Der blinde Fleck Wenn erst der Krebs wachrüttelt
Männer sterben häufiger an Krebs als Frauen. Nicht, weil sie grundsätzlich gefährdeter wären – sondern weil sie seltener zur Vorsorge gehen. Trotz medizinischer Fortschritte und zahlreicher Aufklärungskampagnen bleibt die Krebsvorsorge für viele Männer ein Thema, das sie vermeiden, aufschieben oder ignorieren. Das kann tödliche Folgen haben.
Ein gefährliches Zögern
Laut aktuellen Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) erkranken jährlich rund 250.000 Männer in Deutschland an Krebs. Besonders häufig betroffen sind Prostata-, Lungen-, Darm- und Hautkrebs. Während die Heilungschancen bei früher Diagnose oft sehr gut stehen, wird die Krankheit bei Männern überdurchschnittlich oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium entdeckt.
„Wir sehen in der Praxis immer wieder Patienten, die zu spät kommen“, so ein Urologe aus Berlin. „Viele Männer melden sich erst, wenn Symptome auftreten – und das ist bei Krebs meistens schon zu spät.“
Ein Grund liegt in der Wahrnehmung: Früherkennung bedeutet für viele Männer, sich mit Schwäche, Krankheit und Kontrollverlust auseinanderzusetzen. Themen, die in der klassischen Männlichkeitssozialisation wenig Raum haben.
„Das alte Ideal des starken, unverwundbaren Mannes sitzt tief“, sagen Psychologen. „Vorsorge wird häufig als überflüssig oder gar als Zeichen von Angst gedeutet – und Angst gilt im traditionellen Rollenbild als unmännlich.“
Prostata, Darm, Haut – was Männer vernachlässigen
Die häufigste Krebsart bei Männern ist Prostatakrebs. Jedes Jahr wird sie bei mehr als 60.000 Männern diagnostiziert. Die Heilungschancen sind gut, wenn der Tumor früh entdeckt wird – doch das ist selten der Fall.
Seit Jahrzehnten bietet die gesetzliche Krankenkasse Männern ab 45 Jahren eine jährliche Tastuntersuchung der Prostata an. Doch laut Zahlen des GKV-Spitzenverbandes nimmt weniger als jeder dritte Mann dieses Angebot regelmäßig wahr.
Auch bei der Darmkrebsvorsorge sieht es ähnlich aus: Männer ab 50 haben Anspruch auf eine Koloskopie, doch nur ein Bruchteil nutzt sie. Dabei sterben Männer deutlich häufiger an Darmkrebs als Frauen.
Noch drastischer ist die Situation beim Hautkrebs. Die Früherkennung ist einfach, schmerzfrei und kostenlos, wird aber von Männern seltener in Anspruch genommen als von Frauen.
Fehlende Kommunikation und Scham
Ein weiterer Faktor: Scham. Viele Männer empfinden Untersuchungen – insbesondere im Genital- oder Darmbereich – als unangenehm oder peinlich. Hinzu kommt, dass Hausärzte und Fachärzte das Thema Früherkennung oft nicht aktiv ansprechen.
Es wird oft zu wenig direkt kommuniziert. Wenn Ärzte nicht offensiv fragen, ob jemand zur Vorsorge will, passiert meistens gar nichts. Männer brauchen offensichtlich eine klare Einladung, keine vagen Hinweise.
Auch betriebliche Gesundheitsangebote erreichen Männer oft nur begrenzt. Gesundheitschecks am Arbeitsplatz oder Informationsveranstaltungen werden in männerdominierten Branchen – etwa im Handwerk oder in der Industrie – kaum angenommen. Der Zugang muss niedrigschwelliger werden. Vorsorge darf nicht nach Arztpraxis riechen, sondern nach Alltag.
Vorsorgekampagnen ohne Wirkung
Zahlreiche Kampagnen versuchen seit Jahren, Männer zur Früherkennung zu motivieren. Ob „Movember“, „Blue Ribbon“ oder Aktionen der Krankenkassen – die Resonanz bleibt überschaubar. Experten führen das auf falsche Ansprache zurück.
Die Kommunikation richtet sich oft an Frauen oder Familienangehörige, die Männer zum Arzt schicken sollen. Das ist gut gemeint, aber es verfestigt die Idee, dass Männer selbst keine Verantwortung übernehmen.
Erfolgreiche Kampagnen müssten direkter, lebensnaher und weniger belehrend sein. Eine Ansprache, die nicht Angst macht, sondern Selbstbestimmung betont, wäre ein richtiger Weg. Früherkennung ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Selbstachtung.
Medizinische Chancen ungenutzt
Die medizinische Früherkennung hat sich in den vergangenen Jahren stark verbessert. Moderne bildgebende Verfahren, Bluttests und genetische Analysen können viele Krebsarten frühzeitig erkennen – oft, bevor Symptome spürbar sind.
Dennoch bleiben die Teilnahmequoten niedrig. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung lag die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen bei Männern 2024 unter 40 Prozent. Bei Frauen sind es über 70 Prozent.
Das ist ein alarmierendes Gefälle.
Dazu gehört auch eine bessere Aufklärung über Heilungschancen: Prostatakrebs etwa ist bei frühzeitiger Diagnose in über 90 Prozent der Fälle heilbar. Wird er erst spät erkannt, sinkt diese Quote drastisch.
Ein Appell an die Vernunft
Krebs ist längst keine Frage des Alters mehr. Immer häufiger trifft es Männer unter 50 Jahren – vor allem durch Stress, Rauchen, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung. Dennoch bleibt Vorsorge für viele ein Thema „für später“. Männer investieren Zeit in Autoinspektionen, aber nicht in ihre Gesundheit. Diese Prioritäten müssen sich ändern.
Es gehe nicht um Angst, sondern um Verantwortung: sich selbst, der Familie und dem eigenen Leben gegenüber.
Die Stunde, die man im Jahr beim Arzt verbringt, kann am Ende über Jahrzehnte Leben entscheiden.