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Die seltsame Freude über den Schutz der Homo-Ehe
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USA: Sieg für Homosexuelle? Chancenlos und trotzdem Partylaune – wie geht es der US-Community?

ms - 20.07.2022 - 12:00 Uhr

[KOMMENTAR] Es muss an dieser Hitzewelle liegen – anders lassen sich die jubelnden Hurra-Meldungen nicht erklären, die viele Journalisten hierzulande und auch international gerade mit Bezug auf die jüngsten Entwicklungen in den USA verbreiten. Lachende, queere Menschen, eine Regenbogenfahne schwenkend, ganz so, als sei der LGBTI*-Community der ganz große Wurf gelungen. Hintergrund ist ein neuer Gesetzentwurf zum landesweiten Schutz der gleichgeschlechtlichen Ehe in den Vereinigten Staaten von Amerika (SCHWULISSIMO berichtete). Dieser Gesetzestext hat es jetzt durch das US-Repräsentantenhaus geschafft, was insofern nicht verwundert, weil wenigstens bis zu den Zwischenwahlen im November die Demokraten hier eine Mehrheit verzeichnen.

Heureka! Was für ein Erfolg. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Zumeist nur in einem Nebensatz wird dann doch erklärt, dass dieser Gesetzentwurf letztgültig vom Senat verabschiedet werden müsste und dort bedarf es der Stimmen der Republikaner. Jene Politiker, die sich derzeit geschlossen im US-Kulturkampf auf Wählerfang gegen die LGBTI*-Community stellen und Rechte für queere Menschen mit Pädophilie gleichsetzen. Jene Politiker, die bis heute mehrheitlich zu Donald Trump stehen. Jene Politiker, die allein in diesem Jahr rund 350 LGBTI*-feindliche Gesetzesvorhaben in die einzelnen Bundesstaaten eingebracht haben. Jene Politiker, die massiv die Pläne des mehrheitlich konservativ aufgestellten Obersten Gerichts bejubeln, vielleicht noch in diesem Jahr das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe zu kippen. Jene Politiker, die mit Rückendeckung dieser Richter dann in halb Amerika gerne auch wieder Sodomie-Gesetze in Kraft treten lassen wollen, die gleichgeschlechtlichen Sex gänzlich unter Strafe stellen. Diese Politiker also werden sich nun sicherlich im Senat ein Herz fassen und entgegen ihrer politischen Maxime kurz vor den Zwischenwahlen im November ein Gesetz für die Gay-Community unterstützen, das fundamental gegen die Kernforderungen ihrer eigenen Wählerschaft angeht. Mit Sicherheit.

Diese, im Grunde leider unbedeutende und nicht mehr als plakative Hürde des Repräsentantenhauses als Sieg zu feiern, käme der Freude eines Ertrinkenden gleich, der ein Schlauchboot mit Löchern ergattert und sich freuen kann, ein paar Minuten länger leben zu dürfen. Doch lasst uns kurz fantasieren, denn immerhin stimmten im Repräsentantenhaus auch 47 republikanische Abgeordnete für das Schutzrecht der Homo-Ehe. Im Zauber des Moments würde also die Mehrheit auch im Senat dieses Gesetz billigen – selbst dieser maximale Erfolg würde nur bedeuten, dass Bundesstaaten gleichgeschlechtliche Ehen auch dann weiter anerkennen müssen, wenn das Recht auf die Homo-Ehe vom Obersten Gerichtshof tatsächlich einkassiert wird. Neue Eheschließungen wären trotzdem so kaum möglich. Und das neue Gesetz kann jederzeit abermals durch ein erneutes konservatives Gesetzvorhaben bei einer Mehrheit in beiden Kammern wieder aufgehoben werden – und die Gefahr dieser absoluten Mehrheit für die Republikaner ist im November eine äußert reale. Übrigens gab es bereits mehrere Anläufe, einen solchen rechtlichen Schutz im Bundesgesetz zu verankern – alle Vorhaben scheiterten bis heute. Aber sicher, der heutige Tag ist ein Grund fürs Feiern. Sinnbildlich sitzen wir also alle gerade in jenem Schlauchboot und keiner will laut aussprechen, dass die Luft immer schneller entweicht.

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