Im Interview Dr. Olaf Degen
SCHWULISSIMO hat sich mit Dr. Olaf Degen getroffen, um über das Thema PrEP zu sprechen. Dr. Degen ist Facharzt für Innere Medizin und ist spezialisiert auf Infektionserkrankungen. Er leite den Bereich Infektiologie im Ambulanz-Zentrum im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), welches ein großer ambulanter, infektiologischer Bereich ist.
Können Sie kurz zusammenfassen, was PrEP überhaupt ist?
Die PrEP („Prä-Expositions-Prophylaxe) bezeichnet die vorbeugende Einnahme eines Medikamentes, um eine HIV-Infektion zu verhindern. Das eingesetzte Medikament ist seit vielen Jahren in der Behandlung der HIV-Infektionen ein fester Bestandteil. Vor einigen Jahren erfolgte eine Erweiterung der Zulassung auch als vorbeugendes Medikament. Die PrEP ist eine hoch effektive Maßnahme Die Schutzwirkung ist bei richtiger Einnahme weit über 90%. Trotzdem ist es eine von verschiedenen Präventionsmaßnahmen, zu der auch das Kondom gehört.
Ab 01. September ändert sich einiges. Was genau ändert sich und wie ist es momentan?
Im Moment ist es so, dass die PrEP eine Privatleistung ist, d.h. die Männer müssen die PrEP selber bezahlen. Dadurch dass das Medikament inzwischen auch von Generiker-Herstellern angeboten wird, sind die Kosten auf 40-50 Euro im Monat gesunken. Früher kostete das über 700 Euro. Die Begleitdiagnostik lassen sich viele momentan bei den Beratungsstellen abnehmen, z.B. Hein & Fiete. Dieses beinhaltet die regelmäßige Testung auf STD´s wie z.B. Gonokokken und Syphilis, als auch die Überwachung der Nierenwerte . Das wird ab dem 01.09. nach dem Bundesmantelvertrag Kassenleistung. Das heißt sowohl die Verschreibung des Medikaments als auch die ärztliche Begleitung wie auch die Diagnostik auf STD‘s wie die Durchführung der vorgeschriebenen und sinnvollen Impfungen wie Hepatitis A und B sind Kassenleistungen. Wir arbeiten hierzu mit den öffentlichen Einrichtungen und dem schwulen Checkpoint Hein&Fiete eng und gut zusammen. Perspektivisch wird auch ein Hein & Fiete-Mitarbeiter in der PrEP Beratung tätig sein.
Wie wird das angenommen? Es ist ja ein Unterschied, ob die Beratung von Hein und Fiete oder von einem Arzt durchführt wird.
Ich persönlich glaube die Kombination aus beiden ist gut. Einerseits die Peer to Peer Berater, mit denen viele sicher auch offener und ehrlicher über intime Sexualpraktiken usw. sprechen mögen, als mit Ihrem Arzt, auf der anderen Seite braucht man auch eine medizinische Seite. Das heißt man braucht einen Arzt der die Medikamente verschreibt, der sich damit auskennt. Risiken und Nebenwirkungen einschätzen kann. Der die Begleitdiagnostik auch führen kann. Also die Abstriche auf sexuell übertragbare Krankheiten, die Kontrolle der Nierenwerte usw.
Sie haben gesagt PrEP schützt bei richtiger Anwendung wie ein Kondom. Sollte denn PrEP Ihrer Meinung nach mehr Aufmerksamkeit bekommen? Z.B. in Schulen?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wir sehen es bei den HIV-Neuinfektionen. Da gibt es zwei kleine Peaks. Das sind zum einen sehr junge und zum anderen ältere Männer. Gerade um die jungen Männer zu erreichen, die Ihre schwule Identität gerade entdecken ist auch eine Beratung in den Schulen sicher sehr sinnvoll. Die HIV Neuinfektionen waren vorletztes Jahr bei 2.700. Das ist im weltweiten Vergleich relativ niedrig, aber natürlich immer noch viel zu hoch. Die PrEP sollte eine Möglichkeit sein, diese Zahl noch weiter zu senken.
Gibt es Zahlen oder Studien von Menschen die sich trotz PrEP infiziert haben?
Die sicherste Methode ist, wenn man eine PrEP kontinuierlich einnimmt. Da liegen wenige bis keine Berichte zu Infektionen vor. Die, die sich trotzdem infiziert haben, hatten die Medikamente wahrscheinlich nicht regelmäßig eingenommen. Das Risiko für die anlassbezogene PrEP ist sicher ein bisschen höher, weil man auch einige Zeit vor dem Sexualkontakt mit der PrEP beginnen muss. Die WHO hat neuerdings ein 2-1-1 Schema empfohlen. Also zwei Tabletten Truvada mindestens zwei Stunden vor dem Sex und dann einen und zwei Tage danach jeweils noch eine weitere Tablette. Das mit den zwei Stunden halten Experten und auch ich für viel zu eng. Man muss früher damit beginnen um eine optimale Schutzwirkung zu haben. Wir denken, dass zwei Tage vorher bei schwulen Männern und sogar sieben Tage bei Frauen notwendig sind, gefolgt von weiteren zwei Tagen bei Männern und weiteren sieben Tagen bei Frauen. Dies hängt mit der späteren Anreicherung in der vaginalen Schleimhaut zusammen.
Warum sollte man sich dann überhaupt für die anlassbezogene Methode entscheiden?
Der Vorteile ist, dass man ein Medikament mit möglichen Nebenwirkungen eben auch nicht einnehmen muss, wenn man kein Risiko hat. Allerdings muss man dann seine sexuelle Aktivität planen, wer also spontan ist und bleiben will, sollte die tägliche Einnahme nutzen.
Wie sehen die Nebenwirkungen bei PrEP aus?
Wir kennen das Medikament seit weit über zehn Jahren in der HIV-Therapie. Insgesamt wird es hervorragend vertragen. Gefühlte Nebenwirkungen der Patienten sind sehr selten. Es kann zu Störungen der Nierenfunktion und zu Knochenstoffwechselstörungen kommen. Das sind seltene Ereignisse, aber das kann vorkommen.
Dafür werden dann immer regelmäßig Tests durchgeführt?
Genau. Die Überwachung der Nierenfunktion ist wichtig und sollte auch regelmäßig im Rahmen der PrEP durchgeführt werden. Patienten mit einem hohen Risiko für andere Erkrankungen z.B. Knochenerkrankungen durch Kortisoneinnahmen sollten genauer überwacht werden.
Also der Patient wird vorher genau untersucht und dann eingestellt. Und gibt es schon aussagekräftige Langzeitstudien bezüglich der Nebenwirkungen? Sie sagten was von zehn Jahren. Ist das nach dieser Zeit schon sicher?
Das eingesetzte Medikament kann man als sicher einschätzen. Man muss bei Patienten mit Risiko auf Nieren- und Knochenerkrankungen sicher ein bisschen genauer hingucken, aber grundsätzlich ist das ein sicheres Medikament. Auch in der Langzeiteinnahme. Wir haben Patienten die das Medikament seit vielen, vielen Jahren ohne Probleme einnehmen.
Wie sehen Sie die Entwicklung von PrEP. Viele sagen, dass es dadurch eine höhere Verbreitung von anderen Krankheiten gibt, wie z.B. die Syphilis. Durch die Sicherheit von PrEP verzichten die Leute häufiger auf das Kondom. Sehen Sie hier eine gute oder schlechte Entwicklung? Oder liegt der Anstieg der anderen Krankheiten an den häufigeren Untersuchungen?
Sicher führt PrEP dazu, dass weniger Kondome genutzt werden und dadurch zu einem Anstieg anderer sexuell übertragbarer Krankheiten. Man hat allerdings auch schon vor Einführung von PrEP gesehen, dass die Anzahl dieser Krankheiten zugenommen haben. Wir gehen daher von einem „Anstieg des Anstiegs“ aus. Das Kondom ist sicher und gut, um sich vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen nicht nur vor HIV. Das heißt für mich bleibt das Kondom auch weiter ein wichtiges Mittel in der Prävention auch von anderen STD‘s
Gibt es weiterer Vorteile des neuen Gesetzes?
Ja, wir können jetzt eine regelmäßige Testung auf STD’s bei asymptomatischen Männern durchführen – und das ist neu. Früher mussten erst Symptome, also Anzeichen der Krankheit vorliegen, um diese Untersuchungen machen zu dürfen. Das heißt, das könnte eine Chance sein, diese steigende STD Zahl in den Griff zu kriegen und die Infekt-Ketten zu durchbrechen. Man entdeckt die asymptomatischen Keimträger und kann eine Infektion gut behandeln.
Meinen Sie das Kondom wird durch PrEP auch weiterhin an Popularität verlieren oder sogar ganz abgelöst, oder sehen Sie in der Zukunft PrEP und Kondom als Symbiose?
Ein Mann unter PrEP mit regelmäßigen und wechselnden Sexualkontakten ist sehr sicher gegen HIV-Infektionen geschützt. Das gibt ein gutes Gefühl! Und es gibt bestimmt ein Gefühl der Freiheit und der Unabhängigkeit und man ist nicht mehr so fixiert auf das Thema HIV. Trotzdem kann man das Kondom ja weiter einsetzen. Gerade bei Sexpartys oder häufig wechselnden unbekannten Sexualkontakten. Das Kondom bleibt eine wichtige Methode, um STD’s zu verhindern. Aber eine gewisse Balance wird sich sicher einstellen. Bei Männern mit hohem Risiko versteh ich PrEP als eine Basismaßnahme, um vor HIV geschützt zu sein. Und dann muss ich mir überlegen wie schütze ich mich vor STD’s. Wir sehen bei einer Gonorrhoe (Tripper) zunehmend eine Resistenzentwicklung, die Patienten müssen schon jetzt eine Infusion und Tabletten einnehmen. STD’s sind keine Erkältung. Das sind ernste Erkrankungen.
Zu wem muss ich denn ab dem 01.09. gehen, kann mich mein Hausarzt behandeln?
Direkt ab dem 1. September muss man zu HIV-Schwerpunktärzten, sofern die sich eine entsprechende Genehmigung der KV (Kassenärztlichen Vereinigung) geholt haben. Wir sind aber alle entsprechend angeschrieben worden. Alle anderen Ärzte müssen erst eine entsprechende Fortbildung machen. Es ist daher wahrscheinlich, dass es anfangs in Bereichen wie Hamburg „Engpässe“ bei den Ärzten gibt. Hein und Fiete haben aktuell 800 Menschen in der PrEP, die dann alle einen Arzt brauchen.
Auf der dagnä-Seite (Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e.V.) unter www.dagnae.de/aerzte sind die richtigen Ärzte für alle Betroffenen zu finden.
Wird weiter an PrEP geforscht?
Es werden weitere Einnahmemöglichkeiten erforscht. Es gab vor einigen Woche auf dem IAS (International AIDS Society) Kongress in Mexiko Daten zu einem Implantat, das eine Wirkungsdauer von einem Jahr aufweisen soll. Das ist im Moment natürlich noch Zukunftsmusik, aber es gibt diese wissenschaftlichen Projekte. Das ist faszinierend. Sie spritzen sich so ein Implantat unter die Haut und sind ein Jahr gegen HIV geschützt. Die ersten Studien dazu, sind noch keine großen Studien an Menschen, aber es gibt Untersuchungen. Auch wird an einer Möglichkeit gearbeitet das Medikament nur einmal die Woche, oral einnehmen zu müssen. Es wurde auch von Depotspritzen gesprochen. Da lässt man sich alle 2 Monate ein Medikament spritzen und ist dann recht sicher vor einer HIV Übertragung geschützt. Aber das ist alles im Moment noch in der Forschung. Es wird noch einiges auf uns zukommen.
Das müsste dann aber bei seltenerer Einnahme höher dosiert werden – oder?
Es ist eher so, dass das Medikament langsamer im Körper freigesetzt wird.
Es wird also gespritzt und strahlt dann von da langsam aus... interessant – aber das dauert sicher noch Jahre bis zur Markttauglichkeit.
Von einem Pharma-Unternehmen gibt es ein Medikament, dass schon auf Verträglichkeit getestet wurde, entwickelt einen Applikator. Ein 4 cm langes und 2 mm dünnes Stäbchen, das unter die Haut gegeben wird – nach Verbrauch wird es dann wieder entfernt. Das würde dann über ein Jahr vorhalten – wird aber noch dauern. Depotspritzen für 1-2 Monate werden wohl schon im nächsten Jahr möglich sein. In Aussicht wären also wöchentliche Tabletten, 1-2 mtl. Depotspritzen oder jährliche Implantate. Das wird tatsächlich noch Jahre dauern. Aber wir sind mit PrEP auf jeden Fall noch nicht am Ende angelangt