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Francesco Tristano
Regional

Ausgequetscht Francesco Tristano im Interview

vvg - 31.08.2017 - 13:35 Uhr

Francesco Tristano ist ein Luxemburgischer Pianist, Komponist und Produzent. Er ist ein weltweit gefragter Solo- und Konzertpianist, der auch vor ungewöhnlichen musikalischen Experimenten nicht scheut. Wir haben unsere Fragen Komponisten zugeordnet, die im Repertoire von Francesco Tristano vertreten sind.

 

Du hast wie Mozart mit 5 Jahren angefangen Klavier zu spielen, wie kam es dazu?

Nett mich mit Mozart zu vergleichen, aber diesen hohen Anspruch erfülle ich nicht. Bei uns zu Hause stand ein Klavier, ich glaube aber heute,  dass das ein strategischer Move meiner Mama war; irgendwann habe ich begonnen, darauf zu spielen. Ich habe auch immer sehr viel Musik gehört, da bei uns den ganzen Tag immer laute Musik lief, hauptsächlich Klassik und Worldmusic, aber u.a. auch Pink Floyd. Das sind die Töne mit denen ich groß geworden bin.

 

Du konntest Klavier spielen, bevor du Noten lesen konntest?

Naja, ich habe rumgeklimpert und improvisiert, kam aber relativ schnell aufs Konservatorium, wo ich Noten lesen und das Klavierspielen richtig gelernt habe.

 

Wie würdest du bei dir die Anteile von Talent und Fleiß beurteilen?

Je mehr Talent man hat, umso mehr muss man arbeiten, weil Talent allein nicht reicht. Ich selbst musste mich disziplinieren; ich merkte, je mehr ich auf dem Klavier spiele, umso besser werde ich. Talent ist eine gute Voraussetzung, aber ohne Fleiß und Disziplin wird daraus nichts werden.

 

Ist das der Grund, dass du so gut frei spielen kannst?

Das freie Spielen ist nicht das Schwierigste: Es hört sich außergewöhnlich an, aber das Üben eines Musikstückes beinhaltet auch das Abspeichern der mechanischen Muskelbewegungen. Wenn man eine musikalische Passage zehn Mal hintereinander spielt, dann erkennt sowohl die rechte wie die linke Hand des Pianisten, wie das geht. Man kann aber nicht allein aus "muskulärer Erinnerung" eine große Struktur eines Werkes spielen. Es hilft aber, ein Musikstück von einer halben Stunde oder Stunde auswendig zu spielen.

 

Wolltest du jemals etwas anderes als Musiker, Komponist, Dirigent oder Produzent werden?

Ich wollte entweder Bibliothekar oder Kosmonaut werden. Beim Kosmonaut ist mir relativ früh klar geworden, dass dazu außergewöhnliche physische Stärken gefragt sind, die ich nicht hatte. Ich liebte Bücher und liebe sie heute noch, da dachte ich, es sei eine schöne Arbeit in der schönsten Umgebung, die man sich vorstellen kann, in der Bibliothek zwischen all den Büchern zu arbeiten.

 

War deine Kindheit anders, strenger, disziplinierter als die gleichaltriger Jungen? Hattest du nie Zeit oder Lust auf Fußball?

Ich habe in meiner Kindheit auch Sport getrieben, aber eher Leichtathletik und nicht Fußball. Ich habe mich immer, in allem was ich machen wollte, sehr frei gefühlt. Die Stunden am Klavier haben bei mir nicht den Eindruck erweckt, dass meine Kindheit anders ist, als die der anderen Kinder. Ich wusste nur ziemlich früh, was ich machen wollte.

 

Johann Sebastian Bach hat ungebrochenen Einfluss auf die europäische Musik, allein durch sein wohltemperiertes Klavier. Hast du eine musikalische Botschaft?

Ich möchte einen  musikalischen Diskurs anregen, der frei ist und einen roten Faden zu allen Formen von Musik findet. Egal ob es akustische oder elektronische Musik ist, komponierte oder improvisierte. So kam ich auf das Zusammenspiel von klassischer Musik und Techno. Ich bin musikalisch sehr offen, eben weil ich so aufgewachsen bin. Wir nennen Mozarts Musik klassisch, dabei hat er nie klassische Musik komponiert, diese Bezeichnung gab es erst 100 Jahre nach seinem Tod. Musikalisch macht es keinen Sinn in Stilen zu denken: Jede Musik ist bzw. war zeitgenössische Musik.

 

Kannst du auch wie J.S. Bach Orgel spielen?

Nicht besonders gut, aber trotzdem gerne. Ich habe auch ein wenig Orgel studiert und kann mit den Pedalen arbeiten, aber ich bin kein Organist.

 

Bach hat nicht viel von der Welt gesehen. Du bist als Star der klassischen Musik ständig weltweit unterwegs. (Dublin, Türkei, Spanien, Frankreich, Schweiz, NL, UK, Belgien) Wünschst du dir manchmal ein ruhigeres Leben?

Ja und es wird irgendwann einmal kommen, das ruhigere Leben. Das Interessante an Bach ist, dass er nie über Deutschlands Grenzen gereist ist und trotzdem einer der ersten globalisierten Komponisten war. Er hat den italienischen und französischen Stil beherrscht, er wusste von englischen und nördlichen Musikformen und -arten. Wie er das, ohne zu reisen, geschafft hat, ist nur mit seinem Genius und seinem Allround-Talent zu erklären.

© Marie Staggat

"Städte haben Musik" Warum hast du dir als Luxemburger, mit italienischen Namen die katalanisch-spanische Metropole Barcelona als Lebensmittelpunkt gewählt?

Das ist eher Zufall gewesen. Ich habe in Barcelona studiert und bin zwischen Luxemburg und Barcelona gependelt. Nach dem Studium in NY war die Rückkehr nach Luxemburg etwas schwieriger. Viele sind nach Berlin gegangen, ich habe die Metropole Barcelona ausgewählt.

 

Was verbindet dich nicht nur musikalisch mit Deutschland?

Ich mag Berlin, es war für mich immer eine grandiose Stadt. Ich kann nicht sagen, dass ich verrückt nach deutschem Essen bin, aber in Deutschland zu spielen, bereitet Vergnügen, weil das Publikum sehr kulturell interessiert ist. Es gibt ein großes kulturelles und musikalisches Bewusstsein in Deutschland. Auch Hamburg ist eine Stadt, die ich sehr liebe. Ich bin Resident-Pianist bei den Hamburger Philharmonikern. In der Elbphilharmonie war ich aber selber noch nicht. (Tristano spielt am 16. Sept. beim Beethovenfest in Bonn/ und am 21. Okt. und 2. Feb. 2018 in der Kölner Philharmonie)

 

Ludwig van Beethoven hat die Musik der Europa-Hymne geschrieben. Musik ist ein internationale Sprache, woher kommt dein Sprachtalent?

Sprache ist wie Musik. Ich mag einfach den Klang und die Aussprache, die Grammatik kommt später. Als Luxemburger bin ich mit Französisch und Deutsch großgeworden. Meine Großeltern kamen aus Italien. Ich bin also schon mit mehreren Sprachen groß geworden.

 

Beethoven ist im Alter taub geworden. Hast du Ängste, Krankheiten zu bekommen, die dich musikalisch einschränken würden?

Als Beethoven taub wurde, war das kein Problem für ihn, weiter zu komponieren. Er wusste wie es klingt, weil es in seinem Gedächtnis abgespeichert war. Seine Ohren waren von minimaler Bedeutung. Ängste als Künstler gibt es aber schon. Ich passe immer auf, dass ich nicht falle, um Verletzungen an den Fingern oder im Handgelenk zu vermeiden. Auch Rückenprobleme möchte ich als Pianist nicht haben. Ich würde gerne Ski fahren, das kann ich aber nicht machen.

 

Du hast mit Alice Sara Ott das Album "Scandale" aufgenommen mit Stücken von Stravinsky, Rimski-Korsakov und Ravel. Hast du schon einen musikalischen Skandal erlebt?

Ein Skandal ist ja eigentlich etwas Gutes. Wenn Besucher ein Konzert verlassen, ist das vielleicht gar nicht schlecht, man kann nicht allen gefallen. Würde man alle überzeugen, würde ich mich fragen, ob nicht die Musik fragwürdig ist. Ich hatte mal mit einem Klavierpartner in der Vergangenheit einen Wettkampf: Wir fragten uns: "Wie war dein Konzert?" - "Gut." - "Und wie viel Leute sind raus?"- "Vier." - "Bei mir waren es sechs." Da hatte er also gewonnen. Das war aber eher "sportlich".

 

Hörst du nur Musik, die du interpretierst oder kennst du auch eine Helene Fischer?

Helene Fischer habe ich nie gehört, ich weiß aber knapp, wer sie ist. Ich höre besonders Musik, die ich nicht selber interpretieren kann. Ich liebe z.B. Chormusik, Alte Musik oder elektronische Musik. Für mich ist es oft viel interessanter, Musik zu hören, zu der ich keinen direkten Bezug habe.

 

Antonio Vivaldi hat einmal gesagt: "Das Klavier ist ein Orchester.“ Du bist sowohl Orchester- als auch Solo-Pianist, hast sogar in einer Band gespielt. Gibt es da für dich musikalische Unterschiede?

Als Solopianist muss man nur auf sich selber zählen. Man muss sich entsprechend darauf einstellen, dass man allein auf der Bühne ist. Die Fehler, die man macht, macht man selber. Das Solospiel ist schön und sehr befreiend. Wenn man mit anderen zusammen spielt, ist man nur Teil einer größeren Gesamtheit und weniger aufgeregt. Aber es ist auch schwerer, mit musikalischen Fehlern der anderen umzugehen. Das Musizieren lernt man nur mit anderen zusammen.

 

Du bist ein musikalisches und sprachliches Supertalent, was würdest du gern noch gut können -  und was kannst du gar nicht?

Was ich auch noch gut kann, ich koche sehr gerne. Meine Mutter hält mir immer vor, ich würde mehr Zeit in der Küche verbringen, als am Klavier. Vielleicht bedeutet es, dass ich irgendwann ein Restaurant eröffne. Und was ich gar nicht kann, ist Beethoven spielen; das ist aber eher ein Nicht-Spielen-Wollen.

 

Du magst Minimal Musik von Phillipp Glass, die du auch in der Techno Musik und sogar bei Bach in Ansätzen findest. Hast du bei der Vielgestalt der Musik musikalische Vorbilder oder Stars, denen du nacheiferst?

Ich habe keine Idole und habe nie versucht, jemanden nachzuahmen. Es gibt aber drei Musiker, die mich sehr inspiriert haben, das ist Paco de Lucia, ein Flamenco-Gitarrist. Ryuichi Sakamoto, ein japanischer Komponist und Joe Zawinul ein österreichischer Jazzmusiker, der Keyboarder bei Weather Report war. Alle drei machen ganz verschiedene Musik und haben gemeinsam, dass sie immer etwas anders gemacht haben, als es von ihnen erwartet wurde. Sie haben mir die Inspiration gegeben, um weiter zu streben: nach der Musik, die ich machen will.

 

Dein Leben besteht hauptsächlich aus Musik,  was hast du als Ausgleich dazu?

Laufen ist für mich sehr wichtig und schafft den Ausgleich, eigentlich für den gesamten Alltag. Wenn ich 10-15 Kilometer gelaufen bin, bin ich ruhiger. Ich höre dabei keine Musik, sondern nur den Wald, das Meer oder die Stadt. Kochen ist auch etwas, das mich beruhigt. Das Schönste in meinem Leben ist aber die Familie. In meinem Leben ist Musik zwar ständig da, aber sie ist nicht immer aktiv.

 

Wir sind ja ein Gay-Magazin und da fällt mir John Cage ein, der ja mit Don Sample eine Beziehung hatte. Woran liegt es, dass schwule Männer oft einen besseren Zugang zur klassischen Musik haben?

Ich würde dies nicht nur auf klassische Musik beschränken, sondern auf Kunst generell. Ich kann es mir nicht erklären, aber ich glaube es auf jeden Fall. Vielleicht liegt es daran, dass der schwule Mann mehr in Kontakt mit seiner femininen Seite ist. Die Gay-Szene war auch wichtig in der Musik z.B. für die elektronische Musik, die es ohne sie gar nicht so gegeben hätte mit ihren Einflüssen aus New York, London, Berlin und Frankfurt. Ich habe hohen Respekt vor der Gay-Szene.

 

Marie Staggat

 

Du bist ein sensibler, gutaussehender Mann. Hat nie ein Mann versucht dich anzumachen?

Doch, ständig :-). Aber das ist okay, das versuchen aber die Mädchen genauso. Wenn ich dann sage, dass ich schon 35 bin, bin ich plötzlich zu alt und sie sind wieder weg. Ich nehme es als Kompliment.

 

Hast du Kontakte zur schwul lesbischen Szene?

Ich bin nicht schwul, aber meine Mutter, die mich allein großgezogen hat, hat unzählige schwule Freunde. Ich bin in diesem Kreis großgeworden, darunter waren Intendanten, Künstler, Musiker, Designer und Architekten, alle verband die Liebe zur Kunst und ein guter Geschmack mit hohem Anspruch auf Ästhetik.

 

Du hast eine Familie. Wie findest du es, dass es in Deutschland seit kurzem die "Ehe für alle" gibt?

Das habe ich noch gar nicht mitbekommen, das ist perfekt.

 

Du hast zwei Söhne, wie würdest du reagieren, wenn sich ein Sohn eines Tages bei dir als Gay outet?

Ich hätte damit überhaupt kein Problem, ich halte meine Arme offen und würde ihn unterstützen.

 

Wir kommen am Ende wieder zu Mozart, mit dem wir begonnen haben: Du bist heute im Alter, in dem Mozart verstarb. Was hast du noch in deinem Leben für Wünsche/Ziele?

Ich möchte den kompletten Bach einspielen, das ist verdammt viel Musik. Es werden über 25 Alben. Ich habe schon ein paar eingespielt, aber das wird ein Lebenswerk. Und ich möchte weiter komponieren. Das, was schlussendlich bleibt, sind die Aufnahmen. Man kann zwar Leute im Konzert glücklich machen und sie haben schöne Momente, die sie nie vergessen werden. Aber was bleibt, wenn diese Leute nicht mehr da sind? Das werden die Aufnahmen auf Alben, CDs, Platten und die Noten der Kompositionen sein. Ich liebe die Musik und lebe davon, was ich liebe. Das ist ein großes Glück, dessen ich mir bewusst bin.

 

Termine

Franceso Tristano und Moritz von Oswald

piano 2.5 – a journey in future sound of piano & electronics

Samstag 21.10.2017 20:00 Uhr – Kölner Philharmonie

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