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Meilenstein in China
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Meilenstein in China Sorgerechtsurteil sorgt landesweit für Schlagzeilen - die Chance für ein erstes Umdenken in der homophoben Regierungspolitik?

ms - 14.08.2024 - 12:00 Uhr

Ein Sorgerechtsurteil könnte zu einem Meilenstein im Kampf für schwul-lesbische Rechte in China werden. Eine lesbische Mutter kämpfte sich vor Gericht durch die Instanzen, um ein gemeinsames Sorgerecht für ihre Tochter zu bekommen. Erstmals musste sich dabei ein Gericht im Land mit gleichgeschlechtlichen Ehen befassen – und fällte jetzt ein bahnbrechendes Urteil. 

Urteil mit Signalwirkung 

Geklagt hatte eine lesbische Frau aus Shanghai, die nur mit ihrem Spitznamen Didi (42) genannt werden möchte. Nach dem langwierigen und sehr ungewöhnlichen Rechtsstreit sprachen die Richter des Fengtai-Volksgerichts in Peking beiden, inzwischen getrennt lebenden Müttern das gemeinsame Sorgerecht zu. Für China ein Urteil mit großer Signalwirkung, denn es ist das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass ein Gericht damit offiziell rechtlich anerkennt, dass ein Kind zwei Mütter haben kann.

Meilenstein im Kampf um mehr Rechte

LGBTI*-Verbände im Land feiern das Urteil als Meilenstein im Kampf um mehr Rechte für Homosexuelle. Bis heute werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften in China rechtlich nicht anerkannt. Die Regierung ging zuletzt sogar immer rigoroser gegen Homosexuelle vor und ließ im letzten Jahr die größte LGBTI*-Organisation des Landes schließen. Ende letzten Jahres versuchte Chinas Regierung auch, die Gay Games in Hongkong zu verhindern, glücklicherweise vergebens. 

Langer Kampf vor Gericht

Didi und ihre Frau heirateten 2016 in den USA. Später im selben Jahr unterzogen sie sich einer sogenannten In-​Vitro-Fertilisation (IVF), dabei wird die Befruchtung im Reagenzglas durchgeführt. Im Jahr 2017 brachte Didi ein Mädchen und ihre Partnerin einen Jungen zur Welt. Die Samenspende kam von Didis männlichen Ex-Freund. Zurück in China ging die Beziehung der zwei Frauen in die Brüche, 2019 erfolgte die Trennung, offiziell sind sie noch immer nach US-Recht verheiratet.

Didis Ex-Frau zog mit den beiden Kindern in die Hauptstadt und brach den Kontakt zu ihr ab. Seit März 2020 klagte die 42-Jährige daraufhin um das Sorgerecht für die beiden Kinder – im Fall der Tochter ging die lesbische Frau nun siegreich aus dem Rechtsstreit hervor. Didi betonte nach dem Sieg vor Gericht, sie habe „immer noch Vertrauen in die Zukunft.“ Sie durfte inzwischen auch bereits nach Peking reisen und ihre mittlerweile siebenjährige Tochter besuchen – ein Wiedersehen nach mehr als vier Jahren Auszeit. „Ich glaube, dass sie sich vielleicht noch an mich erinnert“, so Didi gegenüber dem britischen Guardian.

Chinesen wollen die Homo-Ehe

Laut dem Anwalt von Didi, Gao Mingyue, ermutigt China seit dem Ende der Ein-Kind-Politik Menschen dazu, mehr Kinder zu bekommen – im Zuge dessen gehen nun auch Gerichte im Land dazu über, die Rechte außerehelich geborener Kinder verstärkt anzuerkennen, darunter fallen rein rechtlich gesehen dann auch Kinder aus homosexuellen Beziehungen. 

Dabei betont der Rechtsexperte allerdings trotzdem, dass die Lage für homosexuelle Paare im Land selbst immer schwieriger werde, noch immer gebe es auch keine Gesetze, die Schwule und Lesben rechtlich schützen würden. Zuletzt scheiterte im Jahr 2019 eine Kampagne zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe, obwohl laut einer repräsentativen Umfrage des Williams Instituts der UCLA rund 85 Prozent der Chinesen gleichgeschlechtlichen Ehen positiv gegenüberstehen, rund 90 Prozent befürworten sogar die Einführung der Homo-Ehe. Auch deswegen dürfte das jetzt erfolgte Gerichtsurteil eine große Brisanz im Land haben – in den chinesischen sozialen Medien sowie in akademischen Kreisen wird der Präzedenzfall bereits heftig diskutiert. Didi selbst fasst die Lage indes kurz und knapp so zusammen: „Es ist ganz einfach: Andere Familien haben einen Vater und eine Mutter, wir haben zwei Mütter.“

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