Hassverbrechen in England Rund 24.000 Angriffe auf Homosexuelle in einem Jahr
Die britische Regierung hat die neusten Statistiken zu Hassverbrechen in England und Wales herausgegeben – insgesamt wurden mehr als 145.000 Fälle binnen eines Jahres von der Polizei erfasst, allein rund 24.100 Angriffe erfolgten aufgrund der sexuellen Orientierung der Opfer. Insgesamt wurden fast 29.000 LGBTI*-Briten angegriffen.
Großes Misstrauen gegenüber der Polizei
Im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum ist die reine Anzahl von Hassverbrechen damit zwar leicht um sechs Prozent zurückgegangen, liegen aber noch immer extrem hoch, bedenkt man zudem, dass 90 Prozent der Fälle nach Angaben der britischen Regierung zumeist gar nicht erst angezeigt werden. Zum Vergleich: In Deutschland kam es offiziell zu rund 1.400 solcher Straftaten binnen eines Jahres.
Zudem geben mehrere britische LGBTI*-Organisationen zu bedenken, dass die jüngsten Zahlen den trügerischen Schluss nahelegen, homosexuelle und queere Menschen wären erstmals seit der Erfassung von Hassverbrechen vor zehn Jahren seltener zu Opfern geworden. Leni Morris, Geschäftsführerin des LGBTI*-Verbandes Galop, erklärte dazu: „Einige Leute werden diese neuesten Zahlen dafür nutzen, um zu sagen, dass die Zahl der Hassverbrechen rückläufig ist, aber wir glauben, dass sie ein Misstrauen gegenüber der Polizei und dem Strafrechtssystem darstellen.“ Die These ist schwer von der Hand zu weisen, denn nach wie vor gilt die britische Polizei als strukturell homophob, schwerpunktmäßig gerade in den Großstädten.
65 Prozent mehr Beratungsanfragen
Dazu passt auch, dass die Zahl der Attacken auf Trans-Menschen um elf Prozent gestiegen ist. Die mit Abstand größte Opfergruppe im Bereich LGBTI*-Hassverbrechen sind aber nach wie vor schwule Männer, ähnlich wie in Deutschland. Dass die tatsächlichen Angriffe auf Homosexuelle in England und Wales weiter zunehmen, belegen auch die steigenden Anfragen an die Beratungsstelle Galop. „Wie wir in unseren Diensten feststellen, ist die Hasskriminalität gegen unsere Gemeinschaft nicht zurückgegangen – im Gegenteil, die Nachfrage nach unserer nationalen Hotline für LGBTQIA+-Hasskriminalität ist in einem einzigen Jahr um 65 Prozent gestiegen. Das bedeutet, dass die Daten des Innenministeriums nicht die Realität der gegen LGBTQIA+ gerichteten Hassverbrechen widerspiegeln. In Wirklichkeit weiß niemand, wie falsch die Daten sind. Aber sie sind unbestreitbar falsch!“, so Morris weiter.
Opfer werden alleine gelassen
Dabei bestehe noch ein weiteres großes Problem auf der Insel, so Morris: Oftmals werden die Opfer von Hassverbrechen bis heute allein gelassen, selbst dann, wenn die Angriffe seitens der Polizei dokumentiert wurden. „Es gibt keine Diskussion darüber, wie es weitergeht – über die Unterstützung, die ein Opfer möglicherweise braucht, um in sein tägliches Leben zurückzukehren, wie es sich wieder sicher fühlen kann, welche praktische Hilfe es möglicherweise bei der Wohnungssuche, der medizinischen Versorgung oder dem Strafrechtssystem benötigt – und nichts darüber, wie es sich psychologisch davon erholt, dass es aufgrund seiner Persönlichkeit zur Zielscheibe geworden ist.“
Staatliche Anlaufstellen versagen
Und mehr noch, selbst im direkten Kontakt mit den staatlichen Anlaufstellen bleiben viele Fragen offen: „Bei unserer Arbeit mit den Opfern stellen wir fest, dass die Systeme, die uns eigentlich schützen sollen, versagen. LGBTQIA+-Personen, die von homo- und transphobischen Nachbarn angegriffen werden, bekommen von den Behörden oft zu hören, dass es sich lediglich um ´asoziales Verhalten´ handelt, sodass keine weiteren Maßnahmen ergriffen werden. Wir haben auch festgestellt, dass sich immer mehr Opfer an uns wenden, weil ihr Fall von der Polizei als ´nicht weiter zu verfolgen´ eingestuft wurde. Es besteht ein eindeutiger und aktueller Reformbedarf – für mehr und bessere Unterstützungsdienste, für eine Reform des Gesetzes und für die Rechenschaftspflicht und Überwachung der Untätigkeit gegenüber den Tätern“, so Morris weiter. Dazu passend, hat die Regierung zwischenzeitlich angekündigt, den Aktionsplan zur Bekämpfung von Hasskriminalität nicht zu verlängern.