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Keine Kostenerstattung bei OP-Wünschen für nicht-binäre Menschen
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Gericht vs. non-binäre Person 24-jährige klagende Person habe nur eine „subjektiv empfundene Belastung“

ms - 20.07.2022 - 10:00 Uhr

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat mit seinem jüngsten Urteil von dieser Woche für Aufsehen gesorgt – entgegen den politischen Plänen und Wünschen einiger Mitglieder der aktuellen Ampel-Koalition hat das Gericht beschlossen, dass Operationen für nicht-binäre Menschen nicht von der gesetzlichen Krankenkasse zu zahlen sind. Konkret geht es dabei um eine 24-jährige, nicht-binäre Person, die sich ihre Brüste operativ entfernen hat lassen.

Im Oktober 2019 hatte die klagende Person mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen, die daher auch als Frau registriert war, ihren Vornamen und die Geschlechtsangabe im Geburtenregister in “ohne Angabe“ ändern lassen. Kurz darauf im Dezember 2019 beantragte die Person daraufhin bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse die Kostenübernahme für das operative Entfernen der Brüste. Die Krankenkasse lehnte den Antrag nach Einholung eines Gutachtens beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg ab: Ein Transsexualismus sei nicht belegt und weder sei zuvor eine Alltagserprobung noch eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung von mindestens 18 Monaten Dauer durchgeführt worden.

Daraufhin ließ die nicht-binäre Person im Mai 2020 für rund 5.000 Euro ihre Brüste auf eigene Kosten entfernen und klagte beim Sozialgericht auf Kostenübernahme. Schlussendlich kam der Fall vor das Landessozialgericht, dessen Richter nun klarstellten: Eine Person, die sich weder als Frau noch als Mann fühlt, habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die operative Entfernung ihrer Brüste. Es bestehe generell kein Anspruch auf Behandlungsmaßnahmen, die darauf abzielen, die Uneindeutigkeit der äußeren Geschlechtsmerkmale zu erhöhen, so die Richter. Zudem gebe es kein typisches Erscheinungsbild bei nicht-binären Personen, das zur Herstellung der Übereinstimmung von Geschlecht und Geschlechtsidentität angeglichen werden könnte. Denn ein Anspruch auf Krankenbehandlung in Form von Eingriffen in intakte, nicht in ihrer Funktion beeinträchtigte Organsysteme komme lediglich im Ausnahmefall in Betracht. Die klagende, ehemalige Frau habe „vielmehr ausschließlich eine subjektiv empfundene Belastung durch die Eigenwahrnehmung ihrer Brüste geltend gemacht.“ Dabei ziele die nicht-binäre Person darauf ab, weder „als Frau noch als Mann erkennbar zu sein“. Somit scheitere ein Leistungsanspruch schon daran, dass bei Intersexualität, welche alle Formen des Geschlechts erfasse, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen seien, aus der Sicht eines verständigen Betrachters kein Erscheinungsbild eines angestrebten Geschlechts existiere. Kurz gesagt: Die Entfernung der Brüste könnte unter Umständen eher zu einem männlichen Erscheinungsbild führen, was dem nicht-binären Verständnis der klagenden Person jedoch auch nicht entsprechen würde.

Juristen und Fachleute messen dem jüngsten Urteil viel Bedeutung bei, auch deswegen, weil im Zuge des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes und den damit verbundenen, weiteren Gesetzvorhaben der aktuellen Regierung künftig auch nicht-binäre Menschen eine Kostenübernahme zugesprochen werden könnten. In Fällen des Transsexualismus werden derartige Operationen durchaus von der Krankenkasse teilweise bereits heute übernommen und sollen für die Kassen künftig nach dem Willen der Koalition auch eine verpflichtende Maßnahme sein. Kritiker bemerken dabei an, dass eine solche generelle Kostenübernahme bei trans- und auch nicht-binären Menschen Sonderrechte schaffen würden, die mit dem Gleichheitsgedanken des Grundgesetzes nicht vereinbar wären. Eine heterosexuelle Person mit einem ähnlichen Wunsch einer Brustveränderung oder Vergrößerung beispielsweise müsse nur aufgrund ihres persönlich empfundenen Ideals ihres eigenen Körpers trotzdem diese Kosten weiter selbst tragen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die nicht-binäre Person kann wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles auch noch das Bundessozialgericht einbeziehen.

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