„Es liegt Hass in der Luft“ Russell T. Davies will düsteres queeres Drama schreiben
Bei der Vergabe des Iris-Preises, dem größten LGBTI*-Kurzfilmpreis weltweit, sprach der 57-jährige schwule Serienschöpfer Russell T. Davies am Samstag über die aktuell beunruhigende Lage. Auch er sei besorgt darüber, „wo wir jetzt stehen“. Diese Situation wolle er in einem düstereren Drama adressieren.
Serien als Spiegel ihrer Zeit
Sein Werk habe immer mit der heutigen Zeit zu tun, so Davies, der kürzlich wieder die Verantwortung für die Serie „Doctor Who“ übernahm, nachdem er 2005 an deren Revitalisierung beteiligt war: „Ich mag historische Sachen wie ‚A Very English Scandal‘ schreiben oder futuristische Dinge wie ‚Doctor Who‘“, erklärte er. „Aber wenn man sich meine Arbeit anschaut, führt sie immer wieder zum Hier und Jetzt.“
Davies habe bereits zwei große Werke in seinem Repertoire, die sich explizit mit der Jetzt-Zeit auseinandersetzten: „Queer as Folk“ aus dem Jahr 1999 und „Cucumber“ von 2015. Jetzt, wo er älter werde und sich dem Ende seines Lebens nähere, wolle er gerne ein drittes Werk schreiben, das genau beschreibt, in welcher Zeit wir uns heute befinden: „Ich denke, es liegt viel Hass in der Luft, viel Unsinn in der Luft, viel Rhetorik, und eine Menge Hasserfüllte schüren das Feuer. Und ich habe dazu einiges zu sagen“, so Davies.
Repräsentation ist wichtig
Vor allem wenn man älter werde, sei es „sehr einfach, im eigenen Büro zu sitzen und sich gedanklich von der Welt zu entfernen … und plötzlich schreibt man Dinge, die man auch vor zehn oder zwanzig Jahren hätte schreiben können“, so Davies. Aus diesem Blickwinkel betrachtet sei es gut, dass LGBTI*-Rechte immer wieder in den Nachrichten sind: „Ich wünschte, wir hätten nicht die Hälfte der Probleme. Aber wenn man ständig in den Schlagzeilen ist, wenn die Politik ständig über einen redet, wenn die Medien ständig über einen reden, dann ist man wenigstens auf dem Laufenden und ist sich der Diskussionen bewusst.“
„Wir müssen uns ständig dafür einsetzen, dass die Darstellung von LGBTI* im Mittelpunkt der Erzählung steht“, so Davies weiter. „Es ist gefährlich, zu denken, dass es schon in Ordnung so ist. Es gibt noch mehr, was getan werden muss.“ Es sei nicht genug, dass queere Charaktere einfach nur kurz dabei sind. „Wir müssen weiterhin die Menschen einbinden, die wir einbeziehen.“
Über Casting-Entscheidungen
Im Zuge von LGBTI*-Repräsentation ist es Davies auch enorm wichtig, dass LGBTI*-Schauspielende gecastet werden – und er wird auch nicht müde, seinen Standpunkt wieder und wieder zu betonen, weil „keiner sonst es sagt“. Und: „Ich bin laut und andere hören auf mich.“
„Ich weiß, dass ein Hetero-Schauspieler eine schwule Figur fantastisch darstellen kann“, so Davies. „Ich weiß, dass auch ein schwuler Schauspieler eine heterosexuelle Figur großartig spielen kann.“ Es ginge auch nicht um Authentizität. Er erläuterte: „Da draußen werden heute 57 Dramas gecastet, ohne dass ich dabei bin.“ Eine Stimme reiche aus, um das Argument zu kippen, und bringe mehr Menschen dazu, zu fragen: „Sollen wir hier queer casten?“
Es ist keine Performance
Gegenüber PinkNews erläuterte Davies bereits 2021, warum er so denkt: „[Die Schauspielenden] sind nicht dazu da, um homosexuell zu spielen. Homosexualität ist keine Performance. … Ich bin kein Haufen von Performance-Codes. … Ich glaube wirklich, dass es jetzt das Richtige ist, Schwule mit Schwulen zu besetzen.“ Er finde es auch einfach „so fair wie möglich“, queere Rollen generell mit LGBTI*-Personen zu besetzen.
Nach der Ausstrahlung des Aids-Dramas „It’s a Sin“ habe die Debatte, ob heterosexuelle Schauspielende queere Rollen spielen können, „irgendwie aufgehört“. Das Publikum habe wohl erkannt, dass eine queere Besetzung ihren Wert habe: „Die Leute konnten sehen, was ich meinte“, erklärte Davies. Die komplett aus LGBTI*-Personen bestehende Cast habe „einfach ihr Ding gemacht“ und er glaubt, dass das wirklich zur besonderen „Energie“ beitrug, die die Serie ausstrahle. „Ich glaube fest daran. Es ist mein Job, an diese Dinge zu glauben. Es ist meine Show. Ich denke, wir haben etwas Großartiges geleistet, und ich bin sehr stolz auf diese Besetzung.“ Dabei sei es gar nicht so einfach, eine rein queere Cast zu finden. Es ist nämlich rechtlich nicht erlaubt, beim Casting nach der sexuellen Orientierung zu fragen, und das sei gut so.
Gewohnt, sich zu verstellen
„Ich glaube auch daran, queere Personen in heterosexuellen Rollen zu casten. … Denn ab dem Alter von acht Jahren tun wir so, als wären wir heterosexuell. Das ist das Erste, was wir lernen. Bevor wir lernen zu ficken, lernen wir zu täuschen.“ Von dem Moment an, in dem der erste sexuelle Gedanke entstehe – auch im Jahre 2021 – werde er unterdrückt: „Du versteckst es und du passt dich den Heteros an.“ Also wähle Davies mit Vorliebe LGBTI*-Personen aus, um heterosexuelle Charaktere zu spielen, weil sie „Heterosexualität einstudierten, seit sich ihre ersten Instinkte bildeten. … Also ja, schwul als hetero ist in Ordnung.“