Direkt zum Inhalt
Angst in der Community

Angst in der Community Werden LGBTI*-Jugendliche in Australien mit dem Verbot von Social-Media im Stich gelassen?

ms - 29.11.2024 - 14:00 Uhr
Loading audio player...

Die Angst in der australischen Community wird seit dieser Woche immer größer - werden LGBTI*-Jugendliche in Australien mit dem jetzt beschlossenen Verbot von Social-Media-Plattformen für unter 16-Jährige im Stich gelassen? Verstärken sich Gefühle von Isolation und Hilflosigkeit für homosexuelle und queere Jugendliche gerade im ländlichen Australien?

Verbot ohne Ausnahmen 

Als erstes Land der Welt hat Australien in dieser Woche Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren den Zugang zu sozialen Netzwerken im Internet komplett verboten – in einem Jahr wird das Gesetz in Kraft treten, nach jüngsten Umfragen unterstützen offenbar 77 Prozent der Australier die neuen Richtlinien der Regierung unter Premierminister Anthony Albanese. Auch eine Erlaubnis der Eltern ändert dann nichts am Verbot. Explizit betroffen sind davon alle Meta-Dienste wie Facebook oder Instagram aber auch X, TikTok, Snapchat oder Reddit. Weigern sich die Online-Dienste, drohen Geldstrafen von bis zu 31 Millionen Euro. 

Albanese bezeichnete die sozialen Medien als „Geißel“, die Kinder von „echten Freunden und echten Erfahrungen fernhalten“ würde. Und Kommunikationsministerin Michelle Rowland ergänzte, dass etwa zwei Drittel der 14- bis 17-Jährigen in Australien sich online bereits sehr schädliche Inhalte angesehen hätten, beispielsweise Drogenkonsum, Selbstmord, Selbstverletzung und gewalttätiges Material. In einer ersten Versuchsphase soll mittels Systemen zur Altersverifizierung wie beispielsweise durch biometrische Daten (Gesichtserkennung) oder Ausweisdokumente die zeitnahe Umsetzung erprobt werden, Mitte 2025 erfolgt dann die finale Auswertung. 

Hintertür zur Internetkontrolle?

Kritiker des Gesetzes betonen massive Datenschutzbedenken und viel zu schwammige Vorgaben. Die Social-Media-Anbieter selbst forderten mehr Zeit, X-Chef Elon Musk erklärte außerdem, das Vorgehen der australischen Regierung sehe nach einer Hintertür aus, um so schrittweise den Zugang aller Menschen zum Internet kontrollieren zu können. Das Gesetz lässt offen, wie genau die Alterskontrolle tatsächlich umgesetzt werden soll – denkbar wäre, dass alle Australier dann verpflichtend eine Alterskontrolle oder eine staatliche Identifikation durchlaufen müssen. Bleibt die Kontrolle alleinige Aufgabe der Plattformen, stellt sich die Frage, was mit den hoch sensiblen persönlichen Daten zur Verifizierung dann tatsächlich bei den Unternehmen passiert. 

Isolation von LGBTI*-Jugendlichen 

Die Kernkritik konzentriert sich dabei allerdings vielerorts auf die Isolation von jungen Australiern, die von den positiven Aspekten sozialer Medien ausgeschlossen werden. Besonders dramatisch könne dies künftig für LGBTI*-Jugendliche ausfallen, wenn ihnen die Kommunikation mit Gleichgesinnten, Ratgeber oder auch Kontakte zu queeren Jugendeinrichtungen weitestgehend künftig verwehrt bleiben. Die australische Menschenrechtskommission bekräftigte ebenso, dass das Gesetz damit die Menschenrechte junger Menschen verletzen könne, beispielsweise auch mit Blick auf ihrer Teilhabe an der Gesellschaft.

Der Guardian Australia befragte junge LGBTI*-Menschen, die Mehrheit von ihnen lehnt das neue Gesetz ab. Die heute 23-jährige lesbische Amelia erklärte so stellvertretend für viele: „Ich lebte als Jugendliche in den Außenbezirken des Großraums Melbourne, der nicht sehr bekannt dafür ist, dass es Community-Räume, Community-Veranstaltungen und soziale Unterstützung für LGBTI*-Jugendliche gibt. Ich habe die sozialen Medien wirklich genutzt, um etwas über die verschiedenen Identitäten zu erfahren und auch, um die Unterstützung der Community zu suchen... und um zu sehen, was andere Autoren von Inhalten aus der ganzen Welt teilen, tun, erleben und darüber sprechen. Dort konnte ich die Repräsentation der queeren Community sehen.“

Gängelung junger Menschen

Und Enie Lam, eine Schülerin aus Sydney, die vor kurzem 16 Jahre alt wurde, betont: „Das Gesetz wird nur eine Generation junger Menschen hervorbringen, die technologisch versierter ist, um diese Mauern zu umgehen. Es wird nicht die gewünschten Effekte erzielen. Wir alle wissen, dass soziale Medien nicht immer gut für uns sind, aber das Verbot sozialer Medien stößt bei vielen jungen Menschen auf starke Ablehnung.“

Ähnlich sieht das Grünen-Senatorin Sarah Hanson-Young: „Das ist der Versuch der Bohème, jungen Menschen vorzuschreiben, wie das Internet zu funktionieren hat, damit sie sich besser fühlen.“

Gesundheitliche Schäden

Die Zensur von Social-Media für LGBTI*-Jugendliche könne nebst der Isolation auch zu gesundheitlichen Problemen führen, beispielsweise eine Zunahme von Depressionen bis hin zu suizidalen Gedanken. Die australische Aufsichtsbehörde für Online-Sicherheit befragte in diesem Jahr LGBTI*-Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren: Mehr als die Hälfte der Befragten (51 %) gaben an, online mehr sie selbst sein zu können als in der Öffentlichkeit. 

Professor Patrick McGorry, Direktor der Organisation Orygen, die sich für die psychische Gesundheit von Jugendlichen einsetzt, sagte: „Niemand scheint die Jugendlichen selbst zu diesem Thema befragt zu haben (…) Im Grunde genommen reden ältere Erwachsene und Politiker über das Thema, ohne wirklich viel davon zu verstehen.“

Anzeige
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE

Auch Interessant

Opfer mit Böller angegriffen

Verdächtige 16 und 18 Jahre alt

Vor zwei Monaten kam es im Hamburger Stadtpark zu einem schwulenfeindlichen Angriff. Zwei Brüder wurden nun als Hauptverdächtige festgenommen.
Bilanz ESC 2025

Mehrwert für die Schweiz

Die Schweiz zieht ein positives Fazit über den ESC 2025 in Basel: Die Kassen klingelten und das Image hat sich deutlich verbessert.
Schwules Paar überfahren

Homophober Angriff in London

Mordprozess in London: Am Weihnachtsabend 2024 raste ein 30-Jähriger in eine Menschenmenge, darunter ein schwules Paar. Ein Mann starb dabei.
Lügen vor Millionenpublikum

Anti-LGBTIQ+-Rhetorik von rechts

In der „Tucker Carlson Show“ mit dem rechten Aktivisten Milo Yiannopoulos entlud sich wieder einmal eine Welle LGBTIQ+-feindlicher Rhetorik.
Lynchversuch an Universität

Student in Uganda angegriffen

Eine Gruppe homophober Studenten versuchte an der größten Universität in Uganda einen Kommilitonen zu ermorden. Jetzt hat der Fall erste Konsequenzen.
Neue Vorwürfe in England

Homophobie unter Polizisten

Erneut steht die britische Polizei in der Kritik: Verschleppte sie die Aufklärung von Raubüberfällen auf Schwule aufgrund von Homophobie?
Italiens neue Zensur

Verbotspläne schreiten voran

"Gott, Vaterland und Familie“: Nur Sexualkunde und LGBTIQ+ soll es an vielen Schulen Italiens bald nicht mehr geben, beschlossen die Parlamentarier.
Jugend unter Druck

Psychische Probleme stark vertreten

Viele queere Jugendliche haben Zukunftsängste, neuerdings auch mit Blick auf die Spaltung der Gesellschaft. Details offenbart eine neue Studie.