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Schiedsrichter Pascal Kaiser

Schiedsrichter Pascal Kaiser Der bisexuelle Schiedsrichter kämpft für Fairness - auf dem Rasen und rund herum!

ms - 11.07.2025 - 15:00 Uhr
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Pascal Kaiser (27) aus Köln liebt den Fußball – zuerst als Kicker, inzwischen seit rund zehn Jahren als Schiedsrichter. Im Jahr 2022 outete er sich als bisexuell und kämpft seitdem noch mehr für Vielfalt und Akzeptanz in der Fußballwelt. 

Pascal, wie blickst Du heute auf dein Coming-Out im Sport?

Mein Outing war eines der mutigsten, aber auch eines der befreiendsten Dinge, die ich je getan habe. Plötzlich fiel diese ständige innere Anspannung ab, dieses doppelte Leben, das so viele queere Menschen führen, gerade im Fußball. Ich konnte endlich sagen: Das bin ich. Gleichzeitig war es, als hätte ich ein Licht angemacht – und auf einmal wurde sichtbar, wie viel Staub noch in den Ecken liegt. Ich wurde mit enormem Zuspruch, aber auch mit enormem Hass konfrontiert. Ich bekam Nachrichten von Jugendlichen, die sagten: „Danke, jetzt traue ich mich auch.“ Aber auch Morddrohungen, Beleidigungen und Herabwürdigungen. Diese Diskrepanz zeigt, wie sehr wir Sichtbarkeit brauchen – aber auch, wie weit wir noch von echter Akzeptanz entfernt sind. 

Du hast bereits vor deinem Outing immer wieder Homophobie im Fußball erlebt, beispielsweise Spielersprüche unter der Dusche wie „Lass die Seife nicht fallen“. Was macht das mit einem?

Solche Sprüche wirken nach außen banal – aber sie nagen. Sie erzeugen ein Klima der Angst, in dem man sich selbst nicht mehr traut, ehrlich zu sein. Ich habe mich oft gefragt: „Was würden die sagen, wenn sie wüssten, dass ich bi bin?“ Und diese Unsicherheit frisst mit der Zeit Selbstwert auf. Es gab auch härtere Momente. In einem Spiel wurde ich offen als „Schwuchtel, du magst es doch, wenn es härter zugeht“ beschimpft – das traf mich nicht nur als Schiedsrichter, sondern als Mensch. Aber ich habe auch positive Wendungen erlebt: Spieler, die mich nach einem Match beiseite genommen und gesagt haben: „Pascal, ich find’s mutig, dass du so offen bist. Ich hätte das nie gekonnt.“ Diese kleinen Zeichen der Anerkennung sind für mich riesige Schritte.

Wie geht es anderen queeren jungen Erwachsenen im Fußball derzeit?

Viele stehen an einem Punkt, an dem sie sich entscheiden müssen: Bleibe ich im Sport – oder bleibe ich bei mir selbst? Und das ist tragisch. Kein junger Mensch sollte seine Identität verleugnen müssen. Aber es gibt Hoffnung. Es gibt inzwischen queere Fußballvereine, inklusive Initiativen und junge Spieler*innen, die mutiger werden. Ich bekomme regelmäßig Nachrichten von Jugendlichen, die sagen: „Du gibst mir Kraft.“ Und ich sage ihnen immer: Ihr müsst nicht so lange still sein, wie ich es war. Wir werden mehr. Und wir werden lauter.

Eine Studie von FanQ und LSVD+ zeigte auf, dass Homophobie unter deutschen Fußballfans noch stark ausgeprägt ist. Warum haben viele noch immer ein Problem damit? 

Weil sie Angst haben, dass sich das System verändert – und damit ihre Macht, ihre Deutungshoheit. Fußball war jahrzehntelang ein exklusiver Raum für ein sehr eindimensionales Bild von Männlichkeit. Alles, was nicht diesem Bild entspricht, wird als „Störung“ empfunden. Aber genau hier sehe ich auch Wandel. Vereine wie der 1. FC Köln, St. Pauli oder Initiativen wie „Fußball für Vielfalt“ setzen Zeichen. Und auch viele junge Fans sind inzwischen offener als man denkt – sie wollen nicht nur 90 Minuten Spiel, sie wollen Haltung. Nur müssen wir ihnen auch zeigen: Diese Haltung beginnt bei dir.

Was müsste sich innerhalb von Fußballclubs ändern?

Es braucht konkrete Strukturen, keine Symbolpolitik. Verpflichtende, queere Vertrauenspersonen, verpflichtende Workshops für alle – nicht nur für die, „die es betrifft“. Und klare Kante: Wer homophobe Sprüche klopft, fliegt. Punkt. Ich habe auch bereits positive Entwicklungen gesehen. Vereine, die mich zu Gesprächen eingeladen haben. Trainer, die mich nach Tipps fragten, wie man ein Team sensibler macht. Es geht – wenn man will. Und ich sehe, dass viele wollen.

Und bei den Fans und ihrem „echten Männersport“?

Fans müssen erkennen: Der „echte Mann“ ist kein Exklusivrecht auf diesem Platz. Emotionen sind nicht schwul, Tränen sind kein Makel. Und Respekt ist keine politische Meinung – es ist die Grundlage jedes Zusammenlebens. Ich wünsche mir mehr aktive Fanbündnisse gegen Diskriminierung, wie sie mancherorts schon existieren. Und mehr Spieler, die auch mal sagen: „Ich stehe an der Seite meines queeren Mitspielers.“ 

Was denkst Du über Aussagen wie: Sexualität ist doch reine Privatsache!

Diese Aussage ist so bequem wie gefährlich. Sie ignoriert, dass queere Menschen eben nicht nur auf dem Platz leben – sondern auch daneben. Wenn ein heterosexueller Spieler von seiner Freundin erzählt, fragt niemand: „Was hat das mit Fußball zu tun?“ Aber wenn ich von meinem Partner spreche, heißt es plötzlich: „Privatsache.“ Seit meinem Outing stehe ich viel freier auf dem Platz. Ich verstecke nichts mehr, und das macht mich stärker – nicht schwächer. Wir müssen uns trauen, ganz da zu sein.

Mehr Anfeindung oder Zuspruch, was für Feedback hast Du bisher bekommen?

Ich erlebe beides: Hass und Hoffnung. Die DMs mit Todesdrohungen verletzen. Aber sie brechen mich nicht. Denn für jede Hassnachricht bekomme ich fünf, in denen mir Menschen sagen: „Du hast mir geholfen, mich selbst anzunehmen.“ Ich sehe darin meine Aufgabe: Sichtbarkeit schaffen. Eine Stimme sein. Und Menschen Mut machen, die sich noch nicht trauen. Ich weiß, wie einsam es sein kann, wenn man denkt, man ist der oder die Einzige. Ich will, dass niemand mehr so denken muss.

Du hast früher im ländlichen Brandenburg gelebt, inzwischen in Köln. Hast Du auch hier homophobe Angriffe erlebt? 

Ich kann die Klischees über „die Provinz“ nicht bestätigen. Die schlimmeren Dinge sind mir in Köln passiert. In dieser vermeintlich so offenen und bunten Großstadt wurden ein Freund und ich auf offener Straße verprügelt – nur wegen unserer Sexualität. Man denkt immer, in der Stadt sei man sicher, aber das stimmt nicht. Nicht überall. Und nicht immer. Brandenburg war für mich nicht homophob. Es war manchmal still, zurückhaltend, vielleicht auch unbeholfen – aber nicht hasserfüllt. Ich habe dort viele wertvolle Begegnungen gemacht, gerade auch mit jungen Menschen, die sich gefreut haben, dass ich sichtbar war. Was mich erschüttert, ist dieses Gefühl, dass wir gesellschaftlich gerade eher Rückschritte machen. Hass wird wieder salonfähiger. Es fühlt sich so an, als müssten wir um Dinge kämpfen, die wir längst für sicher hielten. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir zurückfallen. Nicht politisch, nicht gesellschaftlich und schon gar nicht menschlich. Queeres Leben darf kein Luxus in Großstädten sein – es muss ein selbstverständlicher Teil unserer gesamten Gesellschaft sein. 

Man sagt: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Du hast 2022 eine Petition gegen den DFB gestartet, weil der Verein sich weggeduckt hat beim Thema Menschenrechte bei der WM in Katar. In diesem Jahr wurde die WM 2034 nach Saudi-Arabien vergeben. Was macht das mit dir? 

 

Es macht mich wütend. Es macht mich traurig. Und es macht mich ehrlich gesagt fassungslos. Wir reden hier nicht über irgendeinen Veranstaltungsort – sondern über ein Land, in dem queere Menschen systematisch verfolgt, bestraft und in manchen Fällen sogar zum Tode verurteilt werden. Und jetzt kommt’s: Der DFB hat sogar FÜR Saudi-Arabien gestimmt. Der Verband, der hierzulande so gerne Regenbogenbinden verteilt und Diversity-Werbebanner aufstellt, hat aktiv dazu beigetragen, dass ein queerfeindliches Regime die Weltmeisterschaft austrägt. Man redet von „Weltoffenheit“, von „Brücken bauen“, aber in Wahrheit baut man Mauern – aus Opportunismus, Angst und Geldgier. Beim Katar-Desaster hat sich der DFB schon peinlich aus der Verantwortung geschlichen und jetzt dieses Abstimmungsverhalten… es ist ein Verrat. Es zeigt, wessen Leben im Weltfußball zählt – und wessen nicht. Ich liebe den Fußball. Aber ich verachte, wie er von oben missbraucht wird. Wenn Verbände wie der DFB sich selbst feiern für ihre angebliche Vielfalt, aber dann aktiv queerfeindliche Systeme unterstützen, dann ist das keine Toleranz. Das ist Heuchelei. Und wenn die da oben nicht den Mut haben, für Menschenrechte einzustehen, dann liegt es an uns – den Sichtbaren, den Lauten, den Unbequemen – das Spielfeld zurückzuerobern.

Was macht den Fußball trotzdem so besonders für dich? 

Warum ich den Fußball liebe? Weil er mein Zuhause war, lange bevor ich wusste, wer ich wirklich bin. Weil er mich gehalten hat, wenn ich gefallen bin. Weil er mir beigebracht hat, zu kämpfen – nicht nur auf dem Platz, sondern im Leben. Ich liebe den Fußball, weil er mich fühlen lässt, dass ich lebe. Weil er laut, chaotisch, ehrlich ist – und ich in diesem Chaos irgendwie Frieden finde. Und vielleicht liebe ich ihn auch, weil ich weiß, wie weh er tun kann – aber ich ihn trotzdem nicht loslassen kann. Er ist nicht perfekt. Aber er ist meine Leidenschaft.

Und was würdest Du einem queeren Menschen mitgeben wollen, der vielleicht Angst davor hat, dem Fußball aufgrund der Homophobie eine Chance zu geben?

Bitte geh trotzdem auf den Platz. Bitte gib dem Fußball die Chance, dein Zuhause zu werden – so wie er es für mich wurde. Lass dir nicht von alten Männlichkeitsbildern oder dummen Sprüchen einreden, dass du hier keinen Platz hast. Denn du hast nicht nur einen Platz – du veränderst mit deiner Präsenz den Raum. Vielleicht ist es nicht immer leicht. Vielleicht wirst du Dinge hören, die wehtun. Aber du wirst auch erleben, wie stark du wirklich bist. Du wirst sehen, dass Veränderung nur dann beginnt, wenn Menschen wie du und ich sichtbar werden. Und wenn dich jemand fragt, warum du dir das „antust“, dann sag:  Weil mein Herz für Fußball schlägt – und meine Liebe zu mir selbst größer ist als der Hass anderer!

Pascal, vielen Dank für das Gespräch! 

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