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Spreader-Event lesbisch-schwules Stadtfest?
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Lesbisch-schwules Stadtfest Gesundheitsamt zur Affenpocken-Lage: Teilnahme an Veranstaltungen und Festivals im Freien erhöht das Risiko einer MPXV-Infektion nicht

ms - 15.07.2022 - 10:30 Uhr

An diesem Wochenende feiert die Gay-Community in Berlin zum achtundzwanzigsten Mal das lesbisch-schwule Stadtfest – es ist das weltweit größte dieser Art und erwartet wie in den Jahren vor der Covid-Pandemie rund 350.000 Besucher. Während die einen nach zwei Jahren endlich wieder ausgelassen die Community feiern wollen, regt sich bei anderen innerhalb der schwul-lesbischen Szene auch Bedenken mit Blick auf die aktuelle Affenpocken-Ausbreitung in der Hauptstadt. Nach wie vor ist Berlin deutschlandweit das Epizentrum in puncto MPX, mehr als zwei Drittel aller Fälle wurden in Berlin registriert und das bisher ausschließlich nach Angaben der Gesundheitsbehörden soweit überprüfbar bei schwulen und bisexuellen Männern. Besonders heikel wird die Situation auch dadurch, dass die Berliner Regierung den Impfstart trotz bereits vorhandener Impfdosen um rund zwei Wochen aufgrund von ungeklärten Abrechnungsmodalitäten mit den Krankenkassen verschleppt hatte – andere Bundesländer hingehen impfen bereits seit Anfang Juli. In Berlin startete die Impfaktion Mitte dieser Woche – ein Schutz vor MPX und einer möglichen Ansteckung beziehungsweise Weitergabe der Virusinfektion ist aber erst 14 Tage nach der zweiten Impfvergabe gegeben, die im Abstand von spätestens 28 Tagen nach der ersten Impfung erfolgen muss. Kurzum: Selbst für Erst-Geimpfte aus dieser Woche besteht noch kein vollständiger Schutz, sodass sowohl das lesbisch-schwule Stadtfest an diesem Wochenende wie auch der CSD in Berlin in der Woche darauf zum Superspreader-Event in der Gay-Community werden könnte, so die Befürchtungen. Mehrfach hatte auch die Weltgesundheitsorganisation WHO vor Massenveranstaltungen in diesem Zusammenhang explizit gewarnt.

Das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales erklärt dazu: „Die Ermittlungen der Berliner Gesundheitsämter haben ergeben, dass zu Beginn des Ausbruchs in Berlin, große Events wie die GayPride Maspalomas in Gran Canaria, das Darklands Festival in Antwerpen oder auch die Snax-Party in Berlin bei der Übertragung eine Rolle gespielt haben könnten. Allerdings stecken sich viele Fälle auch außerhalb großer Events/Partys an. Insgesamt stecken sich die meisten Fälle in Berlin an und mehr als die Hälfte haben im angenommenen Infektionszeitraum Sexpartys oder Clubs besucht. Etwa 20 Prozent der Berliner Fälle haben sich aber auch während Aufenthalten außerhalb Deutschlands angesteckt, wo häufig ebenfalls der Besuch von Clubs oder Festivals angegeben wurde.“ Aktuell mit Stand von gestern Abend (14.07.) gibt es in Berlin 1077 MPX-Fälle – die Zahl steigt derzeit täglich um bis zu 50 Neu-Infizierte an. Das Durchschnittsalter liegt bei 37 Jahren.

Zu den konkreten Ansteckungswegen beteuert das Gesundheitsamt weiter: „MPXV kann durch engen Körperkontakt (Haut-zu-Haut), zum Beispiel beim Sex, übertragen werden. Entscheidend sind hier alle Situationen, bei der die Viren aus betroffenen Hautstellen einer erkrankten Person in Kontakt zu Haut und Schleimhaut einer anderen Person kommen. Dies kann auch beim Küssen, Streicheln oder Kuscheln der Fall sein. Bislang scheinen allerdings Sexualkontakte die entscheidende Rolle bei der Übertragung zu spielen, MPXV kann aber auch durch Tröpfchen aus der Atemluft bei längerem direktem Kontakt oder durch kontaminierte Gegenstände (z. B. Kleidung, Bettzeug und Sextoys) übertragen werden. Kondome bieten keinen ausreichenden Schutz vor einer Übertragung.“

Klar scheint dabei inzwischen auch, dass Sex in den allermeisten Fällen ursächlich für eine Infektion gewesen ist, weswegen in Deutschland aktuell auch beinahe ausschließlich schwule und bisexuelle Männer geimpft werden: „Enge sexuelle Kontakte und direkte Hautkontakte spielen bisher bei der Übertragung die größte Rolle. Enge Hautkontakte und sexuelle Kontakte mit unbekannten Personen, deren Gesundheitsstatus man nicht einschätzen kann, bergen ein großes Ansteckungsrisiko. Daher kann man das eigene Ansteckungsrisiko reduzieren, wenn man die Zahl der Sexpartner verringert, deren Gesundheitsstatus man nicht einschätzen kann.“ Das Berliner Gesundheitsamt warnt allerdings davor, die Virus-Infektionen als “Schwulenkrankheit” zu stigmatisieren, MPX sei nichts, wofür man sich schämen müsse, und sie würden auch nicht mit einer bestimmten sexuellen Orientierung in Verbindung gebracht werden. Grundsätzlich kann sich jeder Mensch mit Affenpocken infizieren.

Mit Blick auf das lesbisch-schwule Stadtfest und den CSD in Berlin bekräftigte das Berliner Gesundheitsamt: „Die Teilnahme an Veranstaltungen und Festivals im Freien erhöht das Risiko einer MPXV-Infektion nicht, aber enger Körperkontakt, einschließlich Sex, erhöht das Risiko einer Ansteckung. Achten Sie auf die genannten Symptome und suchen Sie frühzeitig einen Arzt auf, wenn bei Ihnen oder einem aktuellen Partner oben genannte Symptome auftreten.“ Vertreter der WHO sprachen zudem mehrfach auch von der “Eigenverantwortung“ der Teilnehmer solcher Events und erklärten dabei allerdings auch, dass sie eine generelle Absage von Großveranstaltungen nicht befürworten. Die Veranstalter des lesbisch-schwulen Stadtfestes bieten online aktuelle Informationen zum Thema MPX. Und die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), erklärte: „Beim lesbisch-schwulen Stadtfest schillert unsere Stadt in ihren schönsten Farben. Dieses Fest ist eines der großen Highlights der Pride-Saison. Es zieht verlässlich Hunderttausende in den Regenbogenkiez am Nollendorfplatz und zeigt die Vielfalt queeren Lebens in Berlin. Das lesbisch-schwule Stadtfest steht mit dem Motto ´Gleiche Rechte für Ungleiche – weltweit!´ natürlich auch im Zeichen des Engagements gegen Homo- und Transphobie sowie für ein von Respekt geprägtes Zusammenleben (…) Ich wünsche Ihnen allen dabei nun sehr viel Freude, gute Unterhaltung und viele schöne Begegnungen im Zeichen der Vielfalt!“

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