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Biefang macht sich stark für Akzeptanz und Gleichberechtigung in der Gesellschaft

„Aktiv unsere Welt gestalten!“ LGBTI*-Aktivistin Anastasia Biefang im Interview

ms - 01.02.2023 - 17:00 Uhr

Sie ist Bundeswehroffizierin, die erste transgeschlechtliche Kommandeurin in der Bundeswehr sowie stellvertretende Vorsitzende von QueerBw, der Interessenvertretung aller queeren Angehörigen der Bundeswehr. Zudem engagiert sie sich leidenschaftlich für die Community – die Rede ist von Anastasia Biefang. Deutschlandweit in die Medien geriet sie, nachdem sie im vergangenen Jahr ihren Rechtsstreit mit der Bundeswehr publik gemacht hat. Durch mehrere Instanzen hatte sich die ehemalige Bundeswehrkommandeurin geklagt, weil sie einen Verweis ihres Vorgesetzen nicht hatte so einfach hinnehmen wollen. Der hatte Anstoß an dem privaten Dating-Profil von Biefang genommen, die darin schrieb: „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“

Das allein reichte aus, um Biefang in mehreren gerichtlichen Instanzen als unmoralischen Menschen darzustellen. Schlussendlich entschied im Mai letzten Jahres das Bundesverwaltungsgericht zugunsten der Bundeswehr und hob abermals die angebliche “sexuelle Disziplinlosigkeit“ der Bundeswehroffizierin hervor. Soll hier eine LGBTI*-Aktivistin mundtot gemacht werden? So ganz von der Hand zu weisen ist der Verdacht nicht – Biefang selbst hat deswegen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Eines sollte dabei klar sein: Die transgeschlechtliche Frau kämpft nicht in erster Linie für sich, sondern für die Klärung der generellen Frage: Was darf ein Soldat in seiner Freizeit tun, gerade auch, wenn er zum Beispiel schwul oder queer ist? Wo endet der Diensteid, wo beginnt die Privatsphäre? Auch abseits der aktuellen Debatte kämpft Anastasia Biefang so für die Rechte von LGBTI*-Menschen. SCHWULISSIMO wollte genauer wissen, welche Themen der  Bundeswehroffizierin aktuell unter den Nägeln brennen.

Kuscheln in der Küche: Ihre Katzen und ihre Frau geben Biefang Kraft, um sich für die Rechte von LGBTI*-Menschen einzusetzen. © Anastasia Biefang

Das neue Jahr hat eben erst begonnen, was erhoffst du dir 2023 für LGBTI*-Menschen in Deutschland?

Da gibt es auch in diesem Jahr eine ganze Menge an Erwartungen und Hoffnungen. Der Anstieg an queerfeindlicher Gewalt in den letzten Jahren  ist nicht mehr als nur besorgniserregend zu beschreiben. Hier gilt es, gesellschaftliche Geschlossenheit zu zeigen und entschieden gegen Hass, Diskriminierung und Gewalt einzutreten. Im Kern erwarte ich einen weiteren Anstieg an Akzeptanz für uns und unsere Anliegen und ein Jahr ohne Gewalt und Hass gegen uns.

In diesem Jahr soll auch das neue Selbstbestimmungsgesetz umgesetzt werden. Seit den ersten Details gibt es immer wieder massive Streitigkeiten. Lassen wir einmal die Extremisten auf beiden Seiten außen vor, aber ganz banal gefragt, kannst du einige der Ängste gerade auch aus der Community nachvollziehen?

Ganz ehrlich - nein. Die Ängste, die oft proklamiert werden, sind für mich nicht nachvollziehbar. Bei genauerer Befassung mit den Aspekten zeigt sich deutlich, dass die Ängste unbegründet sind. Das heißt aber nicht, dass ich im öffentlichen Diskurs über die Ängste hinwegsehen möchte. Wir müssen sie aber als solche herausstellen, adressieren und abbauen. Das ist meines Erachtens auch ganz wichtig im Zuge des Selbstbestimmungsgesetzes und den öffentlichen und politischen Diskussionen.

Sichtbarkeit ist für mich so wichtig. Eben nicht ausruhen, sondern sich weiter stark machen für Gleichberechtigung. Denn wenn wir es nicht für uns tun, wird es auch kein anderer tun.

Ein Aspekt ist die Angst von einigen Frauen, dass Schutzräume wegfallen könnten – auch von Seiten des Justizministers Marco Buschmann (FDP) scheint es hier gewisse Bedenken zu geben. Könntest du dir hier trotzdem Lösungsansätze vorstellen?

Es ist interessant, dass dieser Punkt in der aktuellen Debatte, insbesondere von Gegnern dieses Gesetzes, so stark hochgehalten wird. Ich bin mir sicher, dass Frauenhäuser und deren Mitarbeitende im Sinne des Wohlergehens aller bereits Lösungen für derartige Situationen gefunden haben. Hier ist es wichtig, mit Empathie sachgerechte Lösungen zu finden und nicht das berechtigte Schutzbedürfnis von cis und trans* Frauen gegeneinander auszuspielen. Dies, glaube ich, kann allerdings ein Gesetz nicht schaffen oder “herbeiregulieren“. Wie stellen wir uns das denn vor? Genitale Leibesvisitation bei Vorstellung? Oder nur trans* Frauen mit umfassender genitalangleichender Operation sind zugangsberechtigt? Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor mehr als einem Jahrzehnt geurteilt, dass der Staat derartige Operationen nicht als Grundlage für den Personenstand machen darf. Die Situation ist also nicht neu. Daher verwundern mich auch die Aussagen von Marco Buschmann zuletzt, dass jetzt weitere Aspekte im Gesetzgebungsverfahren fachlich betrachtet werden sollen. Mit dieser Aussage schürt er weiter Unsicherheit bei transidenten Menschen und bedient mit Sicherheit auch die Narrative der politischen Gegner dieses Gesetzes. Und abseits des Personenstandes “männlich“ und “weiblich“ ist auch der Personenstand “divers“ beziehungsweise auch “kein Eintrag“ möglich. Die beiden letzten genannten Personengruppen würden aktuell in vielen gesellschaftlichen Bereichen weiter “unsichtbar“ bleiben, da vieles in unserer Gesellschaft rein binär geregelt ist und die Vielfalt geschlechtlicher Realität noch nicht überall angekommen ist.

Ein anderer Eckpunkt ist die Frage, ab wann Jugendliche eine Änderung des Personenstandes via Sprechakt künftig vornehmen lassen dürfen. Derzeit sind 14 Jahre im Gespräch, mal mit, mal ohne zwingende Zustimmung der Eltern. Wie siehst du das?

Die Frage nach dem Alter ist sicherlich keine leichte. Volljährigkeit liegt bei 18. Ich habe da sicherlich nicht die Lösung. Die Möglichkeit, auch jungen Menschen die Änderung des Personenstandes vornehmen zu lassen, wenn diese sich ihrer  Geschlechtsidentität bewusst sind, halte ich zunächst für den richtigen Ansatz und ebnet ihnen ein diskriminierungsfreies Leben im Alltag. Das trägt wiederum positiv zur mentalen Gesundheit von jungen transidenten Menschen bei.

Gemeinsam stark – Biefang hofft, dass sich die LGBTI*-Community nicht weiter zerstreitet und pocht auf Zusammenhalt. © iStock/CanY71

Lass mich dich nach deinen persönlichen Erfahrungen fragen: Wie hast du für dich diese Entwicklung erlebt, bis zu dem Punkt, an dem dir klargewesen ist, ich bin trans.

Ich wurde mir dessen so mit 16 oder 17 Jahren gewahr. Die Scham und Unsicherheit haben aber über Jahre dazu geführt, dass ich es verdrängt beziehungsweise versteckt habe. Transidente Menschen in den 90er Jahren galten als krank und abnormal. Daraus erwuchs in mir keine Position der Stärke. Erst im Alter von 40 Jahren, nach einer gescheiterten Beziehung und Jahren der seelischen Unsicherheit und Qualen, konnte ich endlich 2015 den Schritt zu mir wagen. Ich hatte lange nicht den Mut, ich selbst zu sein. Alles andere danach ist eine schöne und gute Geschichte.

Es gibt inzwischen auch innerhalb der Community mehrere Vereine und Gruppen, die sich bewusst abspalten und sich beispielsweise nur auf Homosexuelle oder/und Bisexuelle konzentrieren. Zu unterschiedlich seien hier inzwischen die wesentlichen Eckpunkte bei den politischen und gesellschaftlichen Forderungen. Wie blickst du auf diese Entwicklung?

Mit Verstörung, Entrüstung und Empörung. Die Stärke, trotz in Teilen divergierender Bedürfnisse und Ziele, der Community liegt in Ihrer Geschlossenheit. Diese Geschlossenheit bildet sich meines Erachtens aus der Abkehr von heteronormativen Lebensvorstellungen oder hin zu queeren Lebensentwürfen und Ansichten. Ich befürchte, die Community kann insgesamt nur verlieren, wenn wir uns zersplittern lassen. Wir sind viele und geschlossen – das ist die Stärke, um politisch gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Und daran sollten wir uns immer erinnern. Wir sollten uns als queere Community unserer Geschichte bewusstwerden, den gemeinsamen Kämpfen – auch für unterschiedliche Gruppen und Ziele.

ZUR PERSON

Anastasia Biefang

Anastasia Biefang, Jahrgang 1974, war die erste transidente deutsche Kommandeurin der Bundeswehr. Sie absolvierte zwei Auslandseinsätze in Afghanistan, zuletzt 2017. Seit 2019 geht sie gerichtlich gegen einen Verweis ihres ehemaligen vorgesetzten Generals aufgrund ihres Tinder-Profils vor. Seit 2016 ist Biefang zudem im Vorstand von QueerBw, zuständig für geschlechtliche Vielfalt, seit 2019 ist sie die stellvertretende Vorsitzende. Außerdem engagiert sie sich als LGBTI*-Aktivistin und ist Kolumnistin. Seit 2018 ist sie in zweiter Ehe mit ihrer Frau verheiratet. Im Jahr 2019 kam der Dokumentarfilm “Ich bin Anastasia“ von Thomas Ladenburger über ihr Leben ins Kino.

Homosexuelle Kritiker in dieser Debatte sagen, dass es natürlich auch ein soziales Geschlecht geben darf, deswegen aber die Zweigeschlechtlichkeit nicht wegfallen dürfe, weil darauf Homosexualität beruhe, sprich die Hinwendung zum gleichen Geschlecht. Wie sieht du das?

Homosexualität heißt, dass Du dich zu dem “gleichen“ beziehungsweise eigenen Geschlecht hingezogen fühlst. Ich verstehe daher nicht, wieso das nur in einer binären Geschlechtsordnung existieren kann. Ich denke, da ist jemand in seiner sexuellen Orientierung sehr fragil und unsicher. Die geschlechtliche Vielfalt nimmt keinem etwas weg. Sie macht aber viele in unserer Gesellschaft sichtbar. Und deswegen regt mich diese Debatte auch auf. Gerade wir in der queeren Community sollten uns gemeinsam hierfür stärker einsetzen. Wir wurden alle durch die Gesellschaft, durch das Patriarchat, unsichtbar gemacht, als krank oder abnormal dargestellt. Und das ist alles noch gar nicht so lange her. Hier gilt es, Scheuklappen ab und Augen auf. Vielfalt bereichert. Punkt! Und Vielfalt ist Realität – sie wurde nur unterdrückt.

Die Vereinigung-TransSexuelle-Menschen e.V. kritisierte zuletzt auch queere Aktivisten wie beispielsweise Tessa Ganserer und stellte für sich klar, dass der Penis zum Beispiel ausschließlich ein männliches Genital sei – was Frau Ganserer bestreitet. Der Verein erklärte auch, dass die Arbeit manch queerer Aktivisten eher schaden als nützen würde. Wie blickst du auf diese internen Debatten?

Diese Debatte schadet nur der queeren Community gesamt und der transidenten Community. Wollen wir jetzt anfangen von “echten“ und “weniger echten“ transidenten Menschen zu sprechen? Wieviel Körperdysphorie bedarf es denn, um von dieser Vereinigung als Frau anerkannt zu werden? Bin ich keine Frau, nur weil ich mir einen Bart wachsen lassen kann? Bin ich deswegen weniger trans*? An dieser unsäglichen Debatte werde ich mich nicht beteiligen. Eine Debatte, die wir führen sollten, ist, wie wir mit gesundheitlichen Maßnahmen Menschen mit Geschlechtsdysphorie abseits von binären Geschlechterrollen unterstützen können, um deren körperliches Leiden zu reduzieren. Also nicht nur geschlechtsangleichende Maßnahmen dann zu erhalten, wenn die Indikation “Transsexualität“ vorliegt, sondern eben auch bei nicht-binären Menschen.

„Der Satz, der mir früher am meisten geholfen hätte, wäre gewesen: Vertraue Deinen Gefühlen. Die sind echt. Du bist echt. Die Gesellschaft ist falsch.“ © Anastasia Biefang

Ein anderes Thema sind die Pubertätsblocker. Das Deutsche Ärzteblatt hat Ende letzten Jahres dazu aufgerufen, Pubertätsblocker in Deutschland nur noch im Zuge von Studien zu verschreiben, zu dünn sei die bisherige Faktenlage, zu groß die mögliche Gefahr, damit lebenslange Folgen bei den betreffenden Personen zu erzeugen, beispielsweise Knochenschwund, IQ-Verringerung oder auch dauerhafter Verlust des sexuellen Empfindens. Andere Länder wie Schweden oder Großbritannien gehen da derzeit ähnliche Schritte. Deine Einschätzung dazu?  

Ich bin hier keine ausgewiesene Expertin. Wenn die Studienlage zu dünn ist, dann müssen wohl Studien her. Medizinische Studien zu trans* sind anscheinend jetzt auf einmal wichtig in der aktuellen Debatte. Verschrieben wurden Pubertätsblocker schon vorher, nach Indikation und mit Einverständnis der Eltern. Hier wäre meine Frage, warum wurde nicht schon intensiv in den letzten Jahrzehnten hierzu geforscht? Anscheinend waren wir da als Gruppe nicht interessant genug, ich weiß es nicht. Ich weiß aber eines: Eine Behandlung in Deutschland geht nur nach entsprechender Indikation, Aufklärung und therapeutischer Begleitung. Die Verordnung von medizinischen Maßnahmen hat nichts mit einem Selbstbestimmungsgesetz zu tun, sondern erfolgt anhand medizinisch festgelegter fachlicher Leitlinien. Wenn die Datenbasis hierzu in Zukunft besser wird, medizinisch einwandfrei und evidenzbasiert, kann ich das nur begrüßen. Das sollte aber die bisherige Vorgehensweise der Verordnung von Medikamenten oder Maßnahmen nicht grundsätzlich in Zweifel ziehen. Zudem: Die psychologische Beratung für die Verordnung von medizinischen Maßnahmen fällt durch dieses Gesetz doch gar nicht weg. Jeder medizinische Schritt bedarf der Indikation. Eine therapeutische Begleitung von mindestens sechs Monaten ist Vorgabe, bevor irgendeine medizinische Maßnahme erfolgen kann. Das was wegfällt mit dem Selbstbestimmungsgesetz ist der Zwang zu den Gutachten. Und in aller Klarheit: diese Gutachten habe ich nicht als beratend für mich empfunden, sondern als unerträglicher Zwang, mich vor dem Staat beweisen zu müssen. Ich wurde also quasi für die Feststellung meines eigenen Geschlechtes entmündigt. Das ist doch das krasse und menschenrechtsverachtende an der noch gültigen Gesetzgebung.

Die Zahl der Hassverbrechen steigt derzeit in Deutschland immer weiter an, neben schwulen Männern sind vor allem auch transgeschlechtliche Personen im Fokus der Angriffe. Was ist für transgeschlechtliche Menschen derzeit Alltag in Deutschland?

Die Bandbreite umfasst leider alles von verbaler bis hin zu körperlicher Gewalt. Von Beschimpfung zu angespuckt werden, auf offener Straße körperlich bedroht und  angegriffen zu werden.  Meine Erfahrung ist, dass Dir diese Art von Gewalt im Alltag leider jederzeit widerfahren kann. Die eigene Achtsamkeit ist oftmals der einzige Schutz, den es gibt, aber wir wollen doch nicht ständig über unsere Schulter schauen müssen. Zudem finden viele Angriffe auch unvermittelt statt und dann oftmals sehr brutal. Ich bin froh gerade von körperlicher Gewalt im Großen und Ganzen verschont geblieben zu sein, aber erlebt habe ich diese dennoch. Und entsprechend bewege ich mich auch in der Stadt, vorsichtig und achtsam.

Ich kann alle jungen queeren Menschen nur dazu ermuntern, aktiv unsere Welt und Gesellschaft zu gestalten, sich einzubringen und sich selbst wertzuschätzen.

Lass uns einmal deinen Blickwinkel einnehmen, sprich, wie sieht das alltägliche Leben einer transgeschlechtlichen Person abseits der Anfeindungen aus?

Die Antwort hierzu könnte gleich ein ganzes Buch füllen. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es gibt erst einmal nicht “den“ Alltag für transidente Menschen, gleichwohl teilen wir alle aber viele Herausforderungen, bedingt durch rechtliche und medizinische Verfahren in diesem Land. Darüber hinaus wollen wir gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, unseren Alltag selbstbestimmt gestalten und leben, aktiv in der queeren Community wirken. Das viele von uns täglich Hormone nehmen müssen, ist den meisten wohl bekannt – und dass ein Leben lang. Was mich persönlich nervt, sind Fragen nach meinen Geschlechtsteilen oder ob beziehungsweise wann ich operiert wurde. Als ob irgendjemand darauf ein Recht hat, dieses zu erfahren. Es scheint, als ob es bei uns andere Grenzen des Anstands gibt, nur weil wir trans* sind. Auch das spiegeln unseres Geschlechtsausdruckes an vermeintlich heteronormativen Geschlechterstandards geht mir auf die Nerven. Es ist nicht unsere Aufgabe, für cis Menschen einfach lesbar zu sein. Lernt mit Eurer Unsicherheit umzugehen und begegnet uns gegenüber respektvoll und wertschätzend.

Wie ist es um unsere Gesellschaft derzeit allgemein bestellt in puncto Akzeptanz und Gleichberechtigung? Wie weit sind wir als Community wirklich gekommen?

Auf der einen Seite sind wir als Community in den letzten 50 Jahren verdammt weit gekommen, aber es waren harte Kämpfe, ausgetragen auf unseren Schultern. Auf der anderen Seite sehen wir aktuell, dass der Community auch Rechte abgesprochen werden oder uns unterstellt wird, eine Diktatur der Minderheiten in diesem Land zu sein. Da stelle ich mir schon die Frage, wie tief die Akzeptanz tatsächlich geht. Deswegen ist Sichtbarkeit für mich auch so wichtig. Eben nicht ausruhen, sondern sich weiter stark machen für Gleichberechtigung. Denn wenn wir es nicht für uns tun, wird es auch kein anderer tun.

 Ist es am Ende doch so einfach – wir alle sind Menschen, die für Gleichberechtigung und Akzeptanz kämpfen? © iStock/gustavofrazao

Du bist auch sexuell aktiv in der Community beziehungsweise datest auch gerne. Wie sind deine Erfahrungen hier? Herrscht innerhalb der Community eine Offenheit oder erlebst du hier auch eine gewisse Form von Ausgrenzung? Auf einigen Profilen liest man dies neben den bekannten “No-Gos“ Bauch, Brille, Bart ja immer wieder.

Ich glaube, dass insbesondere trans* Personen dies in der Community noch erfahren. Gerade trans* Männer erleben das oft in schwulen Räumen. Da heißt es mal schnell, ohne Penis keinen Zugang. Das deklariere ich klar als Ausgrenzung. In Berlin erlebe ich allerdings sehr viele queere Räume, die dazu einen ganz anderen, positiven Zugang haben. Die Vielfalt wird angenommen und auch zelebriert, aber nicht fetischisiert.

Wie ist die queere Community denn aus deiner Sicht insgesamt derzeit aufgestellt?

Wir sind politisch und gesellschaftlich sehr gut vernetzt. Und Vertreter:innen der Community sitzen mittlerweile an wichtigen Positionen in Politik und Wirtschaft. Wir können uns also auch außerhalb des Aktivismus engagieren und einbringen. Wichtig ist für mich dabei, dass wir unsere eigenen Narrative erzählen. Das stärkt unsere Sichtbarkeit weiter. Wir fordern nur gleiche Rechte, keine Sonderrechte. Wir nehmen keinem etwas weg. Anerkennung für unsere Bedürfnisse und Anerkennung für unser Wirken wäre wirklich schön.

Was mich persönlich nervt, sind Fragen nach meinen Geschlechtsteilen oder ob beziehungsweise wann ich operiert wurde. Als ob irgendjemand darauf ein Recht hat, dieses zu erfahren.

Was würdest du gerne jungen queeren Menschen stärker ans Herz legen? Gerade in dieser Gruppe von Menschen stieg die Zahl der Depressionen zuletzt ja stark an.

Der Satz, der mir früher am meisten geholfen hätte, wäre gewesen: “Vertraue Deinen Gefühlen. Die sind echt. Du bist echt. Die Gesellschaft ist falsch.“ Das hätte mir viel persönliches Leid erspart. Und dann kann ich alle jungen queeren Menschen nur dazu ermuntern, aktiv unsere Welt und Gesellschaft zu gestalten, sich einzubringen und sich selbst wertzuschätzen.

Der LSVD hat Ende letzten Jahres eine eher durchwachsene Bilanz nach einem Jahr Ampel-Regierung gezogen. Kernaussage war: Der große Aufbruch stagniert, es passiere viel zu wenig. Wie blickst du auf die aktuelle Politik?

Ich kann dem LSVD da nur zustimmen. Meine Erwartung an die Ampel war deutlich mehr Geschwindigkeit in den anstehenden Gesetzesvorhaben. Ich bin froh über den Queer-Beauftragten der Bundesregierung. Das war und ist ein wichtiges Zeichen. Aber die Umsetzung kann er ja nicht alleine schaffen, sondern das braucht auch die Geschlossenheit in der Koalition. Und da wünsche ich mir deutlich mehr Aktivität von der SPD und FDP.

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