200 Tage Queer-Beauftragter der BRD Sven Lehmann im Exklusiv-Interview
Seit Januar 2022 ist Sven Lehmann der Queer-Beauftragte der Bundesregierung – der erste seiner Art in Deutschland. Die Ampel-Koalition hat sich viel vorgenommen, um die Lebensrealität für queere Menschen nachhaltig zu verbessern, allerdings kommt es immer wieder auch zu politischen Streitigkeiten beispielsweise über das neue Selbstbestimmungsgesetz. Zudem steigt die Zahl der Hassverbrechen gegenüber LGBTI*-Menschen dramatisch. Kurzum, es gibt wirklich viel zu tun. SCHWULISSIMO wollte im Exklusiv-Interview mit Sven Lehmann wissen, wie er die ersten rund 200 Tage im neuen Amt und die aktuellen Probleme einschätzt.
Als die trans-Bundeswehrsoldatin Biefang für ihr Dating-Sex-Profil einen Verweis erhielt, hast du dich solidarisch erklärt und über deine offene Beziehung berichtet. Für einige in der CDU ein Skandal. Wie sieht es also aus mit der Selbstverständlichkeit unserer Lebensrealität im Jahr 2022?
Also erst einmal ganz grundsätzlich sind wir mit der Emanzipation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen sehr weit gekommen, aber noch längst nicht weit genug. Wir sind weit gekommen beim Thema Entkriminalisierung, Stichwort Paragraf 175, und der Gleichstellung der Ehe und auch bei der Sichtbarkeit in den Medien oder in den Führungsetagen von einigen Unternehmen. Aber ganz offensichtlich gibt es noch ganz alte homo- und transfeindliche Reflexe. Das ist in der ganzen Debatte um Anastasia Biefang noch einmal sehr deutlich geworden. Privatleben ist Privatleben und hat keine moralischen Auswirkungen auf die Art, wie man sein Amt ausführt. Ich habe mich sehr geärgert über dieses Urteil. Da gibt es offensichtlich noch Klärungsbedarf. Und natürlich hat mich in der Debatte auch geärgert, dass dann ausgerechnet eine Julia Klöckner meint, das bewerten zu müssen. Sie veröffentlicht seit Jahren intimste Details aus ihrem Privatleben. Das ist schon extrem anmaßend. Noch immer wird oftmals bei queeren Menschen der moralische Zeigefinger erhoben. Das ist nicht in Ordnung in einer offenen Gesellschaft, die von Vielfalt lebt.
Seit einem guten halben Jahr bist du inzwischen der Queer-Beauftragte der Bundesregierung. Wie ist dein erstes Fazit hier?
Es hat mich überrascht, dass es so unglaublich breit und medial aufgenommen worden ist, gerade auch international. Weltweit gibt es gar nicht so viele Queer-Beauftragte. Deutschland ist gerade einmal das fünfte Land neben den USA, Großbritannien, Italien und Argentinien. Was ich allerdings erwartet habe, war, dass gerade rechtskonservative Menschen und Homo- sowie Transfeinde meine Ernennung noch einmal dafür nutzen, einen breiten Angriff zu starten. Das ändert aber nichts an der fast ausnahmslos positiven Resonanz, die dieses neue Amt mit sich gebracht hat.
Ich sperre natürlich nicht Lesben bei Twitter! Ich sperre explizit homo- und transfeindliche Menschen.
Auf Twitter kritisieren Lesben, du hättest sie gesperrt, nur weil sie über ihre Anliegen reden wollten, beispielsweise wenn es um die Inklusion von trans-Frauen bei Lesbentreffen geht. Könnte man nicht gerade bei diesem Streitpunkt den Kompromiss finden, dass es künftig gleichwertig Treffen nur für Lesben und daneben auch trans-inklusive Treffen geben darf?
Ich sperre natürlich nicht Lesben bei Twitter! Ich sperre explizit homo- und transfeindliche Menschen, die auf meinen Einsatz für ein Selbstbestimmungsgesetz mit Beleidigungen und Aggression reagieren. Diese Stimmen gibt es übrigens bei allen Geschlechtern. Da schütze ich mich bewusst vor und ich möchte mich auch nicht den ganzen Tag mit homo- und transfeindlichen Kommentaren befassen. Es ist überhaupt nicht so, dass lesbische Frauen gegen die Selbstbestimmung von trans*-Frauen sind. Im Gegenteil! Der Lesbenring zum Beispiel hat sich klar für ein Selbstbestimmungsgesetz ausgesprochen. Der Deutsche Frauenrat ebenfalls. Auch die Frauenhauskoordinierung ist solidarisch mit trans*-Personen. Natürlich braucht es weiterhin Schutzräume und auch Sichtbarkeit für lesbische Frauen, ebenso wie für schwule Männer, bisexuelle Menschen, trans- oder intergeschlechtliche Personen. Aber es braucht eben auch die Solidarität und den Zusammenschluss dieser Gruppen für eine queere Politik und eine offene Gesellschaft.
Aber konkret nachgefragt, heißt das, dass es auch für einzelne Teile der Community, beispielsweise Schwule und Lesben, solche Treffen weiterhin geben darf und diese auch zukünftig gleichberechtigt bestehen dürfen neben inklusiven Zusammenkünften der ganzen Community?
Absolut und selbstverständlich. Ich finde es merkwürdig, dass so getan wird, als ob das in Frage gestellt wird. Es gibt ja zum Beispiel lesbische Clubs, Partys oder Kneipen. Es gibt auch eigene Aktionen wie etwa in diesem Jahr, als Lesben am ehemaligen KZ Ravensbrück, in dem hauptsächlich Frauen inhaftiert und umgekommen sind, explizit klargestellt haben, dass es hier um Frauen und Lesben geht und dort deswegen einen Gedenkort initiiert haben. Das sind lesbische Themen und stehen für sich mit einem eigenen Anspruch. Das ist für mich auch völlig selbstverständlich. Gleichzeitig finde ich, dass es wichtig ist, bei politischen Auseinandersetzungen, wo es beispielsweise um Hasskriminalität geht, einen solidarischen Zusammenschluss zu haben, auch mit trans* Personen. Das verstehe ich unter Queer-Politik.
Mit Blick auf das neue Selbstbestimmungsgesetz gibt es Ängste gerade unter Frauen, dass frauenspezifische Einrichtungen wie beispielsweise Frauenhäuser ad absurdum geführt werden könnten. Natürlich lässt sich streiten - und das passiert ja auch – wie häufig solche Fälle tatsächlich zukünftig auftreten könnten. Trotzdem die Frage: Wie bewertest du diese Befürchtungen?
Wir machen dieses Selbstbestimmungsgesetz, weil trans*-Menschen unter dem Transsexuellengesetz leiden – und das massiv und seit über 40 Jahren. Das ist eine Fremdbestimmung und Diskriminierung. Hier entsteht viel Leid für Menschen, die ihren Personenstand ändern möchten. Jetzt gibt es einige Personen – auch wenn das in meiner Wahrnehmung eine sehr kleine Minderheit ist -, die sagen, dass gewisse Schutzräume wie Frauenhäuser dann einfach zugänglich für alle Menschen werden. Ich versuche hier Angst zu nehmen, indem ich sage: Bitte sprecht mit den Menschen in Frauenhäusern selber oder beispielsweise auch mit der Frauenhauskoordinierung in Deutschland. Das sind die Expertinnen. So wird zum Beispiel schon jetzt in jedem Frauenhaus vor Ort entschieden, ob eine Frau einen Platz erhält oder nicht. Das wird nicht gesetzlich geregelt, sondern liegt in der Autonomie der Frauenhäuser. Einige Frauenhäuser nehmen bereits jetzt auch trans*-Frauen auf. Es gab da noch nie Probleme. Aus meiner Sicht werden hier durch Fehlinformationen bewusst Ängste geschürt, um das Selbstbestimmungsgesetz zu verhindern – aber es hat mit der Realität nichts zu tun.
ZUR PERSON
Sven LehmannSven Lehmann (42) ist seit 1999 Mitglied von Bündnis 90 / Die Grünen und engagiert sich seit dem Abschluss seines Studiums der Politischen Wissenschaften, Romanistik und Pädagogik im Jahr 2006 für die Partei. Seit 2017 ist er Mitglied im Deutschen Bundestag, im Dezember 2021 wurde er zum Parlamentarischen Staatssekretär des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend ernannt. Anfang Januar 2022 wurde er zudem der erste Queer-Beauftragte der Deutschen Bundesregierung, um sich für die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt einzusetzen. Lehmann, geboren in Nordrhein-Westfalen, ist seiner Heimat treu geblieben und wohnt in Köln – sowie berufsbedingt in Berlin. Seit rund 20 Jahren lebt er in einer offenen Beziehung mit Arndt Klocke, ebenso Politiker der Grünen aus NRW.
Im letzten Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes der Grünen war verankert, dass Jugendliche ab 14 Jahren eine Personenstandsänderung ohne Zustimmung der Eltern vornehmen werden können. Kurz vor der Sommerpause hat Justizminister Buschmann erklärt, dass es dafür doch die Zustimmung der Sorgeberechtigten oder des Familiengerichts braucht – einige LGBTI*-Verbände zeigten sich enttäuscht. Wie stehst du dazu?
Mit den vorgestellten Eckpunkten sind wir ein gutes Stück weiter auf dem Weg zu einem echten Selbstbestimmungsgesetz ohne demütigende Zwangsbegutachtungen, staatliche Bevormundung und diskriminierender Gängelung gekommen. Ich bin da sehr, sehr froh drüber. Für Minderjährige ab 14 Jahren ist geplant, dass die Minderjährigen die Erklärung selbst mit Zustimmung der Sorgeberechtigten abgeben können. Um die Persönlichkeitsrechte der jungen Menschen zu wahren, kann das Familiengericht in den Fällen, in denen die Sorgeberechtigten nicht zustimmen, orientiert am Kindeswohl – wie auch in anderen Konstellationen im Familienrecht – die Entscheidung der Eltern auf Antrag des Minderjährigen ersetzen, sollten die Eltern nicht zustimmen. Denn auch die Jugendlichen haben Persönlichkeitsrechte. Viele Jugendliche wissen oft schon seit Jahren, einige schon seit frühester Kindheit, dass das ihnen bei Geburt zugewiesene Geschlecht nicht ihrer Identität entspricht. Sie müssen eine Handhabe bekommen, damit sie nicht gegen ihren Willen in der Schule oder im Sportverein mit dem falschen Namen oder Geschlecht angesprochen werden. Nach meiner Wahrnehmung haben die Verbände die Meilensteine sehr breit begrüßt, sich gleichzeitig aber auch gewünscht, dass die Bundesregierung das vorgeschlagene Verfahren für die 14-17-jährigen Jugendlichen konkretisiert. Die Eckpunkte sind der Anfang des Gesetzesverfahrens. Das Bundesfamilienministerium und das Bundesministerium der Justiz beabsichtigen, auf Grundlage der vereinbarten Eckpunkte möglichst bald den Gesetzentwurf vorzulegen. Der geht dann auch an die Community mit Bitte um Stellungnahme. Die Reaktionen werden wir uns sehr genau anschauen, bevor wir dann voraussichtlich noch im 4. Quartal dieses Jahres mit einem Gesetzesentwurf zur Beschlussfassung ins Kabinett gehen. Aus meiner Erfahrung sind die Familiengerichte in der Regel sehr klar am Kindeswohl orientiert. Dazu gehört, dass Jugendliche nicht gegen ihren Willen im falschen Geschlecht leben und mit dem falschen Vornamen angesprochen werden. Ich setze darauf, dass wir das im Gesetz klarstellen.
Ein anderer Aspekt ist die Einführung einer Ordnungswidrigkeit, wenn Menschen künftig mit dem falschen Pronomen angesprochen werden. Angedacht ist ein Bußgeld von 2.500 Euro. Hier geht die Angst um, dass künftig jede falsche Ansprache Geld kostet. Justizminister Buschmann hat dagegen erklärt, dass dies nur greift, wenn trans-Menschen öffentlich und vorsätzlich vorgeführt beziehungsweise zwangsgeoutet werden, nicht bei öffentlichen Personen, deren Geburtsvorname bekannt ist. Würdest du dem so zustimmen?
Ein Offenbarungsverbot wird tatsächlich Gegenstand des Selbstbestimmungsgesetzes sein. Aber hier muss man natürlich gewisse Unterschiede beachten. Wenn jemand einen anderen Menschen aus Versehen oder weil er es nicht besser weiß, mit dem falschen Geschlecht anspricht, ist das aus meiner Sicht kein sanktionswürdiger Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht. Aber es gibt die Fälle, wo sowohl Privatpersonen wie auch Unternehmen oder Institutionen wie die Polizei wider besseren Wissens und mit klarer und purer Absicht versuchen, trans*-Menschen auszuspionieren und das gegen sie zu verwenden – und das muss verboten sein. Dieses bösartige Zwangsouten ist ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht. Wir werden im Selbstbestimmungsgesetz noch detaillierter nach Art der Absicht regeln, wie die Ordnungswidrigkeit greift. Wir wollen niemanden bestrafen, der es einfach nicht besser weiß - für Leute, die dies allerdings aktiv mit bösem Willen tun, darf es nicht folgenlos bleiben. Unabhängig wie wir das dann im Detail regeln, ist es für mich sehr befremdlich, wenn Menschen darauf beharren, trans*-Personen gegen ihren ausdrücklichen Willen mit einem alten Namen anzusprechen, nur weil der Name bereits öffentlich bekannt ist. Da geht es ganz klar darum, trans*-Menschen zu verletzen. Ich finde das sehr diskriminierend.
Ich glaube, dass Queer-Feindlichkeit verschiedenste Ursachen hat - aber ja, es hat auch oft mit Religion zu tun.
Stichwort Grundgesetzergänzung von Artikel 3: Verfassungsrechtler wie Christian Pestalozza aus Berlin erklärten, dass das Vorhaben durch die benötigte Zweidrittelmehrheit keine Chance habe. Außer, die Ampel-Koalition würde der CDU massive Zugeständnisse bei anderen Gesetzen machen. Wie realistisch ist das Vorhaben nach aktuellem Stand?
Queere Menschen sind nicht ausreichend durch das Grundgesetz geschützt. Damit sind sie übrigens auch die letzte Gruppe, die von den Nazis verfolgt worden ist, aber noch keinen expliziten Schutzstatus im Grundgesetz hat. Viele Abgeordnete auch der CDU/CSU hätten bereits gerne in der vergangenen Legislaturperiode dieser Ergänzung zugestimmt. Mir ist wichtig, dass wir darüber einen Dialog führen und zwar auch mit der Opposition sowie mit den Bundesländern. Denn wir brauchen ja auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit. Es geht hier nicht um Regierung gegen Opposition, sondern um eine Menschenrechtsfrage. Ich möchte keine Abstimmung im Bundestag nur für die Galerie, wo einfach nur die Ampel-Koalition sagt, wir haben hier ein Gesetz – und das scheitert dann. Ich möchte, dass das in den nächsten Jahren zum Erfolg gebracht wird.
Wie hoch schätzt du die Chance ein, dass ausreichend viele Unions-Politiker tatsächlich für eine Ergänzung des Grundgesetzes stimmen werden?
Ich kenne persönlich sehr viele CDU- und CSU-Politiker*innen, die für die Erweiterung des Grundgesetzes sind. Ganz viele sind hier sehr offen und bekunden auch in Gesprächen, dass sie damit kein Problem haben. Es kommt natürlich dann noch einmal auf die Ausgestaltung an. Wir wollen ja deswegen diese Grundgesetzverankerung, damit beispielsweise Errungenschaften wie das Recht auf Eheschließung nicht einfach wieder zurückgedreht werden können, wenn irgendwann einmal eine Regierung an der Macht ist, die das nicht möchte. Das ist etwas, was gerade auch Unions-Abgeordneten sehr wichtig ist. Am Ende wird es sich daran entscheiden, ob wir im Bundestag und im Bundesrat es aus der Mitte des Parlaments gemeinschaftlich auf den Weg bringen können. Ich freue mich auf alle Kolleg*innen von der CDU/CSU, die da mitmachen. Wir brauchen euch!
Stichwort Nationalen Aktionsplan. Hierbei sollen einzelne queere Projekte gerade auch an Schulen gebündelt werden, um gegen Queer-Feindlichkeit vorzugehen – auch und gerade auf dem Land. Der Aktionsplan soll aber zudem auch Anreize in anderen Teilen der Gesellschaft setzen. Wo liegen deine Schwerpunkte?
Mir ist wichtig, dass die Community mit am Tisch sitzt, sprich die Verbände, und auch alle Ministerien. Bei diesem Aktionsplan sind alle Regelungsbereiche betroffen. Zudem wollen wir den Aktionsplan über Jahre anlegen, sodass er eine nachhaltige Wirkung erzielt. Ich sehe deswegen verschiedene Schwerpunkte. Mir ist das Thema Hasskriminalität sehr wichtig. Ein anderer Schwerpunkt ist natürlich das Thema Bildung und Aufklärung. Hier wollen wir auch mit den Bundesländern zusammenarbeiten, beispielsweise auch bei der Frage, ob aktuelle Bildungsmaterialien wie Schulbücher auf dem aktuellen Stand sind. Wird darin etwa auch erwähnt, dass es okay ist, wenn ein Mädchen sich in ein anderes Mädchen verliebt, oder, dass transgeschlechtliche Menschen in der Gesellschaft vorkommen? Es geht darum, Kindern zu zeigen: Egal wie ihr seid, ihr seid okay und richtig so. Es geht auch um Bildungspläne oder um Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrkräfte. Mir ist wichtig, dass es ein offener Entwicklungsprozess ist und nicht die Regierung vorgibt, was zu tun ist – das soll auf Augenhöhe mit der queeren Community zusammen entwickelt werden.
Es geht darum, Kindern zu zeigen: Egal wie ihr seid, ihr seid okay und richtig so.
Wird auch der Aspekt berücksichtigt werden, dass es auch religiös motivierte Anfeindungen von queeren Schülern gibt? Der Deutsche Lehrerverband oder auch Forschungseinrichtungen wie die DEVI haben hier zuletzt mehrfach davor gewarnt, dass es in einigen Schulen wie beispielsweise in Berlin Neukölln massive Probleme gibt.
Ich glaube, dass Queer-Feindlichkeit verschiedenste Ursachen hat, zum Beispiel grundsätzlich mit einer feindlichen Einstellung gegenüber Minderheiten oder mit patriarchalen Gesellschafts- und Männlichkeitsbildern zusammenhängt. Aber ja, es hat auch oft mit Religion zu tun. Aber nicht nur! Manche religiösen Gruppen lehnen LSBTIQ* grundsätzlich ab. Aber es gibt auch in den Religionsgemeinschaften Gegenbewegungen. Ich war zum Beispiel auf dem Katholikentag. Da sind viele Jugendorganisationen sehr offen für queeres Leben. Auch Aktionen wie #outinchurch sind großartig, um ein anderes Klima zu schaffen. Es gibt auch muslimische Gruppen, die für Aufklärung sorgen wollen. Es ist also nie so einfach schwarz-weiß. Aber ja, auch das Thema wird natürlich beim Aktionsplan eine Rolle spielen. Genauso wie die Frage, wie man in Communitys verstärkt für Aufklärung sorgen kann, die bisher sich nicht mit dem Thema befassen. Da gehören auch explizit die Kirchen oder die Moscheen und ihre Gemeinden mit dazu. Integrationskurse werden auch ein Thema sein. Unsere Gesellschaft fußt darauf, dass alle Menschen verschieden sein können, aber gleiche Rechte haben und in Sicherheit leben können. Und dort, wo das nicht der Fall ist, müssen Staat und Gesellschaft ein Interesse daran haben, eine stärkere Antidiskriminierungspolitik zu machen.
Ein Teil unserer Community zeigt sich aktuell zerstritten. Dabei gibt es bereits Bestrebungen, dass sich die Community aufteilen solle, also zwischen LGB und TQI* – zu unterschiedlich seien die Interessen. Wie stehst du zu diesen Spaltungsprozessen?
Ich persönlich finde jede Spaltungsbewegung in der Community sehr problematisch und bin der festen Auffassung, dass Menschenrechts- und Emanzipationsbewegungen immer nur dann erfolgreich waren, wenn sie sich untergehakt haben und solidarisch sind. Die Lesben- und Schwulenbewegung der 1970er Jahre wäre nicht erfolgreich gewesen ohne einen starken Schulterschluss mit der Frauenbewegung. Ganz eindeutig. Und auch die Rechte von trans- und intergeschlechtlichen Menschen wären sehr viel schwieriger durchzusetzen, wenn es nicht auch Solidarität von cis-geschlechtlichen Lesben, Schwulen und Bisexuellen geben würde, die sagen: Was wir durchmachen in den Bereichen Sexualität und Liebe, wo uns das Recht abgesprochen wird, so zu leben, wie wir sind, trifft auch auf trans*- und inter-Personen zu, denen auch das Recht abgesprochen wird, so zu leben wie sie sind. Wir sollten als Community zusammenarbeiten. Ich höre allen Gruppen in der Community zu. Natürlich gibt es auch sehr unterschiedliche und spezielle Themen in den einzelnen Gruppen, aber ich appelliere immer dafür, dass wir gerade auf großen Veranstaltungen wie den CSDs gemeinsam marschieren für unser Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung. Ich finde Spaltungsbewegungen daher problematisch, sehe aber auch, dass sie politisch eigentlich keinen Erfolg haben. Politisch ist klar: Wir kommen nur gemeinsam weiter!
Sven, vielen Dank dir fürs Interview!