem sie auch etwas anfangen konnten. Das ist immer sehr gut gelaufen, weil sie sich sehr viel Mühe geben. Und manche davon haben jetzt in genau diesen Unternehmen sogar einen Ausbildungsplatz.“

Warum lernen so viele Flüchtlinge kein Deutsch? Ist es Pflicht einen Deutschkurs zu besuchen oder freiwillig?

„Deutsch- und Integrationskurse sind Pflichtprogramm. Viele machen das nicht oder sie gehen hin und hören aber gar nicht zu. Das ist wirklich ein großes Problem, aber das ist bei Weitem nicht die Mehrheit. Ich denke es sind 20 bis 30%, die da Probleme mit der Motivation haben. Dafür gibt es auch unterschiedliche Gründe. Sie kommen aus Ländern, in denen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit nicht gerade mit der Muttermilch aufgesogen wird. Und jetzt fängt der Integrationskurs hier Punkt 8 Uhr an. Das ist erstmal ein Kulturschock für die Meisten. Wenn aber keine Besserung in Sicht ist, muss man da im Zweifel auch mal sanktionieren.“

Wie sieht deiner Meinung nach so eine Sanktionierung aus?
„Man muss sich da einfach die Frage stellen, ob man gerade diese Flüchtlinge, die sich selbst nicht um ihre Integration kümmern, vorzieht und die dann schnell in eine tolle Folgeunterkunft kommen. Oder sollten das nicht eher die sein, die willig sind. Da muss man natürlich vorher kommunizieren.“

Was können wir hier gegen den Konservativismus tun? Gerade in den Moscheen, die aus dem Ausland gesteuert werden?
„Es gibt viele Imame, die sehr strenggläubig sind und dann in einer Moschee, gerne mal Homosexualität verteufeln. Ich denke, das Beste im Hinblick auf die Flüchtlinge wäre, dass sie erstmal Kontakt zu liberalen Deutschen bekommen. Sodass diese Deutschen ihnen dann hier das liberal geprägte Leben vorleben. Dann denken sie vielleicht auch darüber nach, was sie in der Moschee mitbekommen und merken dann, dass Schwule ganz normale Menschen sind. Ich denke das hat dann viel Mehr Gewicht, als das, was der Imam ihm darüber erzählt. Außerdem schaue ich, dass ich die Jungs in Sportvereinen unterbringe, sodass sie ganz schnell auch mit deutschen Jugendlichen zu tun haben.“

Hast du mal eine Abschiebung, einer der Flüchtlinge, die du betreust, mitbekommen?
„Habe ich zum Glück noch nicht. Einer war auf einer Liste nach Afghanistan, aber er ist jetzt in Sicherheit. Ein Problem ist es allerdings, wenn nicht kommuniziert wird, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt nur Straftäter nach Afghanistan abgeschoben werden, dann sind alle Afghanen, die keine sichere Bleibeperspektive haben, verunsichert. Ich habe es bei einem „meiner“ Jugendlichen erlebt, dass er dann versucht hat sich das Leben zu nehmen, obwohl er nicht gefährdet war, abgeschoben zu werden. Er hatte einfach diese kollektive afghanische Angst. Beim zweiten Abschiebeflug musste er dann stationär behandelt werden.“

Selbst hier im „sicheren“ Deutschland werden schwule Flüchtlinge in den Containern noch von Landsleuten belästigt und bedroht. Was kann man dagegen tun?
„Ich glaube die einzige Möglichkeit besteht darin, schwule Geflüchtete möglichst schnell zu identifizieren und diese dann möglichst schnell aus den großen Lagern rauszubekommen. In den Lagern sehe ich überhaupt keine Chance sie zu schützen.“

Sollte Homosexualität vielleicht stärker in den Flüchtlingsklassen thematisiert werden?
„Ja, sollte es. Vielleicht nicht gleich ganz am Anfang, weil man dann eventuell gleich eine Front aufbaut. Wenn jemand gerade mal einen Monat in Deutschland ist, dann hat er das alles noch nicht verinnerlicht. Aber ich denke nach spätestens einem halben Jahr sollte das stattfinden.“

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Axel Limberg im September 2017 geführt.

Das rettende Ufer

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