Zurück zum Brokeback Mountain Vor zwanzig Jahren veränderte das Drama die Sichtbarkeit von Schwulen in Hollywood - nun feiert das Meisterwerk Jubiläum
20 Jahre Brokeback Mountain. In diesem Jahr jährt sich der schwule Filmklassiker zum zwanzigsten Mal. Kaum zu glauben, aber wahr. Im Jahr 2005 kam das Drama von Regisseur Ang Lee in die Kinos und sorgte für Begeisterung wie auch für massive Kritik. Für schwule Jungs jener Tage war die Reise zum fiktiven Brokeback nicht nur eine zumeist äußerst emotionale Erfahrung, sondern auch ein Aha-Erlebnis der besonderen Art: Erstmals wurde im Kino auf der großen Leinwand mit zwei angehenden Hollywoodstars ehrlich und authentisch über Begehren, Zuneigung, Leidenschaft und Liebe unter Männern erzählt, eingebettet in die vermeintlich toxische Männerwelt der „harten Kerle“ und „echten Cowboys“.
Ein neues Bild von schwuler Liebe
Der taiwanische Filmregisseur und Drehbuchautor Lee hatte zuvor mit unterschiedlichen Filmen wie der Jane-Austen-Adaption „Sinn und Sinnlichkeit“, dem Martial-Arts-Film „Tiger and Dragon“ oder dem stillen Familiendrama „Der Eissturm“ von sich reden gemacht. Und nun eine Story über zwei schwule Cowboys? Dargestellt von zwei der heißesten heterosexuellen Aufsteiger Hollywoods, Jake Gyllenhaal und Heath Ledger? Durfte das sein?
Schwule Männer jener Tagen wurden zu Beginn der 2000er Jahre noch immer gerne, falls überhaupt, als netter sexbefreiter Side-Kick der Hauptdarstellerin in Szene gesetzt, zumeist stark überzeichnet und vor Klischee triefend. Daneben konzentrierten sich Independent-Filmer darauf, Homosexuelle im Umfeld von HIV, Drogensucht, Depressionen und/oder Zwangsprostitution zu platzieren. Es blieben größtenteils Nischenfilme, entweder seicht überdreht oder vor dramatischen Wendungen bis zum Exodus bleischwer.
Zeitlose Geschichte und große Kinokunst
Und dann kam „Brokeback Mountain“, der binnen kurzer Zeit zum Höhepunkt des Filmjahres werden sollte. Das Lexikon des internationalen Films hielt dazu fest: „Ein zutiefst anrührendes Drama, dessen Darsteller ihre Figuren mit glaubhaftem Leben erfüllen und ihnen doch ihr Geheimnis belassen. In den Hoffnungen, Sehnsüchten und Lebenslügen des Paares vermittelt der meisterhaft inszenierte, episch breite Film die Einsamkeit und Ängste seiner beiden Protagonisten.“
Die Welt schrieb: „Heath Ledger und Jake Gyllenhaal, von denen man bislang nicht wusste, ob sie bloß Stars sind oder wirkliche Mimen: Wie sie hier altern, was nicht nur Sache der Maske ist, wie sie ihr Verlangen verstecken und es doch hinter ihrer Maske hervorblitzen lassen; und wie Ang Lee dies trotz dieser extrem zeitbezogenen Story zur zeitlosen Geschichte stilisiert, die auch heute noch in der Provinz passieren könnte: Das ist große Kinokunst.“

"Entartung" von Cowboys?
Und diese große Kinokunst machte Angst – konservative US-Organisationen liefen Sturm gegen das Werk, die Rede war vom verbotenen Tabubruch, der „Entartung“ des Cowboy-Lebens. Christliche US-Kirchen sprachen von einer Gefährdung für den „American Way of Life“ und natürlich von einer Verführung der Jugend. Der Film propagiere einen „homosexuellen Lebensstil“ – wer den Streifen kennt, mag über Letzteres besonders lachen, denn „Werbung“ für das Leben als Homosexueller macht der Film von Anfang bis zum bitteren Ende wahrlich nicht. Das störte wahre Christen in ihrer Kritik trotzdem nicht, denn der Film versuche, „Sympathien für die schwulen Protagonisten“ zu erzeugen – Teufelszeug! Die Filmemacher sowie die beiden Hauptdarsteller seien schlicht das Werkzeug der „Gay Agenda“, die sich die Zerstörung von Religion, Ehe und Familie in der amerikanischen Gesellschaft zum Ziel gesetzt hätten.
Die römisch-katholische Kirche stufte die Liebesgeschichte kurzerhand als „höchste Gefahr“ und „moralisch anstößig“ ein. Konservative US-Kritiker machten aus Gyllenhaals Figur ein „sexuelles Raubtier“ und benannten den Film in „Bareback Mountain“ um, in Anspielung an die HIV-Epidemie. Drei Jahre später, als der Film erstmals 2008 im italienischen Fernsehen gezeigt wurde, schnitt der Fernsehsender Rai Due eine Kuss- sowie eine angedeutete Sexszene ohne Genehmigung aus dem Film raus. Wenn man all das heute liest, könnte man denken, das Drama habe nicht vor zwanzig, sondern vor fünfzig Jahren seine Weltpremiere gefeiert.
Game-Changer für die Gay-Community
Für die Gay-Community war der Film ein Meilenstein – und eine Mahnung zugleich. Eingerahmt in die scheinbar heile Welt, die atemberaubende Landschaft Wyomings, angesiedelt zunächst in den 1960er Jahren, begleiteten wir den temperamentvollen und leidenschaftlichen Jack Twist (Jake Gyllenhaal) und den wortkargen und selbstverachtenden Ennis del Mar (Heath Ledger) über zwanzig Jahre durch Schein-Ehen, Heimlichkeiten, kurzes Glück und Herzschmerz.
Und so ganz nebenbei machte der Film vielen Männern in der Community klar, dass die vielen Fortschritte seit damals bis zu Beginn der 2000er Jahre vor allem ein großstädtisches Konstrukt waren – auf dem Land gab es jene Homophobie noch immer, in den USA ebenso wie in Deutschland. „Brokeback Mountain“ wurde schlussendlich für acht Oscars nominiert und gewann drei, darunter für die beste Regie – allerdings nicht für den besten Film, was damals wie heute viele Schwule als die Homophobie der US-Filmwirtschaft brandmarkten. Heute wirkt diese Entscheidung geradezu albern, denn Lees Film hat seinen rechtmäßigen Platz unter den Meisterwerken des Kinos längst eingenommen und wurde 2018 in das Nationale Filmregister der US-Kongressbibliothek aufgenommen, weil er „kulturell, historisch und ästhetisch bedeutend“ ist. 20 Jahre – und noch heute ist dieser Film Herzensbrecher und Mahnung zugleich.