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Vater & Sohn // © nortonrsx

Leserumfrage Vater & Sohn

vvg - 22.06.2019 - 07:00 Uhr

Eigentlich habe ich mich erst durch einen Streit mit meinem Vater geoutet: Er warf mir eines Tages vor, dass die Nachbarn gesagt hätten, dass ich wohl schwul wäre. Ich habe darauf geantwortet: „Wenn die Nachbarn das sagen, müssen die das ja wissen; die kennen deinen Sohn wohl besser, als du selbst.“ Damit war alles gesagt. Ich hatte danach auch keinerlei Interesse mehr, mit ihm überhaupt über das Thema zu sprechen. Für mich wurde mein Vater zu einer Figur, die für mich keine Bedeutung hatte. Wir hatten nie eine gute Vater-Sohn-Beziehung. Er war ein Mensch, der nicht kultiviert war, machte sich mehr Sorgen um seine Arbeit, als um seine Familie und er kümmerte sich kaum um seine Kinder. Ich war der jüngste Sohn, hatte noch zwei Brüder, die inzwischen beide verstorben sind und eine Schwester, die zwar noch lebt, aber zu der ich keinen Kontakt habe. Er hatte es als Vater geschafft, dass in unserer Familie keine Zusammengehörigkeitsgefühle entstanden. Er war zwar anwesend, aber nie für uns da. Mittlerweile sind auch meine Mutter und er verstorben. Das beste Gefühl meines Lebens hatte ich in dem Moment, als ich mich von meiner Familie befreite. Das war nach meiner Pflichtzeit bei der Armee. Ich kam nach Hause und habe meinem Vater deutlich zu verstehen gegeben, dass ich ausziehen werde und er schauen muss, wie er sein Leben weiterhin verbringen will. Als ich die Tür hinter mir schloss, fühlte ich mich befreit. Ich war in einer Familie involviert gewesen, an der ich gar nicht teilgenommen konnte und irgendwann auch nicht mehr wollte. Ich hatte nie das Gefühl, dazu zu gehören und wollte einfach nur raus und ohne Zwänge und Verpflichtungen - einfach nur frei - leben.
Angel, Gran Canaria

Mein erstes Mal mit einem gleichaltrigen Jungen hatte ich mit 14 während einer Jugendfreizeit auf Sylt. Drei Jahre später lernte ich beim Doppelkopfspiel dann einen Mittzwanziger kennen; der sehr charmant war. Als wir am anderen Morgen bei ihm wach wurden, stellte ich fest, dass er außgerechnet der Sohn meiner ehemaligen Deutschlehrerin war. Mit 25 hatte ich dann endlich mein eigenes inneres Outing. Zu der Zeit wohnte ich schon in Köln, lernte aber in meiner Heimatstadt Korbach bei der Hochzeit meiner Cousine einen Kölner kennen, den ich nicht kannte und in den ich mich verliebte. Er war natürlich in festen Händen und es ergab sich eine Dreier-Beziehung. Diese Liebesaffäre wirbelte meine Gefühlswelt ziemlich durcheinander, so dass mein Vater, zu dem ich immer ein großartiges Verhältnis und ein Urvertrauen hatte, fragte, was los sei. Ich redete drum herum, sprach von einer Person A, B und C, worauf er nach einer Pause fragte: „Reden wir eigentlich über Frauen?“. Nachdem ich Klartext geredet hatte, überlegte er eine Weile und meinte: „Du bleibst mein Sohn und ich dein Vater. Aber der Mutter sagen wir erst einmal nichts!“ Ich wollte aber in Zukunft bei Besuchen in Korbach nicht schauspielern und eventuell spätere Freunde mitbringen; und es der Mutter persönlich sagen. Das Gespräch ergab sich etwa fünf Monate später. Sie schaute erst mich an, dann meinen Vater und sagte ihm auf den Kopf zu „Du hast das gewußt.“ Überrascht war ich, dass mein Vater mich zuerst ansprach und mir versprach der Mutter nichts zu erzählen. Meistens ist es doch andersrum, die Mütter merken und erfahren es zuerst und bringen es dann schonend den Vätern bei. Später ging meine Mutter sehr offen mit dem Thema um. Erfahren habe ich, dass mein Vater sich in seinem Männergesangsverein oft fiese Sprüche anhören musste, mich aber immer verteidigt hat und immer stolz hinter mir stand. Heute ist das alles kein Thema mehr.
Jörg, Köln

Ich habe mich mit 21 geoutet; vorher haben das wohl alle schon geahnt, aber ich selbst wollte es nicht wahrhaben, weil ich dem Bild entsprechen wollte, wie mein Vater mich haben wollte. Als ich dann einen Freund hatte, reagierte meine Mutter normal, sie war nur geschockt, als sie feststellte, dass mein Freund genauso alt war wie sie selbst. Mein Vater reagierte ruppiger, er besaß ein total negatives Klischeedenken: Ich war das älteste von fünf Kindern und als Sohn sollte ich dann als Stammhalter für Nachwuchs sorgen. Ich durfte kaum noch mit meinen Geschwistern zusammen sein, weil er dachte, als Schwuler hat man automatisch auch Aids. Er hat mich ignoriert, für ihn sind Frauen nichts wert, er akzeptierte nur Männer, die allerdings auf keinen Fall schwul sein dürfen. Er hat mich täglich seine Ablehnung spüren lassen. Er wollte die totale Kontrolle über mein Leben und drohte ständig mit dem Spruch: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, ...“ Das wollte ich mir aber nicht gefallen lassen, ich wollte frei sein und bin dann mit der Hilfe von Polizisten in einer Stresssituation mit meinen Sachen aus dem Hause ausgezogen. Mein Vater hat einen tiefen Graben durch unsere Familie gezogen und nur Schaden hinterlassen. Er hat meine Mutter sitzen lassen, die heute mit einem anderen Mann zusammen lebt, der mich so akzeptiert, wie ich bin. Leider ist das Verhältnis zu meiner Mutter etwas getrübt, sie liebt mich zwar, aber sie sieht in mir natürlich immer meinen Vater – und da hat das Schicksal zugeschlagen, denn ich sehe exakt wie mein Vater aus. Das ruft bei ihr immer wieder negative Erinnerungen wach.
Kevin, ehem. Stuttgart

Ich habe schon mit 12 Jahren gemerkt, dass ich schwul bin. Ich hatte zwar wie viele andere auch kurz eine Freundin, aber insgeheim wusste ich, dass ich auf Männer stehe. Meinen ersten Freund hatte ich mit 15, was für mich Anlass war, mich bei meiner Mutter zu outen. Sie hatte sich das schon gedacht, später erfuhr ich, dass sie wusste, auf welchen Seiten ich mich im Netz rumgetrieben hatte. Sie war zwar nicht enttäuscht, meinte aber, dass das vielleicht nur eine Phase sei; ein Standartspruch den sicherlich viele schwule Jungs anhören mussten. Meine Eltern gingen auseinander, als ich 12 war. Wir wohnten in einem kleinen Ort, der genau zwischen Hannover, Bremen und Hamburg liegt. Mein Vater blieb in Norddeutschland, ich zog mit Mutter und meinen beiden älteren Brüder in die entgegengesetzte Richtung. Nach dem Outing bei meiner Mutter fasste ich den Entschluss, meinen Vater einen Brief zu schreiben. Ich hatte ihn einmal besucht und ein paar Male angerufen, aber telefonisch war es durch seine neue Frau schwierig geworden; also setzte ich mich hin und schrieb. Als ich darauf keine Antwort erhielt, versuchte ich es ein zweites Mal. Aber auch darauf kam keine Reaktion. Ich wusste, dass er eine neue Familie gegründet und neue Kinder gezeugt hatte. Heute weiss ich, dass er nicht bereit war, auf meine Briefe zu antworten. Damals hat es mich schon verletzt, gar nichts von ihm zu hören. Ich hatte mir beim Schreiben gewünscht, dass es für ihn kein Problem sei und dass er mich trotzdem lieb hat. Ich hätte auch akzeptiert, wenn er damit nicht zurecht gekommen wäre; zumindest hätte ich dann gewusst, woran ich war. Leider hat er sich nie gemeldet. Heute lebe ich in Wuppertal; meine Familie ist mein allerbester platonischer Freund, seine Familie ist meine Zuhause.
Patrick, Wuppertal

Ich habe mich immer als bi geoutet. Mittlerweile tendiere ich zu anthrosexuell, d.h. ich stehe auf Menschen, die sich als „cis“ in einer Männerrolle definieren. Meine Kindheit war traumatisierend: Vater war Alkoholiker, Mutter unfähig, mich zu erziehen. Sie trennten sich, ich kam ins Heim. Erst war das schwer für mich, letztendlich war es das Beste, was mir passieren konnte. Nach dem Tod meiner Mutter bestanden keine Kontakte zur Familie mehr. Als ich zufällig einen Cousin väterlicherseits traf, erzählte er mir, dass mein Vater zufällig in der Stadt sei, ob ich Lust hätte, ihn zu treffen. Ich sagte sofort zu. Unsere Begegnung nach mittlerweile 14 Jahren war behutsam, aber mit viel Freude und Liebe. Mein Vater hatte schon länger Kontakt zur Verwandtschaft und wusste einiges über mich. Ich war ja durch „Queer-Blick“ politisch aktiv und dadurch im Netz zu finden. Er fragte sinngemäß: er habe gehört, dass ich anstatt mit Frauen lieber mit Männern …? Er umschrieb es sehr vorsichtig und wollte das Wort „schwul“ nicht sagen, weil er dachte, es sei eine Beleidigung. Er war sehr einfühlsam, was mir vermittelte, dass er mich voll akzeptierte. Er kannte keine anderen schwulen Männer. In seiner Jugend sprach man kaum über Sex, schon gar nicht über Homosexualität. Wenn jemand schwul war, lebte er das heimlich. Wir sprachen ganz offen und als ich ihm sagte, dass ich in der Gay-Bar „Chapeau Claque“ arbeite, fragte er sofort, ob er mich begleiten dürfe. Er wollte einfach mehr von meinem Leben wissen. Seitdem halten wir intensiven Kontakt. Wir teilen vertraute Gefühle und besitzen auch gewisse Ähnlichkeiten. Ich bin sehr froh, ein Stück Familie wieder gefunden zu haben. Ich hatte einen Vater vermisst, suchte immer die väterlichen Gefühle. In der Schule war der Lehrer meine Bezugsperson und meine Freunde, sind alle wesentlich älter als ich. Lediglich meine Lover sind jünger, ich denke ich bin eher eine Beschützerperson.
Philipp, Mainz, Mitglied bei Queer-Blick

Schon mit 13 haben mich Jungen immer mehr interessiert als Mädchen. Mit 19 war ich mit einem jungen Mann zusammen und da war ich an einem Punkt, dass ich dachte, jetzt sollte ich das Thema auch mal meinen Eltern sagen. Die saßen gerade beim Fernsehen, als ich es aussprach. Meine Mutter war nicht gerade erfreut, wandte sich aber nach relativ kurzer Zeit mir wieder zu. Mein Vater schüttelte nur den Kopf und schaltete sofort den Fernseher aus. Er reagierte verständnislos und hüllte sich bis auf ein morgendliches Kopfnicken und einem kurzen „Guten Morgen“ erst einmal in Schweigen. Die Funkstille hielt 10 Wochen an, solange bis meine Beziehung endete. Das hatten sie mitbekommen, weil ich heulend auf dem Sofa saß; dadurch verbesserte sich aber direkt auch unser Verhältnis. Ich hatte danach eine wirklich gute Freundin, was für meinen Vater sicherlich eine gute Zeit war, weil er sich für uns dadurch wohl mehr erhoffte. Es dauerte aber ca. zwei Jahre, bis ich mich erneut in einen Mann verliebte, was ich Zuhause erst einmal verheimlichte, um das Verhältnis nicht gleich wieder kaputt zu machen. Als ich es dann öffentlich machte, war ich erstaunt, dass mein Vater sagte, er habe sich das schon gedacht. Monate später brachte ich den Neuen mit nach Hause und das war für mich das Zeichen, dass mein Vater meine Entscheidung akzeptierte und sich der neuen Aufgabe stellte. Ich merkte, er konnte sich mit mir freuen und seitdem war alles in Ordnung. Seitdem ist jeder meiner Partner, den ich mit nach Hause brachte, komplett akzeptiert worden. Vielleicht war wohl zu viel Klischeedenken in seiner ersten Reaktion. Man glaubt wohl, dass schwule Männer nur Tunten mit abgebrochenem Knickhändchen sind. Als er sah, dass mein Freund ein klassischer Kerl mit festem Arbeitsplatz war, war die Welt für ihn wieder in Ordnung. Vielleicht hatte er auch die Angst, einer von uns würde im Fummel herumlaufen.
Stefan, Gelsenkirchen

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