Russland in Angst „Ich kann mich nicht erinnern, dass die Bedrohung jemals so ernst und real war!“
Noch in dieser Woche soll in Russland wahrscheinlich bereits das Gerichtsurteil fallen, das LGBTI*-Organisationen künftig rechtlich als „extremistische Verbände“ einordnen lässt – ein weitreichendes Urteil, welches die Lebenssituation von Homosexuellen und queeren Menschen im Land bald gänzlich unmöglich machen dürfte.
Gezielter Kampf gegen LGBTI*
Künftig wäre es damit auch möglich, dass alle Menschen, die sich für LGBTI* einsetzen, strafrechtlich verfolgt, verhaftet und verurteilt werden können. Präsident Wladimir Putin folgt damit seinem strengen Kurs im Kampf gegen die LGBTI*-Community, zuletzt hatte er Ende 2022 den Anti-Homosexuellen-Paragrafen aus dem Jahr 2013 noch einmal verschärft.
Nun also der nächste Schritt, den das Justizministerium so begründet: In Aktivitäten der russischen LGBTI*-Bewegung seien „verschiedene Anzeichen und Erscheinungsformen einer extremistischen Ausrichtung, einschließlich der Aufstachelung zu sozialem und religiösem Zwist“ festgestellt worden.
Die Bedrohung war noch nie so ernst
Gegenüber Reuters berichteten nun mehrere LGBTI*-Aktivisten, wie dramatisch sich seit der Ankündigung des neuen Gesetzvorhabens erst vor wenigen Tagen die Lage gerade für Homosexuelle noch einmal verschlimmert habe – viele haben schlicht panische Angst: „Natürlich ist das sehr beunruhigend, und ich kann mich nicht erinnern, dass die Bedrohung jemals so ernst und real war“, so LGBTI*-Aktivist Alexej Sergejew.
In der Community wird vermutet, dass Putin genau jetzt das Vorhaben durchsetzen will, um sich erneut Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen im März 2024 zu sichern. Putin strebt dabei eine weitere, sechsjährige Amtszeit an.
Konsequenzen für alle Homosexuellen
Das neue Gesetz hätte dabei künftig nicht nur direkte Auswirkungen auf die wenigen, noch bestehenden Organisationen, die Homosexuelle und queere Menschen in Russland unterstützen, sondern auch ganz persönlich auf jeden einzelnen Homosexuellen. Sergej Troschin, ein offen schwuler Stadtverordneter in St. Petersburg für die Oppositionspartei Jabloko, erklärte so gegenüber Reuters, das Mitarbeitern des Staates künftig eine Beförderung versagt bleibt, wenn ihre Homosexualität bekannt ist – sie erwartet im Gegenzug sogar eher ein Strafverfahren.
„Jeden Morgen rechne ich damit, dass um 6 Uhr morgens Leute kommen und mich durchsuchen, klingeln und kräftig an die Tür klopfen, so wie sie es sonst gerne tun. Man wird mich durchsuchen und mir sagen: 'Gegen Sie wurde ein Strafverfahren wegen Beteiligung an den Aktivitäten einer extremistischen Organisation eingeleitet', mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen“, so Troschin weiter.
Suizide in der Community
Künftig werden selbst harmlose Treffen von LGBTI*-Menschen so eine strafbare Handlung darstellen. „Sie werden entweder Selbstmord begehen oder sich einfach in einem schrecklichen Zustand befinden – ihr Leben wird verkürzt sein und ihre Gesundheit wird sich stark verschlechtern, sie werden mehr trinken und rauchen und so weiter und versuchen irgendwie, dieser Realität zu entkommen“, so Aktivist Sergejew mit Blick auf seine homosexuellen Mitbürger.