Selbstbestimmungsgesetz: Scharfe Kritik Amelung zu Lehmann und Paus: „Sie ducken sich einfach weg!“
Ende letzter Woche präsentierten die Bundesminister Paus (Grüne) und Buschmann (FDP) die ersten Pläne für das neue Selbstbestimmungsgesetz, das im kommenden Jahr das bisherige Transsexuellengesetz ersetzen soll. Kernaspekt dabei ist die vereinfachte Personenstandsänderung, sodass trans-Menschen künftig einfach via Sprechakt einmal im Jahr ihren Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern lassen können. Bisher, dafür nötige psychologische Gutachten sowie ein Beschluss des Amtsgerichts entfallen.
Seit Bekanntwerden der Pläne kam es einerseits zu viel Lob von Seiten einzelner LGBTI*-Vereine, aber auch zu Kritik. Entgegen den bisherigen Plänen von Seiten der FDP und den Grünen sollen Jugendliche ab 14. Jahren eine Personenstandsänderung nur mit Zustimmung der Eltern oder durch Entscheidung des Familiengerichts vornehmen lassen können. Der Lesben- und Schwulenverband erklärte dazu, dass dies nicht der „Entscheidungs- und Verantwortungsfähigkeit der Jugendlichen“ entsprechen würde. SCHWULISSIMO fragte nach bei Till Randolf Amelung – der trans-Mann gilt als Experte für Themen wie Diversity, geschlechtersensible Gesundheitsversorgung und Intersektionalität. Er studierte Geschlechterforschung und Geschichtswissenschaften in Göttingen, arbeitet heute als Autor und Referent und blickt durchaus kritisch auf einige politische Ideen im Bereich LGBTI*.
Till, wie bewertest du ganz grundsätzlich die jüngsten Pläne zum Selbstbestimmungsgesetz? Gerade mit Bezug auf die Personenstandsänderung ab 14 Jahren gab es ja Änderungen im Vergleich zu den bisherigen Forderungen von Bündnis 90 / Die Grüne.
Ich bin froh, dass bei dieser Frage zumindest Vernunft eingekehrt zu sein scheint. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Minderjährige so ein Rechtsgeschäft von dieser Tragweite ohne Eltern tätigen sollten, aber auf der anderen Seite nicht mal ohne deren Einwilligung an einem Zeltlager teilnehmen dürfen.
Kurz nach der offiziellen Bundespressekonferenz erklärte der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, in einem digital veröffentlichten Gespräch mit den beiden trans-Frauen im Bundestag, Tessa Ganserer und Nyke Slawik, dass hier noch nicht das letzte Wort gesprochen sei. Wie bewertest du das?
Mein Eindruck ist, dass er in der Tat gern den ursprünglichen Plan durchsetzen möchte. Ob ihm das gelingen wird, ist ungewiss. Sven Lehmann wirkt auf mich so, als sei er mehr an seinem eigenen Platz in den Geschichtsbüchern interessiert, als daran, wirklich realistische und tragfähige Gesetzeslösungen für Transpersonen umzusetzen.
Wenn es bei den jüngsten Regelungen bleiben sollte und sich ein Jugendlicher zukünftig ans Familiengericht wendet, weil die Eltern einer Personenstandsänderung nicht zustimmen, wie schätzt du dann die Situation ganz praktisch ein? Würde ein Familiengericht in diesem Fall künftig überhaupt noch die realistische Möglichkeit haben, eine Personenstandsänderung ebenso abzulehnen oder muss es dem Wunsch des Jugendlichen nicht sozusagen zwingend folgen, immerhin geht es ja um das Wohl des Kindes und dieses möchte selbstbestimmt eine Personenstandsänderung durchführen lassen.
Da vermag ich nur zu spekulieren, denn da werden auch andere Faktoren mit zum Tragen kommen, insbesondere medizinische und psychotherapeutische Leitlinien. Wenn dort ein flaches Verständnis von “affirmativ“ ausdrücklich empfohlen wird, ist das aber ein durchaus realistisches Ergebnis.
Im ZDF-TV-Format "13 Fragen" auch mit dir als Gast konnten am Ende der Debatte alle – auch trans- und nicht-binäre Gäste – dem Kompromiss zustimmen, dass eine verpflichtende therapeutische Begleitung für Minderjährige vor einer Personenstandsänderung beziehungsweise Medikamenteneinnahme durchaus sinnvoll wäre. Warum wird dieser mögliche Kompromiss von einigen Aktivisten wie aber auch von Sven Lehmann aus deiner Sicht so vehement abgelehnt?
Ich fürchte leider, dass sich Aktivismus von einem seriösen Umgang in bedenklichem Ausmaß entfernt hat. Die mannigfaltigen Herausforderungen in einer Pubertät sowie, dass sich eine mögliche Geschlechtsdysphorie bei vielen Betroffenen im weiteren Verlauf auflösen kann, sind wissenschaftlich belegt. Das reiht sich bedauerlicherweise in einen sehr selektiven Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ein, den man bei anderen politischen Lagern zu den Themen Klimakrise und Corona-Pandemie kennt. Die Politik wird auch nicht ihrer Aufgabe gerecht, die gesamte Gesellschaft im Blick zu behalten und einen Interessensausgleich herbeizuführen. Stattdessen wird sich einfach 1:1 die aktivistische Sicht zu eigen gemacht.
Im Streitgespräch mit der taz deutete die trans-Politikerin der Grünen Tessa Ganserer dir gegenüber an, dass im Hintergrund bereits daran gearbeitet wird, die Betreuung von trans-Personen mit Medikamenten (Pubertätsblocker/ Hormone) in einem nächsten Schritt ebenso gesetzlich verankern zu wollen – vielleicht auch für Jugendliche. Wie bewertest du das?
Es ging in Frau Ganserers Andeutung wohl eher allgemein um medizinische Maßnahmen, nicht bloß für Minderjährige. Medizinische Leistungen für Geschlechtsangleichungen sollen offenbar im Sozialgesetzbuch verankert werden. Mit einer Integration im Sozialgesetzbuch wird es aber immer noch notwendig sein, dass es medizinische Leitlinien, Indikationsstellungen für medizinische Leistungen und dergleichen gibt. Ebenso werden auch die Krankenkassen weiterhin jeden Leistungsantrag prüfen, ob dem stattzugeben ist.
Herr Buschmann und Frau Paus haben auch immer wieder betont, dass das Selbstbestimmungsgesetz nur in Zusammenhang mit der Personenstandsänderung zu sehen ist. Es ginge nicht um medizinische Fragen. Das stimmt formal, trotzdem wurden in den letzten Tagen mehrfach Bedenken geäußert, dass damit der Medikamentenvergabe an Minderjährige Tür und Tor geöffnet werden könnte. Der Gedanke dahinter: Kann ein Arzt überhaupt künftig noch eine Vergabe von Pubertätsblockern zum Beispiel verneinen, wenn juristisch bereits beim Minderjährigen eine Geschlechtsänderung stattgefunden hat.
Hier wird es dennoch medizinische Leitlinien geben, an denen sich ein Arzt orientieren muss. Es wird aber möglicherweise der Raum verengt, wo man sich doch nochmal genauer erkundigt und vielleicht andere Entscheidungen trifft, wenn durch eine formale Änderung bereits Fakten geschaffen wurden.
Wenn das Selbstbestimmungsgesetz in seiner jetzt angedachten Form im Jahr 2023 kommt, befürchten Feministinnen, dass juristisch im Grunde das Geschlecht abgeschafft werden würde. Befürworter der sogenannten Self-ID sagen dagegen, dass sei vollkommen übertrieben. Wie siehst du das?
Ein gemeinsamer Referenzrahmen dessen, was Geschlecht bedeutet, wird damit abgeschafft. Hier soll jedoch dann nur von einer Seite selbstbestimmt definiert werden, was Geschlecht ist, aber so funktioniert das nicht in einer Gesellschaft. Wenn ich mich aus dem Referenzrahmen herausbegebe, muss ich damit leben, dass ich von anderen nicht mehr verstanden, geschweige denn, so gesehen werde, wie ich mir das vorstelle.
Sven Lehmann wie auch Familienministerin Paus erklärten mehrfach, dass keine Gefahr bestehe, dass künftig Schutzräume für Frauen – beispielsweise Frauenhäuser – obsolet werden könnten. Begründung: Die Leitung eines Frauenhauses kann immer selbstständig entscheiden, wenn sie aufnehmen will. Konkret auf andere Einrichtungen angesprochen (Sauna, Fitnessclubs etc.) erklärte Paus, sie sehe keinen Erörterungsbedarf und habe auch keine weiteren Vorschläge für Frauen. Deine Einschätzung dazu?
Sie ducken sich einfach weg, was ich für absolut verheerend halte. So geht man nicht mit berechtigten Sorgen um, sondern trägt dazu bei, dass Vertrauen und Akzeptanz in den Vorgang, dass formale Geschlecht per einfachem Verwaltungsakt ändern zu können, schwindet. Und damit auch die Akzeptanz gegenüber Transpersonen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass alle deutschen Gesetze, die in ihren Texten bisher einen juristischen Unterschied zwischen Mann und Frau vornehmen, obsolet werden könnten. In einzelnen Fällen erleben wir das derzeit bereits in anderen Ländern mit einer Self-ID, beispielsweise in der Schweiz, wo ein Mann sich als weiblich definieren ließ, um ein Jahr früher Rentenbezüge beziehen zu können. Sicherlich, bisher Einzelfälle – trotzdem die Frage: Wird das neue Selbstbestimmungsgesetz aus deiner Sicht Auswirkungen auf alle Menschen in Deutschland haben?
Natürlich wird es Auswirkungen auf alle Menschen haben. Was passiert, wenn ich in geschlechtshomogenen Räumen gegenüber einer Person äußere, dass sie hier nicht hingehört? Oder wenn ich beispielsweise in Pflegekontexten möchte, dass mich nur biologische Frauen oder Männer pflegen? Es müsste überhaupt geschaut werden, welche Regelungen basieren noch auf der biologischen Zweigeschlechtlichkeit? Was wäre, wenn die Wehrpflicht wieder eingeführt wird? Die neueren Personenstände Divers und gestrichener Eintrag sind zudem in vielen Bereichen überhaupt nicht geregelt worden.
Verschiedene trans-Vereine haben vor kurzem in einer Petition erklärt, dass aus ihrer Sicht oftmals falsch über die Debatte um die Self-ID berichtet würde (Beispiel: Welt-Gastkommentar) und forderten deswegen auch sinngemäß, dass man mit gewissen kritischen Stimmen wie Dr. Alexander Korte, Oberarzt der Poliklinik für Kinder- und Jugend-Psychiatrie an der Uniklinik München und Experte für Geschlechtsdysphorie, oder auch Feministin Alice Schwarzer im Grunde gar nicht mehr reden sollte und ihnen keine Plattform mehr geben dürfte. Wie bewertest du das?
Eine Demokratie gibt auch Alice Schwarzer und Alexander Korte das Recht, ihre Sichtweise kund zu tun. Wenn man die Initiatoren dieser Petition direkt fragen würde, dann wäre wohl auch ich bei den Personen, mit denen man doch besser nicht reden möge. Die Frage sollte vielmehr sein, ob es nicht plausible Gründe für einige der so plakativ herausgehobenen Personen gibt, sich entsprechend öffentlich zu äußern. Aber das soll wohl gezielt verunmöglicht werden. Ich werte dies als durchaus verzweifelten Versuch von Aktivisten, weil sie befürchten, dass ihnen die Felle davon schwimmen.
Du bist selbst ein trans-Mensch und stehst im Kontakt mit der trans-Community. Aus deiner Erfahrung, wie blickt die trans-Community selbst auf das geplante neue Gesetz?
Wie es sich mit Mehrheiten verhält, vermag ich nicht zu sagen, daher werde ich nicht für “die“ Community sprechen. Aus persönlichen Gesprächen kann ich aber sagen, dass es auch Transpersonen gibt, die die queere Linie nicht befürworten. Die Aggressivität, die aber jeder Person entgegenschlägt, die auch nur die leiseste Kritik äußert, führt jedoch dazu, dass sich kaum jemand entsprechend äußern möchte.
Immer wieder werden zuletzt auch Ängste in der LGBTI*-Community laut, dass das geplante Selbstbestimmungsgesetz am Ende zu mehr Ablehnung in der Gesellschaft gegenüber LGBTI* führen könnte, frei nach dem Motto: „Die fordern zu viel.“ Wir erleben diese Entwicklungen ja bereits in Ländern wie Großbritannien oder den USA aktuell. Sind diese Befürchtungen aus deiner Sicht realistisch für Deutschland?
Die Befürchtungen halte ich für sehr realistisch. Wobei es jedoch nicht darum geht “zu viel“ zu fordern, sondern Dinge zu fordern, bei denen es berechtigte Kritik gibt, und bei denen ein differenzierter Diskurs darüber mit aller Macht unterbunden werden soll.
Gibt es Aspekte, die in der gesamten Debatte gerade bisher zu wenig oder gar nicht beachtet werden, aber dennoch grundsätzlich wichtig wären?
Die Diskurskultur ist einfach unterirdisch und nur von Polarisierung geprägt. Vielleicht wäre noch zu fragen, was für ein Verständnis von Selbstbestimmung hier wirksam werden soll und was mit der Selbstbestimmung derer ist, die da nicht mitgehen?