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Leserumfrage // © VladOrlov

Leserumfrage Die Frau im Mann

vvg - 05.12.2015 - 11:00 Uhr

Mein Name als Theatermensch, Kostümbildner und Make-up-Artist ist „Sergio Abajur“, als Drag-Queen heiße ich nur „Abajur“. Das bedeutet „Lampenschirm“, da ich früher sehr groß und dünn war und einen riesigen Lockenkopf hatte. Ich bin in Campina Grande geboren, einem Ort ca. vier Flugstunden von São Paulo entfernt. Ich trete auf, seit ich 18 Jahre alt bin. Ich hatte eine Theaterproduktion in Brasilien und bekam ein Angebot als schrille, bunte Drag-Queen. Dabei habe ich Flyer verteilt und wurde so zu einer der ersten Drags, die outdoor auftrat, was eine immer größere Bekanntheit zur Folge hatte. Meine Mutter war anfangs total gegen meinen Theater- und Design-Berufswunsch. Als sie meinen Erfolg sah und alle Nachbarn über mich sprachen, war sie stolz auf mich. Seitdem bin ich nicht mehr der „schwule“ Sohn, sondern der „künstlerisch“ veranlagte. Vor zehn Jahren habe ich meinen Mann Ami in Brasilien kennengelernt und mich für ihn und Deutschland entschieden. Er staunte, als er mich zum ersten Mal in Aktion sah. Ich ging aufgetakelt zu einem Madonna-Konzert in Düsseldorf. Mein Foto war doppelt so groß in den Zeitungen, wie das anderer Stars. Da wurden die Leute auch hier neugierig. Heute trete ich bei unterschiedlichen Events wie Geburtstagfeiern, Hochzeiten oder Partys in ganz NRW auf. Ich habe festgestellt, dass das Hetero-Publikum dankbarer ist. Ich habe drei Mal beim Düsseldorfer Tuntenlauf den 1. Preis für das beste Kostüm erhalten, wobei ich diese übrigens alle selbst entwerfe. Danach bin ich in der Jury gelandet, ich sollte wohl nicht immer gewinnen.

Natürlich bringe ich in meinen Shows auch „My Way“. Allerdings schminke ich mich nicht ab, sondern komme als Mann auf die Bühne und schminke mich dort zur Frau. Ich liebe meinen Job und hoffe, so lange auftreten zu können, wie ich kann und wie es mir Spaß macht. Ein Traum von mir wäre, einmal mit dem „Ave Maria“ vor dem Papst aufzutreten.
Abajur, alias Sergio Adriano Do Nascimento
 

Abajur // © vvg

Ich habe als Schauspieler schon immer Frauenrollen gespielt; so z.B. die Mutter im Musical „Hairspray“ und momentan bin ich im JoJo-Effekt die „Hausfrau Margot“. Einmal im Monat führe ich in Kooperation mit Wuppertal-Marketing in der Fabienne-Rolle als Stadtführerin „Baronin von Wupp“ eine Reisegruppe durch Wuppertal und zeige ihnen die Schönheiten der Stadt. Am Ende gehören dann alle zum Wuppertaler Adel. Auf meine Rolle als Frau fahren vor allem die Damen ab 50 ab; allerdings kommt es auch vor, dass die eine oder andere gar nicht merkt, dass ich auf der Bühne eigentlich ein Mann bin. Ich bin ja keine Drag, sondern eher eine trashige Comedian. Also anstatt Glamour gebe ich mehr die Mutti und werde so zu einer „durchgeknallten Freundin“. Im kommenden Jahr geht ein TV-Sender aus Bad Honnef sogar mit Fabienne und einer Sendung auf „Die Tour der 100 Dörfer“. Auf meinen Namen kam ich bei einem 60. Geburtstag, zu dem ich als Frau geladen war. Als mich eine Freundin abholte, meinte sie, ich sähe ja aus wie eine von der Straße. Zeitgleich schnappte ich den Namen Fabienne von einer Fernsehansagerin auf und dachte, das passt ja gut zusammen. Obwohl Fabienne immer blond ist, besitze ich ca. 50 Perücken, Kleider habe ich etwa doppelt so viele; darunter erlesene Stücke von Hazy Hartlieb und das Hella-von-Sinnen-Kostüm „Neuschwanstein“ aus „Alles nichts, oder?“. Ich habe ja die Figur dazu! Obwohl ich auch ernste Männerrollen spielen kann, komme ich als Frau besser an. So bin ich überzeugt, dass Fabienne mit mir 80 wird. Es wird sie geben, bis ich umfalle. Und das am liebsten auf der Bühne. Meine Mutter meinte übrigens mal: „Ich hätte dich ja lieber als Kristof auf der Bühne gesehen, aber wenn es nun mal die Fabienne sein soll, dann in Gottes Namen.“
Fabienne van Straten, alias Kristof Stößel
 

Fabienne van Straten // © vvg

Ich bin in Holland geboren und aufgewachsen und lebe seit 14 Jahren in Deutschland. Ich bin Single und unterrichte als Lehrer am Studienkolleg. Mein Name setzt sich aus der bekannten Droge und einem naturwissenschaftlichem Element zusammen; ich bin halt eine überdrehte, witzige Mathematikerin. Crystal bin ich aber erst seit einem halben Jahr, vorher nannte ich mich nach der guten alten Physikerin Marie Curie „Mary Curry.“ Das erste Kleidchen trug ich schon als Kind, meinen ersten Fummel als „wiederauferstandene Marlene D.“ vor ca. zwei Jahren zum Karneval. Vorher stand ich hauptsächlich als Mann im Comedy-Bereich auf der Bühne. Heute unterhalte ich in Spiel-Shows und trete bei Benefizveranstaltungen auf. Mein Fundus besteht aus sieben Kleidern, vier Perücken und fünf Paar High Heels, Größe 44/45. Meine Auftrittsmusik geht so in Richtung Tina Turner. Meine Vorbilder sind die „Dee“, Tim Fischer und Ru Paul. Ich bin aber nicht die einzige „Tochter“ meiner Eltern; ich habe noch einen „Bruder“! Meine Mutter findet Girly-Sachen allerdings komisch und albern. Sie selbst hasst Schminke; mein Vater ist da wesentlich offener. Bei Auftritten werden wir von Frauen wegen unserer Schminkkunst und dem Laufen auf Stöckeln regelrecht bewundert. Bei den Männern kommt immer noch das sexuelle Element hinzu. Seit Mary & Gordy hat sich da ja viel verändert und besonders in Deutschland ist die Travestie mehr zu einer Art Kleinkunst geworden. Innerhalb der Drag-Szene gibt es natürlich ein Family-Feeling; ich habe sogar mit Monique Mystik eine Ziehtochter, was mir großen Spaß macht. Es gibt echte Freundschaften und Bühnen-Freundschaften. Aber mit Sicherheit auch eine gewisse Stutenbissigkeit.
Crystal Math, alias Patrick Jacobs
 

Crystal Math // © vvg

Da in der Szene gern die Vornamen verweiblicht werden, wurde aus mir die Franka. Ich lebe in München, bin Single und führe das Leben einer Teflonpfanne, nach dem Motto „An mir bleibt nichts kleben“. Meine Freizeit verbringe ich mich mit dem Anfertigen meiner Kostüme. Ich habe bestimmt über 100 Kostüme kreiert, die ich fast alle noch besitze. Perücken habe ich 20+, diverse selbstgebastelte Kopfbedeckungen. Schuhe besitze ich 15 Paar; da ich mit Größe 43 auf „großem Fuß“ lebe, ist es nicht immer einfach, passende Modelle zu finden. Alle Outfits, Perücken, Kostümteile und Requisiten mache ich in stundenlanger Handarbeit selber. Meine Kreationen sind für mich etwas Besonderes. Man findet mich damit auf Münchner Events, wie z.B. beim Fasching, auf Straßenfesten und dem Oktoberfest. Und ich bin auf vielen nationalen und internationalen CSDs unterwegs: in Köln, Berlin, München und Stuttgart ebenso wie in Rom, Madrid, London, Marseille, Zürich und Gran Canaria. Ob Heteros anders als Schwule reagieren, kann ich nicht sagen. Da gibt es bei meinen Kostümen und Ideen keinen Unterschied. Heteros zeigen sich genauso begeistert wie die Gay-Community. Dass ich mittlerweile bekannt bin, merke ich, wenn man bei den Paraden meinen Namen ruft. So werde ich durch meine Bekanntheit in der Gay-Szene geschätzt und anerkannt. Das ist ein wunderbares Gefühl. Meine Mutter ist übrigens sehr stolz auf mich. Im Altenheim zeigt sie ihren Betreuerinnen Zeitungsausschnitte von mir: „Schaut's her, das ist mein Bub“. Auf ungläubige Fragen wie: „Das ist doch eine Frau“, antwortet sie nur: „Ich werde doch noch meinen Bub kennen“. Jeder meiner Auftritte ist ein Highlight für mich. Unvergessen bleibt allerdings der Wiener Live Ball, den ich gewonnen habe. Ansonsten bin ich mit allem, was ich gemacht und erlebt habe, zufrieden. Wie lange ich das noch machen will? Oh mein Gott, so lange mich meine Füße tragen. Soll das etwa eine Anspielung auf mein Alter sein? Eine Frechheit!
Franka, alias Frank K.
 

Franka // © vvg

Der Name „Ham & Egg“ ist uns beim Brunchen in den Sinn gekommen. Wir hatten beide Schinken und Ei auf dem Teller. Wir wollten einen Namen, den man nicht mit Travestie in Verbindung bringt. „Ham & Egg“ klingt deftig und das sind wir auch. Jörg arbeitet seit Juli 2004 in der Medienzentrale der Bundeswehr als redaktioneller Mitarbeiter bei BwTV. Und seit Februar 2015 als Redakteur im Presse- und Informationszentrum des Bundesamtes für Personalmanagement. Andreas wechselte nach der Schule und einer Ausbildung zum Einzelhandels-Kaufmann zur Bonner Stadtverwaltung, um dort in die Beamtenlaufbahn einzusteigen, wo er heute noch Teilzeit arbeitet. Zuerst waren wir auch privat ein Paar. Von Tisch und Bett haben wir uns vor drei Jahren getrennt, nicht aber von der Bühne; schließlich verstehen wir uns wunderbar. Das muss auch sein, denn wir sind mit unserem „Wanderzirkus“ (www.hamundegg.de) bundesweit auf Tour. Unsere Eltern sind übrigens mächtig stolz und verpassen kein Programm. Es hat auch nie Probleme damit gegeben, dass wir uns in Frauenkleider schmeißen. In unserem Fundus befinden sich ca. 70 Perücken und weit über 100 Kostüme. Wir mussten uns in der Zeit von vielem trennen. Wenn das neue Programm vor der Tür steht, werden wieder riesige Stoffberge zu lagern sein. Unsere Garderobe macht seit gut 17 Jahren unsere Kostümbildnerin. Sie ist Französin, hat im Moulin Rouge und Lido getanzt und von dort das Feeling für exklusive Kostüme mitgebracht.

Interessant an unseren Vorstellungen ist das prozentuale Verhältnis zwischen Hetero- und Homo-Publikum, das liegt etwa bei 90% zu 10%. Heteros sind schneller zu begeistern. Die „Schwuppen“ schlagen die Beine übereinander, gucken und sind skeptisch; weil sie das ja vielleicht besser könnten. Übrigens haben wir am 7. Oktober 2016 mit dem Programm „Sahnestücke DELUXE“ in Köln Premiere. Das wird unser Best-of zum 20sten. Wir machen weiter, solang wir merken, dass immer wieder ein Puzzle-Teil dazukommt, das unsere Sache größer werden lässt. Gesundheitlich geht es uns bestens und wenn wir alt und grau sind, huschen wir mit unseren Rollstühlen über die Bühne und wechseln nur noch die Decken. Vorher möchten wir aber noch im ausverkauften Rhein-Energie-Stadion auftreten – und zwar zehn Tage am Stück! Darf man denn keine Träume haben?
„HAM“, alias Jörg Dilthey und „EGG“, alias Andreas Schmitz
 

Ham und Egg // © vvg

Der Name „Loulou Blue“ stammt vom Parfüm von Cacharel: Ich finde sowohl die Werbung als auch die Farbe Blau und den Duft schön. Es war schwer, sich auf einen Namen festzulegen, denn darauf baut sich ja eine Figur auf. Mein erstes (sehr laienhaftes) Kleid hatte ich zum Karneval mit etwa 16 an. Inzwischen bin ich ausgelernter Friseur und Maskenbildner und fertige nicht nur meine Kostüme, sondern auch mein Make-up und meine Perücken selbst an. In meinem Fundus sind 35 bis 40 Kostüme, mindestens 50 Perücken und etwa 100 Paar Highheels, Größe 41 mit 18-cm-Stöckeln. In die Travestie bin ich eher zufällig „reingerutscht“. Ich habe immer schon getanzt; mit der gemischten Garde eines Karnevalsvereins im Rheinland wurden wir sogar „Deutscher Meister“. In Köln überredete mich Marcia im „Startreff“, als Springer mitzumachen. Es bereitete mir Spaß und nach zwei Monaten bekam ich eine Festanstellung angeboten, die ich auch annahm. Das war meine Schule als Travestiekünstler. Inzwischen habe ich mich nach zweieinhalb Jahren verabschiedet, weil ich mich weiter entwickeln wollte. Was ich dort aber gelernt habe, hätte ich nie auf der Visagistenschule lernen können. Meine Zukunft sehe ich also mehr als Maskenbildner/Visagist und Lehrer in diesem Bereich. Mir war es immer wichtig, die Illusion einer Frau zu verkörpern. Für mich ist Travestie eine Kunst, die man nicht so nebenbei macht. Seit sechs Monaten bin ich „Resident-Drag“ bei der „SEXY“. Dazu trage ich zu jedem Motto ein neues Outfit und trete niemals mit einem Kostüm ein zweites Mal auf. Da mache ich als „Loulou Blue“ die Leute mit frechen Sprüchen an. Als Marcel bin ich eher schüchtern und seit vier Jahren in einer glücklichen Beziehung. Privat will mich mein Freund auch nur als Mann haben, das andere ist für ihn und für mich lediglich ein Job, der mir viel Spaß macht.
Loulou Blue, alias Marcel End
 

Loulou Blue // © vvg

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