Eunuchen und Kleinkinder im Fokus Trans-Experte und Autor Amelung im Interview
Die neuen Richtlinien des Weltverbandes für Transgender-Gesundheit (WPATH) sorgten vor wenigen Tagen für viel Verwunderung unter Ärzten und Fachverbänden. In der achten Version ihres Maßnahmenkatalogs wurden alle bisherigen Altersempfehlungen für eine Behandlung von Trans-Kindern aus dem Jahr 2012 komplett gestrichen, zudem sollen Eunuchen als eigenes Geschlecht anerkannt werden. Der Katalog gilt weltweit für viele Verbände als Richtschnur im Umgang mit Trans-Menschen. Zeitgleich sorgte anderenorts ein neuer Fachartikel des Oxfordprofessors Michael Biggs für Aufsehen, der detailliert und faktenbasiert aufzeigt, dass Pubertätsblocker zu massiven und teils lebenslangen Nebenwirkungen bei Trans-Jugendlichen führen können. Von Seiten der queeren Politik wie aber auch von den meisten LGBTI*-Verbänden wird zu beiden Publikationen geschwiegen. SCHWULISSIMO wollte es genauer wissen und fragte nach bei Till Randolf Amelung, der Diversity-Fachmann und Sachbuchautor ist selbst ein Trans-Mann und gilt als Experte in puncto Transsexualität und Politik.
Die neuen Richtlinien der WPATH irritieren, beispielsweise bei der Erklärung, dass Eunuchen jetzt als eigene Geschlechtsidentität aufgenommen werden sollen und auch Kinder sich bereits als solche definieren können. Die Quellen, die der Verband mit einbezieht, haben eine verdächtige Nähe zu Pädophilen-Ringen. Wie bewertest du das?
Ich bin schockiert über die Instinktlosigkeit, Begriffe und Erklärungen aus solchen Quellen unkritisch zu übernehmen. Das schadet dem Anliegen, Geschlechtsdysphorie als ernst zu nehmendes, medizinisch relevantes Problem zu vermitteln. Wie das konkret bei der WPATH passieren konnte, weiß ich nicht. Jedoch sehe ich hier grundsätzlich die queere Fokussierung auf Identitäten als Problem: Das Beharren auf So-Sein bis hin zum Zelebrieren mit Pride-Flaggen und Symbolen hat doch längst in einigen Kreisen Ausmaße angenommen, wo man der Vielfalt von identitären Begriffen und Flaggen nicht mehr hinterherkommt. Eine Kontextualisierung mit gesellschaftlichen Verhältnissen oder gar eine Kritik an Verhalten wird als feindlich oder -phob skandalisiert. Diese Wendung erleichtert es einigen, mit einem grenzüberschreitenden oder übergriffigen Verhalten durchzukommen, indem sie dies identitär verpacken.
Ein anderer Aspekt im neuen Empfehlungskatalog ist die Streichung aller Altersbeschränkungen für medizinische Schritte einer Transition auch für Kinder. Dazu passend hat die SPDQueer in Berlin-Schöneberg gefordert, auch das Alter für eine Selbstdefinition bezüglich des Geschlechts auf das Alter von sieben Jahren zu senken, bestenfalls ohne Einwilligungsbedarf der Eltern. Beides zielt in die gleiche Richtung, dass bereits Kleinkinder eine absolute Entscheidungsgewalt erlangen sollen, deren Konsequenzen sie in einem solchen Alter unmöglich überblicken können, oder?
Hier wird ein grundsätzliches Problem sichtbar, dass an Kinder Erwartungen und Maßstäbe von Erwachsenen angelegt werden. Das erscheint mir weniger an kindlicher Entwicklung und Möglichkeiten ausgerichtet, sondern mehr an politischen Vorstellungen Erwachsener. Solche Dinge nicht im Blick zu haben, halte ich für sehr unklug. Von möglichen Schäden für Heranwachsende durch fehlerhafte beziehungsweise überflüssige medizinische Eingriffe ganz abgesehen.
Der Oxford-Professor Michael Biggs hat in einem Fachartikel kurz gesagt erklärt, dass die bisherigen Argumente für Pubertätsblocker höfflich gesagt falsch sind, man könnte auch sagen, bewusst gefälscht wurden. Maßgebliche Studienergebnisse, die beispielsweise extreme Nebenwirkungen von Knochenschwund über kompletten Libido-Verlust bis hin zu einer Absenkung des IQs aufzeigen, wurden verheimlicht. Während erste Länder wie Schweden und Großbritannien sehr kritisch auf die weitere Vergabe von Pubertätsblockern blicken, scheint die Ampel-Koalition im Umfeld des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes zu sagen: Volle Fahrt voraus. Deine Einschätzung dazu?
Ob bewusst etwas gefälscht wurde, will ich nicht unterstellen. Man sollte auch sehen, dass Geschlechtsdysphorie etwas sehr Belastendes sein kann und ich kann mir vorstellen, dass die betreffenden Mediziner und Therapeuten jungen Menschen in erheblichen Nöten helfen wollten. Daher will ich keine schlechten Absichten unterstellen und für einige der Betreffenden haben diese Behandlungen sicherlich funktioniert. Das Beiseiteschieben und Verdrängen der aufgezählten Risiken und Nebenwirkungen finde ich jedoch sehr bedenklich. Auch als Transpersonen brauchen wir solide medizinische Versorgung und ein möglichst realistisches Bild davon, was medizinisch möglich ist und zu welchen Bedingungen. Warum all das in Deutschland nicht dazu führt, dass man innehält und die Sachlage nochmal mit Ruhe prüft, könnte daran liegen, dass alles um Trans ausschließlich von der politischen Warte der Menschenrechte und weniger von der medizinischen Seite aus gesehen wird. Gerade die Ampel-Parteien haben sich das in den letzten Jahren sehr zu eigen gemacht und damit auch die Sicht von Interessensvertretungen für Transpersonen übernommen.
Blickt man auf all diese Aspekte von jugendlichen Eunuchen bis zu siebenjährigen Kindern, die ihr Geschlecht wechseln sollen können, entsteht für mich der Eindruck, dass Trans-Menschen, die tatsächlich unter einer Geschlechtsdysphorie leiden, eher geschadet wird, weil Teile der Gesellschaft verständnislos abrücken. Ein falscher Eindruck meinerseits oder besteht diese Gefahr tatsächlich?
Ja, solche unverantwortlichen Handlungen und Forderungen oder auch der Versuch, einen differenzierten Diskurs zu unterdrücken, geben weder ein vertrauenswürdiges, noch sympathisches Bild ab. Zumal in der öffentlichen Debatte auch eine bemerkenswerte Empathielosigkeit mit denjenigen sichtbar wird, die medizinische Transitionsmaßnahmen bereuen beziehungsweise unzufrieden sind oder diese gar unnötig waren, weil die Geschlechtsdysphorie nicht auf Transsexualität beruhte, sondern zum Beispiel auf einer konflikthafte homosexuelle Entwicklung, einer konflikthaften weiblichen Pubertät oder auch psychischen Erkrankungen.
Mitte Oktober wollten bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen 70 Abgeordnete der eigenen Partei noch einmal sachlich und “ohne Diffamierung“ über das geplante Selbstbestimmungsgesetz sprechen, weil noch viele Fragen und Bedenken offen seien. Antragstellerin Müller und ihre Unterstützer wurden daraufhin von anderen Delegierten der Grünen massiv verbal angegriffen, Trans-Frau Pfuderer erklärte sie allesamt sogar zu “Rassisten mit Rechtsdrall“. Eine offizielle Entschuldigung blieb aus ebenso wie eine konkrete Stellungnahme der Partei selbst. Beim Themen-Ranking landete der Antrag dann auf dem vorletzten Platz und schied aus, es wird also nicht mehr darüber gesprochen. Wie siehst du das?
Ich halte diesen Umgang mit dem Antrag der 70 Parteimitglieder für einen großen Fehler, zumal rund 300 Mitglieder insgesamt durch ihr Votum für diesen Antrag letztlich Redebedarf bekundet haben. Hier wurde eine große Chance vertan, mit Sachargumenten diese Mitglieder zu überzeugen. Dazu Pfuderer noch eskalieren zu lassen und nur mit stillschweigendem Löschen ihrer Kommentare zu reagieren, wird diese Mitglieder wohl ebenso wenig für das Selbstbestimmungsgesetz einnehmen.
Abschließend vielleicht eine etwas naive Frage: Warum verschwinden immer mehr die Grautöne in der gesamten Diskussion um Trans-Menschen und das neue Selbstbestimmungsgesetz? Warum ist es für viele Trans-Aktivisten so schwer denkbar, dass man FÜR die Rechte von Trans-Menschen sein kann und trotzdem GEGEN gewisse Aspekte eines Selbstbestimmungsgesetzes ist?
Das ist mir ehrlich gesagt auch noch ein Rätsel. Ich fürchte aber in der Tat, dass dies zu einer Ablehnung von Transpersonen führt, die vermeidbar gewesen wäre, wenn man früh mit Gespür und Fingerspitzengefühl auf gesamtgesellschaftlich tragfähige Lösungen Wert gelegt hätte.
Till, vielen Dank für das Gespräch!