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Neue Krisen und berechtigte Hoffnung!
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Das Ende von AIDS?! Neue Krisen und berechtigte Hoffnung!

ms - 12.08.2023 - 17:00 Uhr

Die Organisation UNAIDS hat vor wenigen Tagen ihren neuen Bericht „The Path that Ends AIDS“ (Der Weg zur Beendigung von AIDS) veröffentlicht und bekräftigt darin, dass ein Ende der weltweiten Pandemie bis 2030 nach wie vor möglich ist – das sei in erster Linie eine finanzielle und politische Entscheidung. Immer wieder kommt es allerdings auch zu Rückschlägen, teilweise auch begründet durch neue Gesetzgebungen sowie neue Regierungen – auch der Krieg in der Ukraine spielt dabei eine Rolle.  

Ein Wegweiser für neue Pandemien?!

Trotzdem bleibt klar: Wer mit voller Willenskraft und Tatendrang den Weg in Richtung AIDS-Ende beschreite, der könne auch außergewöhnliche Ergebnisse erwarten, so UNAIDS im Bericht, der angereichert mit vielen Daten, Fallstudien und Verfahrensrichtlinien künftig auch dazu beitragen kann und soll, anderen, weltweiten Pandemien in der Zukunft besser, schneller und zielgenauer entgegentreten zu können. „Botswana, Eswatini, Ruanda, die Vereinigte Republik Tansania und Simbabwe haben die ´95-95-95´-Ziele bereits erreicht. Das bedeutet, dass 95 Prozent der Menschen, die mit HIV leben, ihren HIV-Status kennen, dass 95 Prozent der Menschen, die wissen, dass sie mit HIV leben, eine lebensrettende antiretrovirale Behandlung erhalten und dass 95 Prozent der Menschen, die eine Behandlung erhalten, virenfrei sind. Weitere 16 Länder, davon acht in Afrika südlich der Sahara, der Region, in der 65 Prozent aller HIV-Infizierten leben, sind ebenfalls kurz davor, dieses Ziel zu erreichen“, so die Organisation weiter.

Ein Vermächtnis für die Zukunft

„Das Ende von AIDS ist die Gelegenheit für ein einzigartiges Vermächtnis für die heutigen Führungskräfte. Sie könnten künftigen Generationen als diejenigen in Erinnerung bleiben, die der tödlichsten Pandemie der Welt Einhalt geboten haben. Sie könnten Millionen von Leben retten und die Gesundheit aller Menschen schützen. Sie könnten zeigen, was Führung wirklich bewirken kann“, so Winnie Byanyima, Exekutivdirektor von UNAIDS. Der Bericht unterstreicht, dass HIV-Bekämpfungsmaßnahmen erfolgreich sind, wenn sie auf einer starken politischen Führung beruhen. Dies bedeutet, dass man sich an den Daten, der Wissenschaft und den Erkenntnissen orientiert, die Ungleichheiten bekämpft, die den Fortschritt behindern, Gemeinschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrer wichtigen Rolle bei der Bekämpfung unterstützt und eine ausreichende und nachhaltige Finanzierung sicherstellt.

Entkriminalisierung von Homosexualität

So zeigt sich sehr deutlich in der Studie auch, die größten Fortschritte sind in den Ländern und Regionen zu verzeichnen, in die am meisten Geld beim Thema HIV investiert wurde, wie etwa im östlichen und südlichen Afrika, wo die Zahl der HIV-Neuinfektionen seit 2010 um 57 Prozent gesunken ist. Dies hat dazu geführt, dass die Zahl der HIV-Neuinfektionen bei Kindern zwischen 2010 und 2022 um 58 Prozent gesunken ist, die niedrigste Zahl seit den 1980er Jahren. Dazu beigetragen hat in maßgeblicher Weise zudem der Fakt, dass weitere Länder Homosexualität entkriminalisiert haben, darunter Antigua, Barbuda, die Cookinseln, Barbados, St. Kitts und Nevis sowie Singapur – wer gleichgeschlechtliche Beziehungen anerkennt, verbessert auch die AIDS-Situation im Land, weil Diskriminierung und Stigmatisierung abgebaut und Forschung sowie Unterstützung aufgebaut werden. Die Zahl der Menschen, die sich weltweit einer antiretroviralen Behandlung unterziehen, hat sich binnen eines guten Jahrzehnts so fast vervierfacht: von 7,7 Millionen im Jahr 2010 auf 29,8 Millionen im Jahr 2022.

Jede Minute stirbt ein Mensch mit AIDS

In dem Bericht wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Beendigung von AIDS nicht automatisch erfolgen wird. Im Jahr 2022 forderte AIDS nach wie vor jede Minute ein Todesopfer. Etwa 9,2 Millionen Menschen erhalten immer noch keine Behandlung, darunter 660.000 Kinder, die mit HIV leben. Frauen und Mädchen sind immer noch unverhältnismäßig stark betroffen, insbesondere in Afrika südlich der Sahara. Aktuell leben 39 Millionen Menschen weltweit mit HIV, 29,8 Millionen davon erhalten Zugang zu einer antiretroviralen Therapie, 1,3 Millionen Menschen haben sich neu mit HIV infiziert. 630.000 Menschen starben an AIDS-bedingten Krankheiten.

Eine antiretrovirale Therapie – über neun Millionen Menschen weltweit bekommen derzeit keine HIV-Medikamente. © iStock / borgogniels

Hohe Neuinfektionen in Asien, Osteuropa und Nordafrika

Fast ein Viertel (23%) der HIV-Neuinfektionen entfällt auf Asien und den Pazifikraum, wo die Neuinfektionen in einigen Ländern alarmierend ansteigen, so UNAIDS weiter. In Osteuropa und Zentralasien (Anstieg um 49% seit 2010) sowie im Nahen Osten und Nordafrika (Anstieg um 61% seit 2010) ist weiterhin ein starker Anstieg der Neuinfektionen zu verzeichnen. „Diese Trends sind in erster Linie auf den Mangel an HIV-Präventionsdiensten für marginalisierte Bevölkerungsgruppen und Schlüsselgruppen sowie auf die Hindernisse zurückzuführen, die durch Strafgesetze und soziale Diskriminierung entstehen“, hält UNAIDS weiter fest. Dazu kommt, dass die Finanzierung von HIV-Behandlungen international betrachtet rückläufig ist.

Immer wieder kommen auch unerwartete Entwicklungen dazu, die die Lage nachhaltig negativ beeinflussen können. Einer davon ist der Krieg in der Ukraine. Gerade Länder wie Russland oder die Ukraine waren bereits vor Ausbruch der Kriegshandlungen mit besonders hohen HIV-Fallzahlen konfrontiert, die Situation hat sich seitdem dramatisch weiter verschlechtert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass HIV gerade in Russland noch mehr tabuisiert wird wie vor dem Krieg, da das Virus beinahe ausschließlich mit Homosexualität in Verbindung gebracht wird, sodass eine besonders hohe Dunkelziffer bei den tatsächlichen Fallzahlen von HIV-Neuinfektionen sehr realistisch ist.
Insgesamt im europäischen Durchschnitt infizierten sich etwa 12 Personen pro 100.000 Menschen im Zeitraum von zwölf Monaten neu mit HIV, in Deutschland liegt die Quote bei 2,7 Menschen, so die WHO weiter. In Osteuropa und hierbei allen voran in Russland liegt die Quote bei über 40 Personen pro 100.000 Einwohner, dicht gefolgt von der Ukraine mit mehr als 37 Infektionen. Allein in Russland gibt es inzwischen rund eine Million HIV-positive Menschen, in der Ukraine sind es weitere rund 330.000 Personen. Zum Vergleich: In Deutschland werden 90.800 Menschen mit HIV verzeichnet (Stand 2021). Damit zerschlagen sich auch die letzten Hoffnungen für die Ukraine, die noch vor dem Krieg aufgekommen waren, nachdem die Zahl der Neuinfektionen auf hohem Niveau endlich leicht gesunken war. Erschwerend kommt seit letztem Jahr hinzu, dass der Einmarsch der russischen Truppen den Großteil der Infrastruktur zerstört hat und damit auch Testmöglichkeiten und die durchgehende und ausreichende Bereitstellung von HIV-Medikamenten in weiten Teilen zunichtegemacht hat. Die meisten Gesundheitseinrichtungen wurden zerstört, die WHO sprach bereits 2022 von mehreren tausend Menschen mit HIV, die aufgrund von fehlenden Medikamenten allein in der Ukraine gestorben sind.

Noch schlimmer ist die Lage in Russland: HIV-Experten gehen davon aus, dass sich die Situation seit dem Kriegsausbruch noch weiter zugespitzt hat. Das schwulenfeindliche Klima und die Ende 2022 beschlossene Verschärfung des Anti-Homosexuellen-Propaganda-Gesetzes durch das russische Parlament heizt die Homophobie im Land weiter an – und verhindert damit größtenteils auch einen sachlichen Umgang mit dem Thema HIV. Jedes Gespräch beispielsweise über Präventionsmöglichkeiten kann je nach Auslegung als „Werbung für Homosexualität“ umgedeutet und somit als strafbar ausgelegt werden. Die Arbeit von HIV-Vereinen, die aufklären und informieren wollen, dürfte damit nahezu unmöglich gemacht worden sein. So stellte die WHO bereits 2022 nüchtern fest, dass viele der angeblich durch heterosexuellen Sex entstandenen Neuinfektionen in Russland in Wirklichkeit tatsächlich höchstwahrscheinlich durch homosexuelle Kontakte entstanden sind – die Betroffenen schweigen aus Angst vor staatlichen Repressalien.

Ein neues Problemfeld bei der HIV-Bekämpfung eröffnete sich dann erst vor kurzem in Uganda – generell ist die Bekämpfung von HIV je nach Region in Afrika bis heute eine besonders schwierige, in Uganda kommt jetzt das neue Anti-Homosexuellen-Gesetz dazu. Das neue Gesetz sieht hohe Haftstrafen und sogar die Todesstrafe für Homosexuelle vor und bestraft auch jene, die Schwulen und Lesben helfen, sie beraten oder diese auch nur unterstützen – für alle schwul-lesbischen Beratungsorganisationen und HIV-Zentren bedeutete dies bereits nach kurzer Zeit das Ende. So erklärte das HIV/AIDS-Behandlungszentrum in Kampala im Juni gegenüber Reuters, dass kein einziger HIV-positiver Patient mehr kommen würde, die antiretroviralen Medikamente stapeln sich unbenutzt. Vor dem  Inkrafttreten des Gesetzes wurde allein diese Einrichtung von rund fünfzig Personen täglich besucht. Andrew Tendo, leitender Arzt der von den USA finanzierten Klinik, warnte eindringlich vor einer neuen Welle von HIV-Infektionen. Die Menschen würden allesamt fernbleiben, aus Angst, als homosexuell gebrandmarkt und anschließend verhaftet zu werden. „Die LGBT-Community in Uganda ist jetzt komplett abgeriegelt. Sie haben keinen Zugang mehr zu Präventionsdiensten, Kondomen oder antiretroviralen Medikamenten!“

Nach Angaben der staatlichen Uganda AIDS Kommission leben im Land aktuell rund 1,4 Millionen Menschen mit HIV, etwa 17.000 Personen sterben jährlich an den Folgen von AIDS. Die Klinik in Kampala galt als erfolgreiches Leuchtturm-Projekt im Kampf gegen das Virus in Uganda. Mary Borgman, Länderdirektorin des US President‘s Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR), bestätigte mit trauriger Miene, dass rund 80 weitere HIV-Anlaufstellen wie jene in Kampala das gleiche Schicksal teilen, überall bleiben die HIV-Patienten fern. Die Befürchtungen sind groß, dass sich diese negativen Entwicklungen in anderen afrikanischen Ländern fortsetzt – aktuell flüchten viele schwule Männer aus Uganda nach Kenia, dass ihnen bisher Unterschlupf gewährt. Vor wenigen Tagen erklärte dann allerdings das Parlament des Landes, dass sie ebenso an einem Anti-Homosexuellen-Gesetz nach dem Vorbild Ugandas arbeiten – tritt dies tatsächlich in Kraft, dürften auch in Kenia die Fälle von HIV-Neuinfektionen wieder massiv ansteigen.

Wollen wir ernsthaft AIDS beenden – ja oder nein?

Es ist den Krisenherden auf der Welt zu eigen, dass sie meist unvorhersehbar und schnell eine dramatische Entwicklung vollziehen – die HIV-Bekämpfung muss sich dem immer wieder von neuem anpassen. Am Ende sei es trotzdem fast simpel – es bestehe nach wie vor die Chance, AIDS für immer zeitnah zu beenden, indem der politische Wille gestärkt wird, in eine nachhaltige Antwort auf HIV zu investieren und indem das finanziert wird, was am wichtigsten ist: evidenzbasierte HIV-Prävention und Behandlung, Integration der Gesundheitssysteme, diskriminierungsfreie Gesetze, Gleichstellung der Geschlechter und gestärkte Gemeinschaftsnetzwerke, so UNAIDS. „Wir sind hoffnungsvoll, aber es ist nicht der entspannte Optimismus, der aufkommen könnte, wenn alles so laufen würde, wie es sollte. Es ist vielmehr eine Hoffnung, die darauf beruht, dass wir die Chance auf Erfolg sehen, eine Chance, die vom Handeln abhängt. Die Fakten und Zahlen in diesem Bericht zeigen nicht, dass wir als Welt bereits auf dem richtigen Weg sind, sie zeigen, dass wir es sein können. Der Weg ist frei!“, so Byanyima von UNAIDS abschließend. (ms)

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