Schwule Sexarbeiter Wie geht es der Branche 2024 wirklich? Und welche Probleme gibt es?
Am Sonntag (2. Juni) ist der Internationale Hurentag – der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) lädt zu einer bundesweiten Aktionswoche inklusive Kiezführungen in Hamburg, Berlin, Nürnberg und Frankfurt sowie zu Bordell-Besichtigungen und Vorträgen ein. Das Motto dabei: „Redet mit statt über uns!“
Ein guter Vorschlag, denn wie geht es der Sexworker-Community tatsächlich im Jahr 2024? Und welchen Problemen müssen sich schwule und bisexuelle Sexarbeiter stellen? SCHWULISSIMO fragte nach bei Kolja-André Nolte, Pressesprecher des BesD und selbst als Sexworker als „Der Dominus“ unterwegs.
Kolja, euch macht die Politik in diesen Tagen erneut zu schaffen, oder?
Ja! Leider hat sich die CDU die populistische Idee des Sexkaufverbotes nun endgültig auf die Fahnen geschrieben. Es ist der Partei dabei egal, dass es keine wirklichen Studien zum Erfolg dieses Prinzips gibt, außer ein paar gefälschte. Es wird zudem auch ignoriert, dass das Sexkaufverbot primär gegenteilige Effekte erzielt, zum Beispiel einen Anstieg der minderjährigen Prostitution in Frankreich um 70 Prozent oder einen Anstieg der sexuell übertragbaren Krankheiten in Schweden. Das lässt sich alles auch durch Fakten belegen. Die Aidshilfen reden in einer Tour auch davon, dass ein Sexkaufverbot nichts bringt, ebenso durch Studien belegt, aber leider geht das an der CDU spurlos vorbei. Aber das wundert nicht, denn man will ja auch keine Sexarbeiter retten, sondern Deutschland vor der Sexarbeit. Einzig beruhigend ist, dass es eigentlich derzeit keine Partei gibt, die das so auch nur in Ansätzen ähnlich sieht, ein entsprechender Antrag der CDU scheiterte erst im Februar dieses Jahres krachend. Trotzdem schauen wir besorgt auf die Bundestagswahl 2025, denn die Konservativen liegen ja leider in Umfragen vorn.
Von der Corona-Pandemie und damit einhergehenden Berufsverboten war auch die Sexworker-Branche stark betroffen, hat sie sich davon inzwischen erholt?
Bei den Frauen müssen wir leider einen Rückgang der Bordelle beklagen, die die sexarbeitenden Männer ja nur im ganz geringem Umfang nutzen. Der damit verbundene Wegfall von sicheren Arbeitsplätzen ist natürlich schlecht. Bei den Männern ist der Status Quo eigentlich schon wieder hergestellt – man konnte sogar ein verstärktes Wachstum unmittelbar nach der Krise beobachten. Eventuell ist es hier interessant zu erwähnen, dass der Krieg in der Ukraine so gut wie gar keine Einflüsse auf die mann-männliche Sexarbeit genommen hat, wohl aber die Flüchtlingsströme aus dem Süden, denn zu den Bulgaren und Rumänen kommen nun auch vermehrt Syrer und Afghanen.
Hast sich der Markt der schwulen Sexarbeiter in Deutschland selbst in den letzten Jahren auch verändert?
Sicherlich ist insbesondere bei den Schwulen ein sehr deutlicher Trend hin zur Virtualisierung festzustellen. Damit hat sich der Markt auch ein Stück weit verbreitert, denn insbesondere virtuell sind wir ja inzwischen schon viele heterosexuelle Männer gewohnt, die ihre „distanzierten Leistungen“ hier anbieten. Der klassische Escort von früher macht aber nun auch vermehrt den „Home-made-Porn“ und publiziert auf diversen Kanälen online. Das bringt heute viel mehr Vielfalt in das sexuelle Spektrum, denn früher hatten allein Studiobosse entschieden, was geht, und heute entscheidet der Sexworker selbst darüber. Hieraus resultiert auch die Tatsache, dass viele Darsteller inzwischen völlig eigenständig sind und nach Ihrem Gusto das Angebot, die Arbeitszeit und Preise gestalten können. Zudem behalten sie die Kontrollmöglichkeit über die Veröffentlichungsdauer. Und natürlich muss der Sexarbeiter sich im virtuellen Raum nicht mehr mit den, natürlich ab und an auch mal eher unangenehmen Kunden herumschlagen. Contra ist sicher, dass das Niveau dieser Filme im Allgemeinen, Stichwort Belichtung zum Beispiel, etwas abgesunken ist, und es zudem mittlerweile schwieriger wird als Kunde, reale Treffen zu vereinbaren. In der Heterowelt haben wir übrigens nun dadurch das neue Phänomen des feministischen Pornos dazu gewonnen, der zum Beispiel auch männliche Homosexualität integriert. Natürlich gibt´s auch Frauen, die auch schwulen Sex geil finden, nur im Patriarchat, also in der Hetero-Mann-Perspektive, ist das eben bisher nicht möglich gewesen und daher waren früher die Heteropornos alle völlig genormt.
Wie viele schwule Sexarbeiter gibt es deiner Einschätzung nach aktuell in Deutschland?
Tatsächlich ist das die einzige Zahl aus dem Bereich, die wir schon mit ziemlich genauer Sicherheit benennen können. Im Gegensatz zu dem cis- beziehungsweise transweiblichen Segment, konzentriert sich die mann-männliche Sexarbeit in Deutschland im Wesentlichen auf das Portal HUNQZ. Der Berufsverband hat hier gemeinsam mit dem Portal eine Analyse durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass es derzeit um die 1.000 Sexarbeiter im Bereich Homosexualität bundesweit gibt. Hierbei ist wichtig zu erwähnen, dass es sich bei dieser Zahl um Männer handelt, die die Sexarbeit als tatsächlichen Haupterwerb ansehen. Es gibt daneben auch noch überdimensional viele sowohl hetero- wie homosexuelle Männer, die als Sexworker auftreten, aber eigentlich keine wirkliche Sexarbeit machen, sondern hier lediglich eigene sexuelle Fantasien umsetzen oder sich ausprobieren wollen. Das hängt mit dem vergleichsweise kleineren Stigma zusammen und natürlich mit dem etwas stärkeren Trieb als bei den Frauen.
Welche Klischees oder Vorurteile mit Blick auf schwule Sexarbeiter sind bis heute besonders stark ausgeprägt?
Mit Sicherheit das Thema Drogen, das in der schwulen Sexualität noch eine größere Bedeutung hat. Aber gemeinsam mit der Hetero-Welt haben wir den Fakt, dass die Sexarbeit das Thema Drogen nicht begünstigt, sondern es nur einfach bei uns ebenfalls vorkommt. Ebenso verhält es sich mit der oft kritisierten „Verrohrung“ der Sexualität. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, auf das wir lediglich aus wirtschaftlichen Gründen „reagieren“ und es in unser Angebot aufnehmen, es aber keineswegs für die mann-männliche Sexarbeit insgesamt steht.
Kolja, vielen Dank dir fürs Gespräch.