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Polen und der Papst
Rubrik

Polen und der Papst Wusste Johannes Paul II. von sexuellen Übergriffen einiger Priester?

ms - 15.03.2023 - 13:00 Uhr

Die römisch-katholische Kirche findet keine Ruhe in ihrem Umgang mit Opfern des sexuellen Missbrauchs – neue Recherchen des privaten polnischen Fernsehsenders TVN zeigen nun, dass wohl auch bereits der verstorbene polnische Papst Johannes Paul II. von Missbrauchsfällen gewusst hatte und nicht eindeutig dagegen vorgegangen sein soll. Damit reiht er sich ein neben dem zuletzt verstorbenen deutschen Papst Benedikt sowie dem amtierenden Papst Franziskus.

Verehrung für den Papst, Ablehnung für LGBTI*

Für Polen sind die neuen Erkenntnisse ein Schock, seit Ausstrahlung der Dokumentation diskutiert das ganze Land über das Thema. Bis heute genießt Papst Johannes Paul II. in Polen einen sehr hohen Stellenwert, sein Konterfei findet sich nicht nur bis heute auf zahlreichen Merchandising-Artikeln von Tassen bis zu Kühlschrankmagneten, sondern auch ehrfürchtig eingerahmt noch immer in vielen Haushalten. Mehrere Denkmäler und überlebensgroße Statuen gedenken bis heute seiner, beispielsweise im Strzelecki-Park in Krakau oder in Kattowitz neben der Christkönigskathedrale. Tausende Polen huldigen an diesen Orten bis heute „ihrem“ Papst, legen Kränze und Blumen nieder und stellen Kerzen ab.

Das starre Gedenken an ihn macht auch der LGBTI*-Community in Polen bis heute zu schaffen, die im Kampf um mehr Rechte sich immer wieder der rigorosen Ablehnung von Homosexualität aus der Zeit des polnischen Papstes konfrontiert sieht, die bis heute in Teilen der polnischen Gesellschaft ihre Wirkung entfaltet.

Denkmal von Papst Johannes Paul II. in Kattowitz

Vertuschte auch Papst Johannes Paul II. die Missbrauchsfälle?

Der Fernsehsender TVN indes wirft in seiner Dokumentation kein gutes Bild auf das ehemalige Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Bereits seit Jahren berichtet TVN immer wieder über Kindesmissbrauch in den katholischen Kirchen Polens und ebenso über die Versuche seitens der Geistlichen, die Fälle allesamt kleinzureden. Bis jetzt war die Aufregung darüber relativ klein, nun allerdings kocht die Stimmung von Tag zu Tag immer mehr hoch.

Mit stichhaltigen Beweisen deckten die Reporter auf, dass auch der polnische Papst offensichtlich über den Missbrauch informiert war. Die Journalisten dokumentierten drei Fälle aus den 1960er und 1970er Jahren, in denen Priester Kinder sexuell missbraucht hatten und trotzdem weiter in der Kirche arbeiten durften. Der spätere Papst war zu dieser Zeit noch als Erzbischof Karol Wojtyla in Krakau tätig. Ein Opfer von damals erklärte ganz offen, er habe den späteren Papst bereits 1973 über den sexuellen Missbrauch informiert, doch dieser soll ihn gebeten haben, nicht weiter über die Angelegenheit zu sprechen.  

Die PiS-Partei wittert eine Chance

Für die konservative Regierung des Landes kommt die Story zur rechten Zeit, lenkt diese doch bestens von den anderen Problemen des Landes ab, die maßgeblich als Versagen der regierenden PiS-Partei angerechnet werden – es geht dabei sowohl um Korruption wie auch um steigende Energie- und Verbraucherpreise. Jetzt kann sich Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki einmal mehr als Retter der Werte positionieren. Er erklärte, die Dokumentation sei nichts weniger als der Versuch, einen „zivilisatorischen Krieg in Polen auszulösen“. Und sein Kulturminister Piotr Glinski polterte: „Ein Angriff auf den Papst ist ein Angriff auf Polen, auf die polnische Staatsräson.“ Noch dicker trug nur noch der amtierende Erzbischof von Krakau, Marek Jedraszewski, auf, als er von einem „zweiten Attentat auf Johannes Paul II.“ sprach. Im Jahr 1981 war der polnische Papst von einem Attentäter angegriffen worden.

Auswirkungen für die LGBTI*-Community

Die Regierung arbeitet in diesen Tagen daher bereits an einem neuen Gesetzesvorhaben, das jedwede Kritik am „größten Polen der Geschichte“, Papst Johannes Paul II., verbieten soll. Zudem übertrumpfen sich einige PiS-Politiker bereits jetzt wieder darin, die christlichen Werte des Landes hochzuhalten – und so auch erneut indirekt Stimmung gegen LGBTI*-Menschen zu machen. Nachdem erst im Januar die EU-Kommission die Ermittlungsverfahren gegen die „LGBT-freien Zonen“ in Polen stillschweigend eingestellt hatte, bekennen sich auch hier wieder mehr Bürger öffentlich gegen Rechte für Schwule und Lesben. Der Streit um den verstorbenen Papst dürfte den Standpunkt der konservativen Hardliner nun erneut stärken. 

Der Vatikan selbst schweigt größtenteils, Papst Franziskus erklärte nur lapidar, man müsse die Fälle aus der damaligen Zeit heraus betrachten. Eine Öffnung der Archive des Vatikans für weitere Recherchen lehnen die Geistlichen kategorisch ab. Das Bild des polnischen Papstes, der 2014 heiliggesprochen wurde, darf nicht verletzt werden – für einige Menschen in Polen ist dies indes einfach nur scheinheilig.  

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