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Böser schwuler Single?
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Böser schwuler Single? Religiöse, rechte Fanatiker im Kampf gegen Schwule und asexuelle Menschen

ms - 27.10.2022 - 14:00 Uhr

Kommentar

Man muss den politisch motivierten, religiösen Gruppen in Europa und den USA wirklich dankbar sein, denn endlich scheinen sie nun das ultimative Böse gefunden zu haben – den schwulen Single. Ungebundene homosexuelle Männer sind das pure Übel, denn sie seien egoistisch und wären nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Bei so vielen Vorurteilen kann man wahlweise ins Lachen oder Kopfschütteln kommen, doch angefeuert wurden diese neusten mentalen Entartungen ausgerechnet von Schweden. Wie das?

Im Sommer hatte der Oberste Gerichtshof in Schweden beschlossen, dass eine Beziehung nicht zwangsläufig Sex beinhalten muss – für manche Langzeitpaare vielleicht keine gänzlich neue Erkenntnis. Doch die obersten Richter des Landes reagierten damit auf einen Fall um ein asexuelles Paar, in dem Angehörige nach dem Tod des einen Partners dem anderen vorwarfen, gar nicht in einer “richtigen“ Beziehung gewesen zu sein. Während die schwedischen Medien das Urteil als Stärkung der Menschenrechte feierten, formierte sich unter den religiösen Rechten leiser Widerstand, weil aus ihrer Sicht damit die heterosexuelle Ehe als Keimzelle der Gesellschaft ausgehöhlt werden würde. Was in Schweden nicht mehr als eine kleine rechtsextreme Flamme war, entwickelte sich als Gedanke alsbald in den USA zu einem neuen Feuersturm weiter – die Amerikaner scheinen alles besser und größer zu machen, auch den Hass.

Kein Sex oder viel Sex? Beides ist verwerflich!

Inzwischen hat sich in den USA nebst der LGBTI*-Community insgesamt ein weiteres neues Feindbild herauskristallisiert – Menschen, die gar keinen Sex haben oder diesen wahllos ohne den Bund einer Beziehung eingehen. Kurzum, asexuelle Menschen und schwule Singles geraten in den zumeist religiös untermauerten Online-Foren zuletzt immer mehr ins Zentrum der Kritik. Aus Angst vor dem geplanten Bundesgesetz für die gleichgeschlechtliche Ehe (Respect for Marriage Act) – ein Vorhaben, das aufgrund von schwierigen Stimmenverhältnissen im Senat sowieso immer mehr chancenlos erscheint – befeuern nun rechte Gruppen die Mär vom bösen, stets egoistischen Homosexuellen einmal mehr von neuem. Dabei gehen die Freunde der Ehe nicht zimperlich vor, schreiben Drohbriefe an Abgeordnete und fordern vehement dazu auf, platonische sowie unmoralische Ehen zu verbannen. Eine Neu-Definition der Ehe für Homosexuelle würde jegliche Parameter verschieben, künftig wären dann – wir ahnen es – auch Plural-Ehen, Ehen mit Minderjährigen und Verwandten, platonische Ehen oder sogar offene Ehen möglich. Man merke: Im Weltbild der religiösen Verteidiger des Abendlandes sind Ehen nicht offen, nur weil Papa gerne ab und an eine Affäre hat oder zu einer Prostituierten geht – das fällt wohl noch unter Vertiefung der ehelichen Pflichten. Und natürlich seien an alledem sowieso Homosexuelle schuld, denn immerhin würden diese das unmoralische Weltbild sozusagen vorleben. So wie selbst der schlimmste Modestil irgendwann wieder in Mode kommt, so ergeht es auch den Vorurteilen gegenüber Homosexuellen.

Absurd? Für religiöse Fanatiker vollkommen logisch!

Auch der Angriff auf asexuelle Menschen entbehrt nicht einer gewissen Absurdität – während Jugendlichen von bibeltreuen Herren und Damen seit vielen Jahrzehnten eingetrichtert wird, wie böse und schlimm Sex generell ist, sind Menschen ohne sexuelle Lüste jetzt das neue Feindbild. Warum asexuelle und homosexuelle Personen trotz zumeist gegensätzlicher Ansichten bezüglich der Ausübung von Sexualität trotzdem nun sozusagen Hand in Hand die traditionelle Ehe in Gefahr bringen, ist eine spannende Frage. Vielleicht, so die Bibelfans, vielleicht greifen sie die heterosexuelle Ehe als “Sexlose“ und “Sexsüchtige“ sozusagen von beiden Seiten des Spektrums gleichzeitig an. Wer an rachefreudige alte Männer mit weißem Bart auf einer Wolke glaubt, für den mag auch das absolut plausibel klingen.

Denkansätze? Bitte nicht!

Man muss dabei nicht alle Denkansätze verstehen, die von Seiten religiöser Fanatiker kommen, noch dazu, wo es sich zumeist eben genau nur um das handelt: Erste Ansätze des Denkens, kein wirklich klarer und zu Ende gedachter Gedanke. Doch die Macht dieser Menschen und ihre stetig ansteigende Radikalität sind trotzdem nicht zu verkennen, nach Recherche-Angaben des Magazins Politico sind mehr als achtzig christlich-nationalistische US-Gruppen derzeit weltweit online besonders aktiv in ihrem Kampf gegen Homo-Ehe und Schwule allgemein. Als die Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika von Freiheit sprachen, hatten sie wahrscheinlich nicht die grenzenlose Freiheit von Hass und Dummheit im Blick. Doch auch hier zeigt die USA derzeit, dass Amerikaner alles noch eine Nummer bigger and better machen können. Supersize it, please.

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