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Heinrich Popow // © vvg

Im Interview Heinrich Popow

vvg - 06.06.2017 - 10:00 Uhr

Heinrich Popow ist ein deutscher Leichtathlet. Der mehrmalige Paralympic-Sieger holte zuletzt in Rio die Goldmedaille im 100 Meter-Sprint. Derzeit tanzt er mit Kathrin Menzinger in der Show "Let's dance".

Heinrich, ärgern dich eigentlich Floskeln, wie die Frage „Wie geht`s?“ Man sagt einem Blinden ja auch nicht „Schauen Sie mal!“
Ah, daran habe ich noch nie gedacht. Als ich mit der Prothese noch Probleme hatte, war ich zu jung, um das Wortspiel zu verstehen. Mittlerweile machen wir uns ja über uns lustig. Dem Armamputierten wird die Prothese versteckt und der Kleinwüchsige wird mit zum Einkaufen genommen, weil die günstigsten Angebote immer unten liegen. Die schwerste Zeit war die Pubertät; diese mit einer Amputation durchzumachen, ist eine extrem lehrreiche Vorbereitung und ein Trainingslager fürs Leben. 

Welche Gedanken kamen dir in den Kopf, als man dich zum Tanz aufforderte?
Der erste Gedanke war: Jetzt haben sie mich auf dem falschen Fuß erwischt. Ich bin immer ein Verfechter von: „Geht nicht - gibt es nicht!“ gewesen. Vor Tänzern habe ich großen Respekt, ich selbst war dazu zu feige. Zugesagt habe ich, um mehr Glaubwürdigkeit zu bekommen und neue Grenzen kennen zu lernen; so wie beim Leistungssport. Die Grenzen erfahre ich aber auf Grund meines Alters und nicht auf Grund der Behinderung. Ich hatte auch damit gerechnet, einer der ersten zu sein, der ausscheidet.

Wie zufrieden warst du mit deiner „Damen-Wahl“?
Um ehrlich zu sein: Am Anfang hatte ich gar keinen Bock auf sie. Wir trafen uns alle zum Kennenlernen. Kathrin kam hektisch und gestresst als letzte dazu. Ich kannte sie nicht. Sie sagte „Hallo“ in die Runde, schaute mich von oben bis unten an und meinte „Könnte passen!“ Ich dachte nur: „Was für eine arrogante Schnepfe. Wenn du der zugeteilt wirst, hast du verloren;  die nimmt dich auseinander.“ Sie machte die erste Choreo für mein Team und das bestand aus Jörg, Faisal und mir. Ich dachte „Prima RTL, jetzt packen sie den Alten, den Fetten und den Behinderten in eine Gruppe und war richtig sauer. Dann hat sie uns trainiert, geführt, einfach phantastisch und absolut professionell. Da habe ich sehr schnell meine Meinung geändert: Kathrin ist das Beste, was mir passieren konnte.

Ihr seid beide mehrfache Welt- und Europameister, ist es das, warum ihr so gut zusammen agiert?
Das ist vor allem Kathrins Persönlichkeit. Ich habe einen Riesenrespekt davor, was sie kann und macht. Sie ist mein Antrieb. Ich merke, es wird mit jedem Tanz schwieriger und merke oft meine Grenzen. Kathrin hat Verständnis, sie bringt mich über meine Grenzen hinweg. Sie ist so wahnsinnig kreativ, dass sie für jedes Problem beim Tanz eine Lösung findet und mich perfekt in Szene setzt.

Im Alter, wo andere Kinder draußen rumtollen, hat dir das Schicksal ein Bein gestellt. Wie hast du das alles verarbeitet?
Als Neunjähriger fehlt dir das Verständnis für eine Erkrankung. Das größte Problem war, dass ich draußen mit den Jungs kein Fußball spielen konnte. Diese Zeit war für meine Eltern wesentlich schlimmer. Sie wussten genau, was mit mir los war; was auf mich und auf sie zukam. Kinder haben anders und brutal reagiert, sie hatten Berührungsängste. Mädchen wollen so eine Prothese gar nicht sehen, für Jungens hat es etwas von Transformer, Cyborg und Legotechnik. Die fragen, ob man das auseinander bauen kann. Es gab Jungens, die zu mir gehalten haben und das waren meine Freunde.

Dein Leitspruch war: „Immer etwas mehr als andere“.
Ich habe danach gelebt, aber das nie ausgesprochen. Durch meine Prothese, strengt mich eine Stunde Laufen kreislaufmäßig so an, wie ein 3 - 4 Stunden Lauf für Gesunde. Durch mein Training habe ich das kompensiert, aber ich muss immer mehr machen, als andere, um die Leistung zu halten.

Hast du früher Diskriminierungen erfahren?
Das Schlimmste war, bei Mannschaftsbildung immer als letzter gewählt zu werden. Welcher Junge will das schon? Als jetzt bei Let`s Dance zwei Teams gewählt wurden, spöttelte Faisal „Hoffentlich werde ich vor dem Behinderten gewählt!“  Das war Spaß, denn wir verstehen uns großartig. Als Kind war ich immer der letzte. Irgendwann hat sich das gedreht, weil ich ein guter Torwart war und weil meine Gegenspieler Angst hatten, mich anzugreifen, weil sie sich an der Prothese weh taten. Ich wollte ja unbedingt Fußballer werden. Ich habe im Tor angefangen, mittlerweile bin ich Flügelflitzer.

Da werden wir dich gleich mal zum Come Together Cup vermitteln.
Aber nur, wenn ich da aktiv mitspielen darf. Die werden sich wundern; ich laufe schneller als mancher auf zwei Beinen.

Lambi sagt, dass er deine Prothese gar nicht mehr wahrnimmt, vergleicht dich aber ständig mit den anderen …
Ich finde Lambi extrem respektvoll. Er macht seine Sache gut und er hat Recht. Was er sagt, ist gut verpackt. Ich habe kein Problem mit seiner Kritik; ich bin ihm sogar dankbar, dass er mich so sieht, wie alle anderen. Er sagte mir: „Heinrich, du bist Sportler!“ und damit hat er mich gehabt. Ich bin Sportler und will auch nicht im Weitsprung oder 100-Meter-Lauf gewinnen. Wenn er mir sagt, das und das funktioniert so nicht, du musst das anders angehen, dann ist das okay. Nichtsdestotrotz entscheidet letztendlich der Zuschauer, wer weiterkommt und wer gehen muss.

In der 7. Liveshow hast du zu „Against all odds“ mit deinem Walzer und deinem Kniefall (gemeint ist der Heiratsantrag) einen Sturm im  Internet ausgelöst. Möchtest du den Sturm entkräften?
Zu 1000% kann ich das entkräften. Wir sind so gleich, wenn wir privat irgend etwas miteinander hätten, glaube ich, würden wir uns umbringen. Alle Emotionen, die ich zeigen kann, ist die Dankbarkeit Kathrin gegenüber. Wir könnten nicht so professionell miteinander tanzen, wenn da etwas zwischen uns wäre.

 

Heinrich Popow // © vvg

Wir haben uns gestern verpartnert; wie lebst du?
Ich bin noch zu haben, sozusagen Freiwild.  Ich habe oft versucht, ein Beziehung einzugehen, aber die Verantwortung, die das mit sich bringt, habe ich nie erfüllen können. Ich lebe für den Leistungssport; war ständig auf Reisen, im Trainingslager, im Ausland. Private Probleme haben sich immer auf meine sportliche Leistung ausgewirkt, deswegen bin ich ungebunden geblieben. Den Leistungssport kann ich noch einige Zeit machen, wenn das vorbei ist, schauen wir mal.

Mich wundert ja, dass man dich da nicht auch noch als schwulen Mann bezeichnet, schließlich hast du Comedian Faisal auf den Mund geküsst.
Wahre Liebe gibt es eben nur unter Männern . Mit Faisal verstehe ich mich seit dem ersten Aufeinandertreffen bombastisch. Wir haben von Anfang an unsere Witze gemacht. Er fragte mich, was mit mir kaputt ist und ich hab direkt mit ein paar Dicken-Witzen geantwortet. Zwischen uns gibt es keine Hemmschwellen im Umgang miteinander. Wir haben bei Let`s Dance eine schöne, aber keine einfache Zeit. Da braucht man auch mal einen Gesprächspartner, der kein Profitänzer ist. Unser Kuss war nur kurz, da waren mir zuviel Haare im Gesicht.

Hast du Kontakt zur schwul-lesbischen Szene?
Bisher hatte ich keinen Kontakt, der entsteht jetzt durch Let`s Dance. Ich trainiere im Zeughaus24 und die Inhaber Hartmut und Mark sind mir echt wichtige Freunde geworden. Sie haben mich so empfangen, dass ich mich sofort zu Hause gefühlt habe. Ich habe durch meine persönlichen Erfahrungen gelernt, dass ich Menschen kennen lernen und sie nicht in Schubladen stecken will. Mir ist es egal, ob einer grün, blau oder schwarz ist. Ich respektiere jeden; ich will ja auch respektiert werden. Ich finde Vorurteile sind das besch..., was es gibt, weil ich selber darunter gelitten habe.

Kathrin und Vadim haben in der 6. Liveshow den Tanz „I am a refugee“ vorgeführt, mit dem sie Anfang April Weltmeister in der Kategorie „Showdance Latein“ wurden. Der war so emotional, dass viele Tränen in den Augen hatten. Wann hast du zuletzt geweint?
Ich versuche schon, manchmal auf coole Socke zu machen, aber selbstverständlich kann ich auch weinen. Wenn ich mir weh tu, weine ich nicht, nur wenn ich emotional gerührt bin. Zum letzten Mal geweint habe ich in Rio auf dem Siegerpodest, als die Nationalhymne gespielt wurde.

Zurück zum Tanz „I am a refugee“. Hast du dich irgendwann selbst als Refugee gefühlt?
Meine Vorfahren kamen aus Deutschland nach Russland. Da wurde ich oft mit der Aussage „Faschist“ verprügelt. Zurück im Land unserer Vorfahren war ich hier der „Scheiss-Russe“. Ich hab mich damals oft gefragt, wo ich eigentlich hingehöre. Durch diese Erfahrungen, bin ich so, wie ich bin. Das Leben hat mich eine tolerante Einstellung gelehrt. Ich würde im Leben alles noch einmal genauso machen und selbst auf die Amputation nicht verzichten. Ich wäre heute nicht der, der ich bin. Ich empfinde mein Leben als Leistungssportler als sehr angenehm.

Ihr probt gerade den Contemporary. Wenn du damit nicht nur wackelst, sondern ausscheidest, was bliebe als Resümee und im Herzen?
Zum Glück musste ich dann keinen Jive und keinen Quickstep tanzen . Nein, ich habe vor jedem Tanz Respekt gehabt. Das Resümee ist: Seit der zweiten Show, ist für mich jede Show ein Finale. Ich kann nicht mehr ausscheiden, ohne stolz auf mich zu sein. Ich bin ein Fan vom Tanzsport geworden, habe neue und tolle Menschen kennen gelernt. Kathrin Menziger, Hartmut, bei dem wir geprobt haben, das ganze Team von Let’s Dance war wunderbar. Und ich habe eine neue Herausforderung angenommen und weiß jetzt, dass ich auch das kann. Ich dachte ich hätte schon alles erreicht, hatte aber durch den Leistungssport meinen Horizont eingeschränkt. Tanzen hat mich total geflasht und aufgezeigt, da gibt es noch viele andere Wege, die man gehen kann.

Giovanni Zarrella tanzte zuerst mit Christina Luft, bis die sich den Fuß brach. Meistens leidet das Sprunggelenk, wie ist das bei dir: kann da die Sprung-Feder brechen?
Das ist gerade heute bei den Proben passiert, da ist mir der Fuß der Prothese gebrochen. Es hat alles gehalten und gerade beim Disco-Fox bricht mir die Carbonfeder. Die Carbonfaserschichten sind auseinander gesprungen - delaminiert, da wird die Feder so weich, dass man sie nicht mehr benutzen kann. Ich habe aber immer eine Ersatzprothese dabei.

Hast du Angst, du könntest dir wie Christina bei einer ungeschickten Bewegung auch dein gesunde Bein verletzen?
Ich habe mir vor kurzem böse weh getan, das sah zuerst schlimmer aus, als es dann war. Die Angst meine Mutter um mich ist da wesentlich größer. Aber es leidet nicht nur der Fuß, die Hüfte tut weh, die Schulter schmerzt und musste getaped werden. Tanzen ist kein „Pussy-Sport“ und schon gar nicht, wenn man mit Kathrin tanzen muss.

 „Auf einem Bein kann man nicht stehen“ – was kommt nach dem Sport und dem Tanz?
Ich habe schon mehr als zwei Standbeine. Ich baue Prothesen, berate den Weltmarktführer in der Prothesentechnik, ich reise durch die Welt und lerne Menschen das Laufen. Ich mache soziale Sachen in Kooperation mit der Industrie, so dass ich davon leben kann. Nichtsdestotrotz möchte ich die Medienwelt nutzen, die Denkweise der Menschen zu verändern. Ich möchte Menschen dazubringen, wie kleine Kinder zu denken; sobald sie auf Menschen treffen, die nicht der Norm entsprechen. Dafür bin ich Let`s Dance sehr, sehr dankbar.

Hat „Ewige Helden“ oder der „Dschungel“? schon angefragt
Ewige Helden würde ich gerne machen. Davor habe ich Respekt, das ist Seelenstriptease, den die Sportler da hin legen. Endlich mal ein Format im deutschen TV, wo man zeigt, was hinter der Sportarena passiert. Ich mache aber nichts, wo man vorgeführt wird: „Dschungel geht gar nicht! Das bisschen Eigenwürde habe ich noch, da schneide ich mir vorher die Pulsadern auf.“ Der Spruch stammt übrigens von Faisal.

Heinrich wir freuen uns auf den CTC mit dir, wünschen dir viel Erfolg mit Kathrin und bitten dich: Gib Faisal noch einen Kuss. 
Aber nur, wenn er den Bart abmacht, so ist es mir zu buschig.


Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Heinrich Popow im Mai 2017 geführt.

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