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HIV-Kriminalisierung und die Schäden
Rubrik

Nein zur HIV-Kriminalisierung! Besonders betroffen: Schwule und bisexuelle Männer

ms - 26.10.2022 - 11:00 Uhr

Die HIV-Kriminalisierung verursacht weltweit weitreichende und massive Schäden, wobei besonders marginalisierte Gruppen wie Homosexuelle in besonderer Weise darunter leiden – zu diesem Schluss ist das internationale, dreiköpfige Expertenteam, bestehend aus Dr. Joanne Csete, Richard Elliott und Edwin J. Bernard, gelangt. Die Ergebnisse wurden jetzt in mehreren renommierten internationalen Fachmagazinen veröffentlicht. Das Akademiker-Team hat dazu 240 Einzel-Studien über HIV und Kriminalisierung sowie weitere Dokumente von Organisationen wie UNAIDS ausgewertet.

82 Länder kriminalisieren noch immer HIV!

Die Ergebnisse im Detail: Im Jahr 2022 gibt es in 82 Ländern weltweit Gesetze, die HIV kriminalisieren. Darunter sind 30 Länder in Afrika südlich der Sahara, 13 im asiatisch-pazifischen Raum und 16 Länder in Osteuropa und Zentralasien. In einigen Ländern wird die HIV-Übertragung, das Aussetzen einer anderen Person mit dem Risiko einer Infektion oder das Verschweigen eines positiven HIV-Status gegenüber einem Sexualpartner kriminalisiert. In anderen Ländern werden Menschen mit HIV aufgrund von Gesetzen über Körperverletzung und  sexuelle Nötigung direkt strafrechtlich verfolgt. Viele dieser Gesetze können dabei auch dann strafrechtlich angewendet werden, selbst wenn keine Übertragung mit HIV stattgefunden hat beziehungsweise die Menschen mit HIV sogar verhütet haben, um eine Übertragung zu verhindern. Eines ist dabei eindeutig klar: HIV-Kriminalisierung schadet mehr als sie nützt, so das Forscherteam. Das trifft auch mit Blick auf die Kosten zu – durch die Kriminalisierung und Stigmatisierung von Menschen mit HIV entstehen massive Mehrkosten, da sich beispielsweise jene Personen scheuen, rechtzeitig medizinische Dienste in Anspruch zu nehmen. „Auch die schädlichen Auswirkungen von Inhaftierung, Nötigung, Erpressung, Vorstrafen oder Abschiebung, denen Menschen mit HIV aufgrund der Kriminalisierung ausgesetzt sind, müssen berücksichtigt werden“, so der Expertenrat weiter. Dabei helfe es auch nicht, die HIV-Kriminalisierung nur in bestimmten Fällen zu beenden, beispielsweise wenn eine Person nicht mehr ansteckend ist. Alle anderen Menschen mit HIV, die aus diversen Gründen keine HIV-Behandlung in Anspruch nehmen können, werden damit noch mehr kriminalisiert, sodass abermals eine Negativ-Spirale bezüglich der Folgen in Gang gesetzt wird.  

Schwule, Sexarbeiter und Frauen im Fokus der Kriminalisierung

Besonders betroffen von dieser Kriminalisierung mit weitreichenden Folgen sind Schwule sowie bisexuelle Männer, Sexarbeiter und Frauen. Bei diesen Menschengruppen entstehe, so die Studie, ein unverhältnismäßig großer Schaden. Bei Homosexuellen sorgt die Kriminalisierung dazu, dass sie auch aus allen anderen Lebensbereichen von Beruf bis Gesellschaft immer mehr isoliert werden. Auch sind Schwule damit öfter Gewalt, Drohungen und Erpressungen ausgesetzt. In einigen Ländern hat sich die HIV-Kriminalisierung mit Gesetzen vermischt, die gleichgeschlechtliche Aktivitäten kriminalisieren. So kann ein schwuler Mann mit HIV beispielsweise wegen "schwerer Homosexualität" strafrechtlich verfolgt werden, auch wenn er einvernehmlichen schwulen Sex hatte. Eine Studie aus Kanada zeigte an anderer Stelle auf, dass Homosexuelle Angst haben, wegen der Verheimlichung von HIV strafrechtlich verfolgt zu werden. Deshalb zögerten viele, sich überhaupt noch auf HIV testen zu lassen. Bei Frauen führt eine HIV-Kriminalisierung oftmals zu Gewalt in der Partnerschaft oder zu Streit um das Sorgerecht und Eigentumsverhältnisse. In einigen Regionen Afrikas werden Frauen auch strafrechtlich verfolgt, wenn sie selbst unwissentlich ihr Baby durch das Stillen mit dem HI-Virus angesteckt haben.  

Warum ist diese Forschung wichtig?

Die neuen Ergebnisse führen in eindrucksvoller Weise die Auswirkungen von HIV-Kriminalisierung weltweit zusammen und offenbaren dabei erstmals auch das ganze Ausmaß der Situation. Für das Forscherteam ist dabei klar: „Die Auswirkungen der HIV-Kriminalisierung zu verstehen und dann Maßnahmen zu ergreifen, um Gesetze zu ändern, die schädliche Auswirkungen haben, ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass die nationalen HIV-Strategien einen Menschenrechtsansatz verfolgen. Es ist notwendig, die Regierungen aufzufordern, Gesetze zu überprüfen, zu reformieren und aufzuheben, die Menschen mit HIV und Menschen aus marginalisierten Gemeinschaften weiterhin schaden.“ Das sich ein solcher Einsatz durchaus lohnen kann, zeigen diverse Fälle der letzten Jahre – zwischen 2015 und 2021 wurden in Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo, Malawi, Kenia und Simbabwe HIV-Gesetze aufgehoben, zurückgezogen oder geändert. Die Bekämpfung der HIV-Kriminalisierung ist auch eine wesentliche Priorität in der Globalen AIDS-Strategie 2021-26 von UNAIDS. Ziel ist es dabei, dass bis 2025 weniger als 10 Prozent der Länder weltweit HIV weiter kriminalisieren.

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