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Internet-Zensur bei LGBTI* künftig erlaubt?
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LGBTI*: Internet-Zensur künftig erlaubt? Ebenso im Fokus: Digitaler Hass und Hetze gegenüber LGBTI* nehmen zu

ms - 15.07.2022 - 11:00 Uhr

Das Europaparlament hat jüngst für das neue Digitale-Dienste-Gesetz gestimmt, dass von der Grundidee her die Daten von Nutzern besser schützen und auch eine Hebelwirkung für Hass gegenüber vulnerable Gruppen wie die LGBTI*-Community haben soll. Praktisch scheint davon wenig übrig geblieben zu sein, wie IT-Experten jetzt bemängeln. Kritik kommt auch von anderer Seite: Mehrere LGBTI*-Verbände aus Europa und in den USA halten die Sicherheitsvorkehrungen großer Social-Media-Plattformen vor Anti-LGBTI*-Hetze für absolut mangelhaft. In Europa droht zudem die Möglichkeit, dass homophobe Regierungschefs wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán künftig auch deutsche LGBTI*-Seiten im Internet ganz legal attackieren könnten.

Ein Überblick: Gegenüber der taz erklärte der Datenschutz-Experte Patrick Breyer, dass das neue Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) in vielfacher Hinsicht versage, vor allem beim Schutz der Privatsphäre aber auch beim Schutz der freien Meinungsäußerung und vor Zensur. Künftig könnte beispielsweise die ungarische Regierung grenzüberschreitende Löschanordnungen gerade bei LGBTI*-Thematiken anordnen. Breyer dazu: „Es ist vorgesehen, dass Ungarn auch in Deutschland legal veröffentlichte Inhalte löschen lassen kann, nur weil sie angeblich gegen ungarische Gesetze, die Orbáns Regierung erlassen hat, verstoßen.“ Viktor Orbán könne so künftig das Internet in Deutschland oder auch in anderen EU-Ländern zensieren lassen. Zwar könne man künftig gegen eine solche Löschanordnung klagen – allerdings dann im Fallbeispiel vor einem ungarischen Gericht. Breyer erklärt weiter, dass die Begründung für eine solche Klage durchaus vielfältig gestaltet werden könnte, beispielsweise könnten digitale Berichte über Proteste oder Demonstrationen gegen die queer-feindliche Politik Orbáns als “verbotene Demoaufrufe“ uminterpretiert werden.

Weitere Kritik kommt dabei auch von LGBTI*-Organisationen weltweit, beispielsweise der queeren US-Bürgerrechtsorganisation GLAAD, die jetzt Facebook, Twitter, Instagram, TikTok und YouTube angesichts einer beispiellosen Welle von Online-Hass sehr schlechte Noten für den Schutz von LGBTI*-Nutzern gegeben hat. Der zweite jährliche Social Media Safety Index von GLAAD bewertete die digitalen Unternehmen anhand von zwölf LGBTI*-spezifischen Standards in Bezug auf Sicherheit, Privatsphäre und Meinungsäußerung. GLAAD stellte dabei fest, dass alle fünf Plattformen weniger als 50 Prozent der möglichen Punkte erreichten.

"LGBTI*-Menschen werden angegriffen! Die heutige politische und kulturelle Landschaft zeigt die realen schädlichen Auswirkungen von Anti-LGBTI*-Rhetorik und Fehlinformationen im Internet. Der Hass und die Belästigung sowie Fehlinformationen und glatte Lügen über LGBTI*-Personen, die sich in den sozialen Medien verbreiten, schaffen reale Gefahren, von der Gesetzgebung, die unserer Gemeinschaft schadet, bis hin zu den jüngsten Gewaltandrohungen bei Pride-Versammlungen", so Sarah Kate Ellis, Präsidentin von GLAAD. Laut dem Online Hate and Harassment Report 2022 der Anti-Defamation League berichten inzwischen 66 Prozent aller LGBTI*-Personen von Hass und Angriffen, die sie auf den Social-Media-Kanälen erlebt haben – mehr als je zuvor. Die Fallzahlen sind um rund 50 Prozent höher als bei heterosexuellen Nutzern. "An diesem Punkt, nach ihren jahrelangen leeren Entschuldigungen und hohlen Versprechungen müssen wir uns auch mit der Erkenntnis auseinandersetzen, dass Social-Media-Plattformen und -Unternehmen dem Profit Vorrang vor der Sicherheit und dem Leben von LGBTI*s einräumen", so Ellis abschließend. Künftig wird in der EU die Situation dann noch dadurch verschärft werden, dass für homophobe Staatenlenker unliebsame LGBTI*-Themen mit einer legalen Löschungsanordnung bedroht werden können.  

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