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Queerfeindlichkeit in Deutschland // © Cordula Kropke

Interview mit Lünsmann-Schmidt (LSVD) Es gibt einfach unfassbar viel Gewalt gegenüber der LGBTI*- Community!

ms - 01.05.2022 - 14:00 Uhr

„Es gibt einfach unfassbar viel Gewalt gegenüber  der LGBTI*- Community!“

Mitte Mai begehen wir den Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie – ein wichtiger Tag, der daran erinnern soll, wie oft es noch immer weltweit zu Hassverbrechen gegenüber queeren Menschen kommt – auch und gerade in Deutschland. Im April belegten die neusten Zahlen des Bundesinnenministeriums, dass die Anzahl der Gewalttaten und hassmotivierten Straftaten gegenüber LGBTI*-Menschen binnen eines Jahres um rund 50 Prozent zugenommen hat. Offiziell kam es so im Jahr 2021 zu 1.051 Straftaten - das sind im Schnitt drei Übergriffe pro Tag.

Dabei dürfte die eigentliche Anzahl der Gewalttaten um ein Vielfaches höher sein, das bestätigt sowohl eine Studie der Europäischen Grundrechteagentur wie auch die Erfahrungswerte von Polizei und queeren Fachverbänden wie beispielsweise der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD). Realistisch geschätzt liegt die wahre Zahl der Hassverbrechen gegenüber LGBTI* in Deutschland irgendwo zwischen 10.000 und 20.000 Fällen pro Jahr. Dr. Stefanie Lünsmann-Schmidt, Mitglied im Bundesvorstand des LSVD, interpretierte für uns die aktuellen Zahlen genauer.

Wie lässt sich dieser massive Anstieg um rund 50 Prozent erklären?
Die erste offensichtliche Erklärung wäre, dass die Gewalt tatsächlich zugenommen hat. Aber hat sie das wirklich? Man könnte genauso gut sagen, dass nur mehr Menschen ein Hassverbrechen zur Anzeige gebracht haben. Das wäre erst einmal sogar eine positive Entwicklung. Fakt ist, wir wissen das einfach aktuell nicht. Wir haben es hier mit einem unglaublich großen Dunkelfeld zu tun. Viele Verbrechen werden einfach nicht angezeigt und das ist zudem regional auch sehr unterschiedlich. In Berlin oder Bremen beispielsweise werden viele Delikte zur Anzeige gebracht, die Polizei dort hat aber auch schon vor vielen Jahren angefangen, ihr System umzustellen und die Beamten auf die LGBTI*-Thematik zu schulen. Und trotzdem geht die Berliner Polizei auch heute noch von einer hohen Dunkelziffer aus, bei Körperverletzungen als Beispiel von rund 50 Prozent. Wie mag da die Situation erst in Bundesländern sein, wo die Fälle gar nicht erst korrekt erfasst oder gemeldet werden – Bayern ist da ein klassischer Fall. Da wissen wir stellenweise überhaupt nicht, was dort passiert. Es bleibt dem Zufall überlassen, wie der Polizist vor einem geschult und informiert wurde und wie er mit der Situation umgeht und das darf eigentlich nicht mehr sein. Die Botschaft der aktuellen Zahlen ist aber trotzdem klar: Es gibt einfach unfassbar viel Gewalt gegenüber der LGBTI*-Community und wir müssen was tun! Es macht einfach einen erheblichen Unterschied in einer Demokratie aus, ob Menschen sich sicher fühlen oder nicht.

Bei einer so hohen Dunkelziffer können wir also durchaus von mindestens 10.000 Fällen von Hassverbrechen jährlich ausgehen – das wären mehr als 27 Übergriffe täglich.  
Ja oder sogar noch mehr Fälle. Es gibt Studien der letzten Jahre, die zu dem Ergebnis gekommen sind, dass etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung mit einem Minderheitenmerkmal in seinem Leben Erfahrungen mit Hassgewalt macht, das trifft also auch auf die queere Community zu. Dabei muss man aber bedenken, dass die Gewalterfahrungen auch innerhalb der queeren Community nicht gleich verteilt sind. Ich bin zum Beispiel eine gutbürgerliche, weiße, lesbische Frau, die man sonntags gerne auf dem Golfplatz in Hamburg findet. Da ruft ihnen natürlich niemand „Du blöde Lesbe“ hinterher. Kurzum, ich bin von Hassgewalt normalerweise nicht primär betroffen. Aber ich habe es durchaus schon erlebt, dass trans-Personen Cola-Dosen nachgeworfen worden sind, als wir gemeinsam in der Stadt unterwegs waren. Je sichtbarer eine Minderheit ist und je weniger gleichzeitig über diese Minderheit aufgeklärt wurde, desto eher wird eine solche Minderheit auch Opfer von Gewalt.

Ein interessanter Punkt – bedeutet das nicht auch, dass die Gewalt gegenüber queeren Menschen weiter zunehmen kann, je mehr LGBTI* auch in der Öffentlichkeit präsent ist?
Gewalt hat fast immer etwas von einem Individualmoment. Das heißt, dass das Opfer in diesem Moment gewisse Merkmale einer Gruppe mit sich trägt. Ob dabei in der Gesellschaft allgemein viele andere aus der Gruppe generell sichtbar sind, spielt keine so große Rolle. Ich glaube, was wirklich einen Effekt hat, ist, wenn Diskussionen politisch aufgeladen sind. Wenn sie beispielsweise eine Regierung haben, die zum Hass gegenüber einer bestimmten Menschengruppe wie LGBTI* aufruft. Das hat definitiv einen Einfluss.

Der größte Teil aller Übergriffe sind Körperverletzungen. Was sind erfahrungsgemäß die Motive der Täter?
Aktuelle Studien zeigen auf, dass es sich dabei oft um spontane Taten handelt. Das bedeutet allerdings dann auch, dass in unserer Gesellschaft noch immer verankert sein muss, dass LGBTI*-Menschen ein Stück weit als vogelfrei begriffen werden. In den meisten Fällen ist der Triggerpunkt für den Täter also ein individuelles Merkmal. Der Täter sieht jemanden vorbeigehen, der passt nicht in das gesellschaftliche Bild und deswegen haut er dem Opfer dann eine runter.

Vielleicht ist es ein wenig naiv von mir, aber ist das nicht eigentlich vollkommen verrückt, dass ein Mensch einen anderen angreift, nur weil er anders aussieht als die Mehrheit der Gesellschaft? 
Natürlich. Aber ich glaube, das ist ein ganz normales, sozialpsychologisches Phänomen. Wir haben das in 2000 Jahren abendländischer Kultur immer wieder gehabt, dass einzelne Menschengruppen verfolgt worden sind und dass diese Verfolgung auch mit Gewalt einherging. Wenn Menschen einer Gruppe angehören, die nicht gesellschaftlich en vogue ist und die nicht einen gesellschaftlichen Schutz genießt, aber trotzdem sichtbar für andere ist, dann besteht immer die Gefahr, dass Mitglieder dieser Gruppe Gewalt erleben.

Wäre es dann nicht sinnvoll, dass möglichst viele Opfer auf diesen Missstand aufmerksam machen? Warum schweigen so viele Opfer? 
Oftmals hat es mit Scham zu tun. In dem Moment, wo ich etwas zur Anzeige bringe, muss ich mich auch als Betroffener einer Gruppe outen - das möchten viele Menschen nicht. Zudem haben viele auch die Erfahrung gemacht: Es passiert ja sowieso nichts. Gerade wenn wir uns Hassgewalt im Internet ansehen, endet das oft mit einem Brief, in dem steht, dass die Ermittlungen eingestellt worden sind. Ein weiterer Punkt ist aber auch die eigene Hemmschwelle im Kopf und die Frage: Reicht meine Gewalterfahrung aus, um sich damit an die Polizei zu wenden? Das beurteilt jeder ganz unterschiedlich, viele sind es zum Beispiel ja auch inzwischen gewohnt, dass ihnen irgendjemand „schwule Sau“ hinterherruft.
 

In Berlin oder Bremen beispielsweise werden viele Delikte zur Anzeige gebracht, die Polizei dort hat aber auch schon vor vielen Jahren angefangen, ihr System umzustellen und die Beamten auf die LGBTI*-Thematik zu schulen // © Gwengoat

Rund 30 Prozent der Fälle sind rechtsmotivierte Straftaten. Droht der queeren Community von rechts die größte Gefahr oder ist Gewalt und Anfeindung gegenüber LGBTI* ein gesamtgesellschaftliches Problem?
Gewalt und Anfeindungen sind immer dann ein größeres Problem, wenn Menschen autoritären Normalitätskonzepten nachhängen. Von Putin würde man jetzt zum Beispiel auch nicht sagen, dass er rechts ist, aber Russland hat natürlich trotzdem eine autoritäre Regierung, die eine gewisse Normalitätsvorstellung von Gesellschaft hat, wo Pluralismus eben keinen Platz hat. Immer wenn Menschen solchen Ideen nachhängen, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie sich gegen all jene Menschen wenden, die aus diesem engen Weltbild herausfallen. Das ist ein Problem bei Rechten, aber auch ein Problem bei anderen Extremen oder bei politischen und religiösen Gruppen. Eine grundautoritäre Einstellung kann man zudem auch in der Familie oder im eigenen sozialen Milieu erworben haben. Auch bestimmte Männlichkeitsvorstellungen sind immer sehr anfällig dafür, um Gewalt auszuüben. Wir erleben eine starke Häufung von Tätern, die jung und männlich sind - Männlichkeit und Autoritätsbewusstsein in Verbindung mit einer gesellschaftlichen Verengung sozusagen.

Nun ist die aktuelle Bundesregierung auch mit dem Vorsatz angetreten, viel für LGBTI*-Menschen in Deutschland zu verbessern. Können wir also angesichts der Pläne erwarten, dass die Zahl der Hassverbrechen gegenüber LGBTI* dann wieder sinken wird?
Wenn wir der statistischen Logik folgen, dann werden die Fälle leider weiter nach oben gehen, einfach, weil sich mehr Menschen trauen werden, eine Anzeige zu erstatten. Aber es wäre natürlich gut, wenn die tatsächlichen Fallzahlen nach unten gehen, aber ob wir das in der Statistik in den nächsten Jahren sehen werden, sei einmal dahingestellt. Ich erwarte aber tatsächlich, dass sich hier etwas tut. Stichwort Nationaler Aktionsplan, da muss die Regierung jetzt ran! Es geht zum Beispiel einfach nicht, dass sich eine Innenministerkonferenz noch nie mit dem Thema befasst hat. Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, beispielsweise mit einer Fachkommission, die konkrete Maßnahmen ausarbeitet. Hassverbrechen gegenüber LGBTI* müssen außerdem in den Katalog der qualifizierten Straftaten aufgenommen werden. Das Thema muss einfach auf die Tagesordnung! Wir haben keinen Zweifel davon auszugehen, dass die Bundesregierung Wort hält und im Sommer loslegt. Nötig wäre es natürlich schon früher, aber das kann man der jetzigen Regierung nicht vorwerfen, denn das sind Versäumnisse der Regierung davor. Aber trotzdem: Jeder Tag, wo nichts passiert, ist ein Tag, wo Menschen unschuldig Opfer von Hassverbrechen werden.

Nach Durchsicht der aktuellen Fallzahlen stellte der LSVD fest: Das Risiko, Opfer einer gewalttätigen Attacke zu werden, ist für LGBTI*-Menschen deutlich größer als für den Durchschnitt der Bevölkerung. Ist das nicht im Jahr 2022 ein Armutszeugnis für uns als Gesellschaft wie auch für die Politik?
Ja, das ist ein Armutszeugnis! Das betrifft ja aber nicht nur uns. Wenn ich jüdisch bin, eine andere Hautfarbe habe oder behindert bin, habe ich beispielsweise auch ein erhöhtes Risiko. Es ist ein Armutszeugnis, dass die Gesellschaft es sich immer noch leistet, nicht dorthin zu sehen, wo Menschen verstärkt von Gewalt betroffen sind.

Es gibt in den großen Städten in Deutschland oftmals ganze Viertel, wo man sich als queerer Mensch bis heute besser nicht zu erkennen gibt. Stichwort Händchenhalten oder Küssen in den berühmten „No-Go-Areas“. 
Es kann und darf natürlich eigentlich nicht sein, dass es in einer Stadt oder generell irgendwo in diesem Land noch immer No-Go-Areas für LGBTI*-Menschen gibt. Man braucht hier das politische Signal, das sagt: Wir passen überall auf euch auf. Wir nehmen euch überall ernst und ihr könnt überall hingehen. Daher ist es auch angesichts der Fallzahlen ein wichtiger Kernaspekt, dass wir der Bundesregierung auf die Finger klopfen und sagen: Ihr wolltet was tun, tut es jetzt! Das ist jetzt der Moment. Es ist egal, ob es jetzt drei oder dreißig queere Menschen am Tag sind, die Opfer einer Gewalttat werden, jeder Tag mit Gewalt ist einer zu viel und kann verhindert werden. Wir sehen in anderen Ländern, dass nationale Aktionspläne und Polizeiarbeit wirken können. Wir werden sicherlich nicht die allerletzte Gewalttat mit einem politischen Präventionsprogramm verhindern können, aber einen großen Teil davon eben schon. Und das sollten wir jetzt anpacken!
 

Wir erleben eine starke Häufung von Tätern, die jung und männlich sind - Männlichkeit und Autoritätsbewusstsein in Verbindung mit einer gesellschaftlichen Verengung sozusagen // © sandarGeorgiev

Worum geht es eigentlich bei Homophobie?

Dumme Frage? Warum eigentlich? Um der Homophobie und der Queerfeindlichkeit in Deutschland ein wenig genauer auf den Grund zu gehen, müssen wir die aktuellen Zahlen des Bundesinnenministeriums etwas genauer betrachten. Dabei sollte man im Hinterkopf behalten, dass die offiziellen Daten nicht das wahre Ausmaß der Übergriffe darstellen, sodass man die angegebenen Zahlen wahrscheinlich verzehnfachen könnte, um annähernd realistische Ergebnisse vor sich zu haben.

Neben den Körperverletzungen stechen dabei die Beleidigungen in besonderem Maße heraus – sie machen zusammen mit einhergehenden Nötigungen und Bedrohungen mit 470 offiziellen Anzeigen rund 45 Prozent aller Delikte im Laufe des Jahres 2021 aus. Das Ergebnis deckt sich dabei mit Aussagen von queeren Verbänden, demnach Anfeindungen gerade unter Jugendlichen noch immer Hochkonjunktur haben. Die “schwule Sau“ ist noch immer allgegenwärtig. Ein Phänomen, das nicht nur in Deutschland sichtbar hervortritt, sondern auch in den Nachbarländern überproportional präsent ist. Die Schweizer Beratungsstelle LGBT+Helpline dokumentiert seit 2016 LGBTI*-Hassverbrechen in der Schweiz und stellte fest, dass 85 Prozent aller betroffenen Opfer beleidigt und beschimpft worden sind. Hass gegen LGBTI*-Menschen sei eine alltägliche Realität, so die Organisation. Offizielle Zahlen von staatlicher Seite gibt es nicht – frei nach dem Motto: Was nicht erfasst wird, existiert gar nicht. Auch in Österreich wird hier noch immer gerne weggesehen – erst seit letztem Jahr werden überhaupt Daten zu LGBTI*-Gewalt erfasst. Eine Studie der Stadt Wien (Queer in Wien) zeigte aber bereits auf, dass rund 80 Prozent der queeren Befragten beschimpft worden sind. Quer durch die Länder ereignen sich die meisten Anfeindungen dabei stets auf öffentlichen Plätzen, unterwegs oder beispielsweise in öffentlichen Nahverkehrsangeboten.  

Kurz gesagt – das Problem betrifft nicht nur Deutschland. Auch wenn insgesamt die Dunkelziffer sehr ungenau ist und die tatsächlichen detaillierten Entwicklungsströme mitunter unklar sind, kann bei einer Steigerung der Fälle von rund 50 Prozent allein in Deutschland binnen eines Jahres durchaus trotzdem davon ausgegangen werden, dass die veröffentlichten Zahlen in der Tat auch eine deutliche Zunahme von Beschimpfungen und Gewalt gegenüber LGBTI*-Menschen aufzeigen.

Reicht die verbale Attacke nicht mehr aus, wird zugeschlagen – 177 Körperverletzungen sprechen eine deutliche Sprache in der offiziellen Statistik. Auch diese hohen Zahlen decken sich mit Erhebungen aus anderen Ländern in Europa wie zum Beispiel Großbritannien. In der bis dato größten Studienerhebung mit Schwerpunkt “Sexuelle Gewalt gegenüber LGBTI*“ ist für die Hälfe aller queeren Befragten (53 Prozent, Galop Studie 2022) klar, dass sie deswegen Opfer einer sexuellen Gewalttat geworden sind, weil sie zur LGBTI*-Community gehören. Ihre queere Identität triggerte die Täter.

Und wie in allen Fällen – ob Beleidigung, Körperverletzung oder brutalste Gewalt – schweigt ein Großteil der Opfer in ganz Europa aus Scham oder Angst, nicht ernstgenommen zu werden. Diese Situation zu ändern und auf der einen Seite den Mut von Betroffenen zu stärken sowie auf der anderen Seite die pure Anzahl der Übergriffe zu reduzieren, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir nur dann bewältigen können, wenn wir ihre Wurzeln, die Ursprünge der Homophobie, begreifen. Nüchtern betrachtet unterscheiden wir dabei drei Formen der Homophobie. Kaum noch zum Vorschein tritt die sogenannte klassische Homophobie, die Menschen beschreibt, die queeres Leben in ihrer Ganzheit als unmoralisch komplett ablehnen. Glücklicherweise inzwischen ein Randphänomen, das nur noch mehrheitlich in stark religiös geprägten Gruppen eine größere Bedeutung erfährt.

Mehr Zulauf erhält dagegen noch immer die affektive Homophobie – diese Ablehnung von LGBTI* speist sich vor allem aus Gefühlen wie Angst und Ekel, die gerne mit der Zeit in tiefsitzenden Hass umschlagen. Im weiteren Verlauf kann auch unterbewusst Neid diese Grundeinstellung fördern – beispielsweise auf ein Sexualleben von Homosexuellen, das scheinbar einfacher auszuleben ist als bei gleichaltrigen jüngeren heterosexuellen Männern. Hier spielen auch eigene, unterdrückte queere oder homosexuelle Bedürfnisse mit hinein, die dann aufgrund eines konservativen Wertebildes, geprägt durch das soziale oder familiäre Umfeld, oftmals eruptiv und gewaltsam gegenüber offen lebenden queeren Menschen zum Ausdruck kommt. Während der ersten Variante der Homophobie oftmals weder mit Argumenten noch Logik beizukommen ist, kann die affektive Ablehnung durchaus minimiert werden. Dazu müssen in besonderer Weise natürlich an Bildungseinrichtungen wie aber auch im Alltag vermehrt Räume geschaffen werden, in denen vorurteilsfrei über LGBTI* gesprochen werden kann.
 

© FG Trade

Die dritte Form der Homophobie stellt zugleich die gefährlichste Variante da, da sie scheinbar auf leichten Füßen um die Ecke kommt. Man spricht von der sogenannten modernen Homophobie – diese vereint all jene Menschen in sich, die “nur mal einen Witz“ machen wollten, unbedacht das Wort “schwul“ als abwertenden Definitionsbegriff verwenden oder queerfeindliche Aussagen tätigen, die man “doch noch einmal sagen wird dürfen.“ Im Kampf gegen jene Form von Homophobie geht es nicht darum, Menschen den Mund zu verbieten, sondern vielmehr um eine Bewusstseinswerdung, dass solche Aussagen nicht nur die Betroffenen selbst verletzen können, sondern vor allem den Nährboden im sozialen Umfeld für den Gedanken schaffen, dass queere und homosexuelle Menschen eben doch nicht gleichwertig seien und sie infolgedessen auch nicht gleichwertig behandelt werden müssen. Die Bundesstelle für Antidiskriminierung fasst es so zusammen: „Im Kern geht es darum, dass Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder zugeschriebenen gleichgeschlechtlichen Orientierung als ´unnormal´ angesehen werden und nicht nur als ´ungleich´, sondern als ´ungleichwertig´ betrachtet werden.“

Dieser vergiftete Nährboden ist noch immer weit verbreitet, auch gerne in jenen Familien, die queeren Lebenswelten offen gegenüberstehen, solange nicht ihr eigenes Kind queer ist. Wollen wir ernsthaft die aktuellen Zahlen der LGBTI*-Hassverbrechen reduzieren, sind politische Vorhaben wie der Nationale Aktionsplan gegen LGBTI*-Feindlichkeit sicher sinnvolle Schritte, sie werden aber allein nicht ausreichen. Es bedarf einer Gesinnungsänderung auch im Kleinen, in den eigenen vier Wänden, im Freundes- wie Familienkreis. Aggressionen gegenüber queeren Menschen speisen sich aus Unverständnis, Unwissen und der Angst vor fremden Lebenswelten und entstehen dabei zumeist nicht von einem Tag auf den anderen. Sie sind eine Entwicklung, angefangen oft in frühen Tagen, wenn Kinder das erste Mal hören, dass es in Ordnung ist, sich über die “hässliche Tunte“ oder die “schwule Sau“ lustig zu machen. “Man wird ja noch einmal sagen dürfen“ ist kein Ausdruck von gelebter Demokratie und Freiheit, sondern schafft eine mentale, schleichende Verengung und ist ein langsam wirkendes Gift, das am Ende dazu führt, dass tagtäglich auch weiterhin queere Menschen Opfer von Gewalt werden.     

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