Aufatmen bei queeren Verbänden EU-Chatkontrolle vorerst am Veto Deutschlands gescheitert
Die EU-Chatkontrolle ist vorerst vom Tisch: Nach massivem Widerstand von IT-Experten, Wissenschaftlern, EU-Bürgern und queeren Organisationen sowie weiteren Vereinen wie dem Deutschen Kinderschutzbund gibt es derzeit keine Mehrheit für das Vorhaben auf EU-Ebene. Als Grund für das Scheitern gilt auch die deutsche Position.
Absage aus dem Bundesjustizministerium
Während sich das Bundesinnenministerium bis zuletzt nicht eindeutig positionierte, hatte Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) gestern eine klare Absage erteilt: „„Anlasslose Chatkontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein. Private Kommunikation darf nie unter Generalverdacht stehen. Der Staat darf Messenger auch nicht dazu zwingen, Nachrichten vor Versendung massenhaft auf verdächtige Inhalte zu scannen. Solchen Vorschlägen wird Deutschland auf EU-Ebene nicht zustimmen.“
Ende der Privatsphäre im digitalen Raum
Der Gesetzesvorschlag der dänischen EU-Ratspräsidentschaft hatte zuletzt vorgesehen, dass alle Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Signal künftig verpflichtet werden sollten, alle Nachrichten aller EU-Bürger mittels KI mitzulesen und mögliche kinderpornografische Inhalte (Bilder, Videos, Links) an die Strafverfolgungsbehörden zu melden. Für zahlreiche Experten und Juristen das Ende der Privatsphäre in Europa und der Eins-zu-Eins-Verschlüsselung aller digitalen Kommunikationsdienste. Signal drohte einen Rückzug aus Europa an, sollte das Gesetz kommen. Über 700 Wissenschaftler, Ärzte, Journalisten, Therapeuten, IT-Experten und Anwälte hatten ebenso protestiert, rund 325.000 Menschen unterschrieben bis heute Vormittag eine Online-Petition gegen das Vorhaben. Der Jurist Patrick Breyer hatte von einer „in der freien Welt einzigartigen Überwachungsinfrastruktur“ gesprochen.
Gefahr für LGBTIQ+-Menschen
Insbesondere stellte das Gesetzesvorhaben auch für queere Menschen eine Bedrohung dar, wie der Verband Queere Vielfalt (LSVD+) gestern gegenüber SCHWULISSIMO warnte. „Eine anlasslose und automatisierte Überwachung privater Kommunikation greift tief in die Grundrechte auf Privatsphäre, freie Entfaltung und Vertraulichkeit ein. Besonders betroffen wären queere Menschen, die in digitalen Räumen häufig einen geschützten Ort finden, um über ihre Identität, Sexualität oder ihr Coming-Out zu sprechen. Wenn künftig staatliche Stellen oder Algorithmen jede Nachricht und jedes Bild potenziell mitlesen und bewerten, entsteht ein Klima des Misstrauens und der Angst“, so Erik Jödicke aus dem Bundesvorstand. Gerade queere Jugendliche im ländlichen Raum würden dadurch noch weiter isoliert.
Ob und wie das Gesetzesvorhaben möglicherweise noch einmal auf den Tisch kommt, ist offen. Nachdem durch das Veto Deutschlands vorerst keine ausreichende Unterstützung gefunden wurde, wird nach Beratungen der Botschafter der EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel das Vorhaben nun nicht wie vorgesehen nächste Woche beim EU-Innenministertreffen zur Abstimmung gestellt.