Neuer Appell in der trans-Debatte „Der mediale Druck normalisiert und banalisiert eine Ideologie.“
Vor rund fünf Wochen sorgte ein Appell von rund einhundert deutschen Wissenschaftlern und Medizinern für eine mediale Schlammschlacht – die Erstunterzeichner forderten in einem Gast-Beitrag der Welt die öffentlich-rechtlichen Medien dazu auf, nicht mehr aus ihrer Sicht einseitig, voreingenommen und nicht auf Grundlage von Fakten über das Themen Transsexualität sowie das geplante neue Selbstbestimmungesetz zu berichten. So würden zudem auch fachlich fundierte, kritische Stimmen nicht zu Wort kommen. Was folgte war eine Flut von Richtig- und Gegendarstellungen, die jeweils der anderen Seiten faktenferne und Aktivismus vorwarf. Das Kernanliegen der rund einhundert Wissenschaftler war dabei die Bitte, sich wieder einem sachlichen Diskurs anzunähern. Auch der Experte für Geschlechtsdysphorie und Leitender Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität München, Alexander Korte, bat zuletzt nochmals um eine Versachlichung der Debatte. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, warf den Gastautoren wie auch Korte gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vor; mehrere queere sowie trans-Organisationen forderten zudem sinngemäß, kritischen Menschen wie Korte keine mediale Plattform mehr zu geben, da ihre Äußerungen transphob seien. Auch sie forderten aus ihrer Sicht eine Versachlichung der Diskussion.
Die hitzige Debatte dürfe nun abermals befeuert werden, denn am vergangenen Wochenende meldeten sich weitere 140 namhafte europäische Wissenschaftler und Mediziner in einem “Europäischen Manifest“ zu Wort und forderten darin, in der Berichterstattung zum Thema Geschlecht und Geschlechtsdysphorie seriöse Studien und wissenschaftlich belegte Fakten korrekt und wahrheitsgemäß darzustellen: „Derzeit gibt es zu viele Sendungen und Berichte, in denen Forderungen von Transaktivisten unhinterfragt und oft ohne jede Objektivität wiedergegeben werden. Am Beispiel von Kindern und Jugendlichen, die gemeinsam mit ihren Eltern in Fernsehsendungen gezeigt werden, wird präsentiert, wie segensreich eine ´Transition´ sei, ohne dass jemand auch nur den geringsten Vorbehalt äußert, ohne dass die Risiken der körpermedizinischen Behandlung erwähnt werden oder gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden, welche die mittel- und langfristigen Vorteile geschlechtsangleichender, körpermodifizierender Maßnahmen relativieren. Kritische Wissenschaftler haben in diesen Sendungen entweder gar keinen Platz oder sie werden öffentlich desavouiert, bevor die Debatte überhaupt begonnen hat. Derartige Berichterstattungen können eine einseitig beeinflussende Wirkung auf junge Menschen haben, die durch soziale Netzwerke noch verstärkt werden kann.“
Besonders dramatisch sei nach dem Europäischen Manifest eine solche Berichterstattung für Jugendliche. Jüngste Studien der Tavistock Klinik in Großbritannien, der führenden Klinik für Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen, belegte zuletzt im Frühjahr, dass der allergrößte Teil der Jugendlichen, die sich mit einer trans-Selbstdiagnose an die Klinik wenden, im Grunde damit nur versuchen würden, ihre Homo- oder Bisexualität zu verdrängen. Die Wissenschaftler im Manifest schreiben dazu weiter: „Der mediale Druck normalisiert und banalisiert eine Ideologie, die behauptet, man könne im Namen der ´Selbstbestimmung´ in jedem Alter sein Geschlecht frei wählen, falls man sich nicht mit dem ´bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht´ identifiziert. Die sogenannte ´Geschlechtsangleichung´ wird als Lösung zur Behebung von Problemen angepriesen, die typisch sind für das Teenager-Alter und weit verbreitet in dieser Lebensphase – mit dem Effekt, dass die Zahl der Jugendlichen, die sich selbst als ´trans ´ diagnostizieren, seit Jahren stetig steigt. Dabei besteht in vielen Fällen erheblicher Anlass zu bezweifeln, dass es sich hier um eine tatsächliche transsexuelle Entwicklung handelt, zumal die Fallzahlen in weniger als zehn Jahren um das Fünfundzwanzigfache gestiegen sind.“
Die Jugendlichen würden so „undifferenziert-einseitig“ in einen Prozess der Medikalisierung gedrängt werden, über deren „irreversible Folgen“ kaum gesprochen werden würde: „Wissenschaftliche Rationalität und Objektivität sucht man in diesen einseitigen Darstellungen vergeblich. Die Frühmedikalisierung wird ausgeweitet, obwohl die Zahl der sogenannten Detransitioner stetig wächst. Von den betroffenen jungen Menschen, die oft schwer an den körperlichen Folgen ihrer Transition leiden, beklagen immer mehr die Leichtfertigkeit, mit der sie von Ärzten behandelt wurden.“
Zu den Initiatoren des Europäischen Manifests gehören 140 Wissenschaftler, Mediziner, Psychologen und Professoren aus Frankreich, Belgien, Deutschland, der Schweiz, Großbritannien sowie Schweden, Norwegen und Finnland. Eine der Erst-Unterzeichnerinnen ist die französische Psychologie-Professorin Caroline Eliacheff, eine der bekanntesten Psychoanalytikerinnen Frankreichs. Kurz vor dem Manifest hatte die wissenschaftliche Gelehrtengesellschaft Académie Nationale de Médicine vor einer "Überdiagnose" bei Jugendlichen gewarnt und rät in puncto trans-Medikamente zu "größter Vorsicht". Die jüngsten Forderungen dürften abermals zu hitzigen Debatten führen und wahrscheinlich die erhoffte Versachlichung der Thematik erneut in weite Ferne schieben.