Kommentar: Verbot von LGBTI*-Büchern "Nicht reproduktiver Sex" bleibt das Böse für gläubige Republikaner
Es ist nicht das erste Mal, dass in diesen Tagen in Amerika die Idee aufkommt, unliebsame Bücher zu verbannen oder – wie bereits mehrfach geschehen – auch direkt zu verbrennen.
Wie wichtig dabei eigentlich Bücher und das darin enthaltene Wissen sind, scheint sich allein schon durch die Forderung der Verbannung zu bestätigen, denn immerhin lässt sie auf ein hohes Maß an Geschichtsvergessenheit oder schlichter Dummheit schließen. Bücherverbrennungen und Verbote gab es schon einmal in der westlichen Welt – das Ende sollte uns noch in vager Erinnerung sein.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass US-Amerikaner ein anderes Zeitverständnis haben. Kann man von einer Bevölkerung erwarten, sich an die Bücherverbrennungen der NS-Zeit vor fast neunzig Jahren in Deutschland zu erinnern, wenn bereits Häuser mit einem Alter von mehr als zwanzig Jahren in den USA als „historical“ gelten? Oder liegt es einfach nur daran, dass Deutschland für so viele Amerikaner so weit weg ist - ein Land, irgendwo da drüben. Eines jener Länder, die man mit zehn anderen in einer Europa-Reisewoche für Stunden besucht wie sonst gerne Disneyland.
Vielleicht, ja, vielleicht branden all die Erklärungsversuche aber doch an der harten Mauer der Realität an, gebaut aus Hass und Ignoranz gegenüber queeren Menschen. Vielleicht ist es vielen Amerikanern auch schlicht egal, dass jetzt wieder Publikationen verbrannt werden und wie im Falle Oklahomas nun LGBTI*-Bücher verboten werden sollen. Das jedenfalls ist die zündende neue Idee des Bildungsausschusses des Senats. Jawohl, des Bildungsausschusses. Selten war eine Bezeichnung einer Behörde so ausgehöhlt und sinnentleert.
Im Konkreten: Das neue Gesetz würde jeden Schulbeamten oder jeden Bibliotheksmitarbeiter zu einem Kriminellen machen, der bereits Bücher besitzt (!), die "Sex, sexuelle Vorlieben, sexuelle Aktivitäten, sexuelle Perversionen, geschlechtsspezifische Klassifizierungen, sexuelle Identität oder Geschlechtsidentität zum Hauptthema haben oder Bücher, die sexueller Natur sind."
Ferner sind Bücher ebenso des Bösen, wenn sie über "Freizeitsexualisierung" berichten oder wenn es sich um – Gott bewahre – "nicht reproduktiven Sex" in diesen Texten handelt. Zudem wäre der Bibliothekar gezwungen, jedes Buch binnen eines Monats zu vernichten, auf den ihn beispielsweise „besorgte Eltern“ hinweisen. Tut er es nicht, drohen 10.000 US-Dollar Strafe täglich (!) und zwei Jahre Berufsverbot. Ähnliches sieht ein zweiter Gesetzentwurf in dem Ideenpaket vor – auch Lehrern droht ein Berufsverbot (von fünf Jahren!) und 10.000 US-Dollar Geldbuße, wenn sie etwas unterrichten, das „dem religiösen Glauben eines Schülers“ nicht widerspricht.
Noch sind diese Gesetzentwürfe nicht schlussendlich verabschiedet, die meisten Hürden im Senat wurden aber schon genommen und die Mehrheit der Abgeordneten sind glühende Verfechter. In Deutschland würde man diese Damen und Herren sachlich wohl als prekär und bildungsfern bezeichnen. In Amerika sind es dagegen einfach nur liebevolle Gläubige, die die Werte der Familie hochhalten wollen. Diese Gesetzentwürfe sind dabei nur ein Teil einer landesweiten Aktion der Republikaner, die umgangssprachlich bereits „No Promo Homo“ genannt wird. Ähnliches passiert gerade in Florida mit dem „Don´t Say Gay“-Gesetz, in fünfzehn weiteren Bundesstaaten wandern gleichlautende Gesetzentwürfe gerade aktuell durch die Gesetzgebung.
Wie verdammt gefährlich das für LGBTI*-Jugendliche ist, ist längst bekannt und mehrfach belegt, zuletzt in der Studie „LGBTQ+ Youth Need Sex Education": Nur knapp acht Prozent der queeren Schüler wurden in Amerika überhaupt umfassend über LGBTI* informiert. Weit über die Hälfte von ihnen hat Diskriminierung erfahren, sie leiden wesentlich öfter an Depressionen, Angstzuständen und Suizidgedanken. Rund 60 Prozent der US-Queers fühlen sich an ihrer Schule unsicher. Die Angriffe auf LGBTI*-Schüler nehmen zu, Mobbing und Beschimpfungen haben zwei Drittel erlebt.
Durch die Bank fürchten alle LGBTI*-Hilfsorganisationen in den USA, dass diese schon jetzt dramatischen Zahlen noch weiter nach oben schießen werden und auch, dass die Zahl der obdachlosen, queeren Jugendlichen rapide ebenso ansteigen wird. Aber für Republikaner scheint es eine beruhigende Vorstellung zu sein, dass diese queeren Minderjährigen auf der Straße wenigstens dann keine LGBTI*-Bücher gelesen haben, bevor sie sich für ein paar Dollar von einem betrunkenen Freier in der Seitenstraße oder im Auto vergewaltigen lassen. Falls der Freier danach mit dem Jungen vielleicht noch betet, fällt das wahrscheinlich bereits unter Nächstenliebe und ist daher absolut in Ordnung.