Weil sie das Land kritisiert ESC-Siegerin Jamala auf Russlands Fahnungsliste
2016 gewann die ukrainische Sängerin Jamala (40, mit bürgerlichem Namen Susana Jamaladinova) den Eurovision Song Contest in Stockholm mit ihrem Song „1944“. Das Lied beschäftigt sich mit vergangenen Kriegsverbrechen gegen die Bevölkerung der von Russland besetzten Krim. Auch bei dem jetzigen russischen Angriffskrieg kritisierte die Musikerin immer wieder russische Kriegsverbrechen. Jetzt landete Jamala auf Russlands Fahndungsliste.
Wegen „Fake News“
Anscheinend begründet Russland die Entscheidung mit angeblichen Falschinformationen, die Jamala über die russische Armee verbreitete. In Russland gelten alle Informationen als falsch, die nicht der offiziellen Linie des Putin-Regimes entsprechen. Ein Grund für die Fahnung nach Jamala ist ihre Kritik am Massaker, das 2022 in Butscha stattfand. In dieser Stadt tötete das russische Militär nach ukrainischen Angaben 458 Zivilistinnen und Zivilisten. Russland ist – wie bei allen anderen Meldungen über russische Kriegsverbrechen – empört über die „erfundenen“ Vorwürfe. Schon im Oktober schaffte Jamala es auf Russlands Fahndungsliste. Diesen Monat wurde in Abwesenheit von einem russischen Gericht verhaftet.
So reagierte Jamala
Als die Musikerin von dem Fahnungsaufruf erfuhr, adressierte sie die Meldung sogleich in einer Instagram-Story. Dazu veröffentlichte sie einige der Schlagzeilen und kommentierte unter anderem mit einem Facepalm-Emoji. Jamala tourt gerade durch Australien, um dort Spenden zu sammeln und die Menschen darauf aufmerksam zu machen, was in der Ukraine passiert. In der Story baute sie auch ein Foto von sich vor dem Opernhaus in Sydney ein. Als Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, flohen die Sängerin und ihre Familie aus dem Land.
Dieses Jahr brachte Jamala ihr Album „Qirim“ mit traditionellen krimtatarischen Liedern heraus. Gegenüber der BBC erklärte die Sängerin anlässlich der Veröffentlichung, das Album sei ihr Versuch, ihrem „Heimatland – der Krim – eine starke Stimme zu geben“. Sie erklärte: „Die Jahrhunderte des Russischen Reiches, dann der Sowjetunion, jetzt Russland – sie haben eine Menge Propaganda gemacht, um uns zum Schweigen zu bringen. Dann haben sie der ganzen Welt erzählt, dass wir nicht existieren. Aber wir kennen die Wahrheit. Ich kenne die Wahrheit. Und deshalb ist es für mich wirklich wichtig, diese Wahrheit durch die Geschichten hinter jedem der Songs auf diesem Album zu zeigen.“ Daneben setzt sich Jamala auch für LGBTI*-Rechte ein.
Über „1944“
Schon Jamalas ESC-Siegerlied „1944“ war Russland ein Dorn im Auge, denn dieses handelt vom 18. Mai 1944, als krimtatarische Familien auf Stalins Befehl aus dem Schlaf gerissen und aus ihren Häusern vertrieben wurden. 200.000 Krimtatarinnenen und Krimtataren (eine muslimische Minderheit) wurden an diesem Tag gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und nach Zentralasien zu reisen. Wer sich weigerte, wurde erschossen. Auch Jamalas Großmutter gehörte zu den Vertriebenen. In dem Song hieß es unter anderem: „Wenn Fremde kommen, kommen sie in dein Haus. Sie töten sich und sagen: Wir sind nicht Schuld, nicht Schuld.“
Viele sahen in „1944“ einen Kommentar zu Russlands illegaler Annexion der Halbinsel Krim, die vor 2014 zur Ukraine gehörte. Insbesonders Russland behauptete, dass der Songtext politischer Natur sei und daher gegen die Regeln des ESC verstieße. Die Europäische Rundfunkunion, die den Wettbewerb ausrichtet, erlaubte das Lied jedoch. In der Folge übertrumpfte es den russischen Beitrag und holte den Sieg. Obwohl die Ukraine erst seit 2003 am ESC teilnimmt, gewannen schon drei ukrainische Acts: Ruslana mit „Wild Dances“ (2004), Jamala (2016) und das Kalush Orchestra mit „Stefania“ (2022). Russland gewann nur ein einziges Mal, und zwar 2008 mit Dima Bilans „Believe“.