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Julian W. Lucas // © Archiv

Im Interview Fitnessmodel Julian W. Lucas

id - 05.08.2019 - 07:00 Uhr

Ich hatte lange Zeit große Mühe, mich selbst als inspirierend oder als Vorbild zu sehen.

Julian W. Lucas ist 30 Jahre als und lebt in Philadelphia. Er hat als Fitnessmodel bei Instagram über 74.000 Follower, was erst einmal nichts Besonderes zu sein scheint. Wenn man sich aber seine persönliche Geschichte genauer anschaut, wirft es gleich einen ganz anderen Blickwinkel auf ihn. Julian W. Lucas hat nämlich ein Handicap, nämlich nur einen Arm. Das dieses aber kein Hindernis sein muss, um seine Ziele zu erreichen, erläuterte er uns in einem Interview.

Wie würdest du dich selber beschreiben? Bist du eher ein Model oder ein Fitness-Influencer? Oder würdest du eine ganz andere Beschreibung wählen?
Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, mich für eine Sache zu entscheiden. Ich mache traditionelles Modelling, dann aber auch eher in Richtung als Fitness-Modell. Ich habe eine große Anhängerschaft auf meinem Account @julianwlucas bei Instagram, bin Schauspieler, Komiker und Aktivist. Meine Interessen sind also ziemlich weit gestreut, dass ich mich nie nur auf eine Sache konzentrieren kann!

Die meisten Leute werden dich wahrscheinlich zuerst als begeisterten Sportler wahrnehmen. Das Besondere an dir dabei ist natürlich, dass du mit deiner Behinderung sehr offen umgehst. Wie sind die Reaktionen darauf?
Ich denke, dass die Leute immer noch etwas nervös und unbeholfen sind, wenn sie über meinen Arm sprechen. Die Leute wissen oft nicht, wie sie sich in der Unterhaltung zurechtfinden sollen, oder sie übertreiben es einfach und fühlen sich unwohl. Wie die meisten Dinge muss es ein Gleichgewicht geben. Ich weiß, dass die meisten Menschen, mit denen ich mich treffe und mit denen ich interagiere, kaum Erfahrung mit Menschen mit Behinderungen oder mit jemandem mit einem Arm haben. Und ich habe das Gefühl, dass ich, nachdem ich Menschen getroffen habe, einen wichtigen Beitrag dazu geleistet habe, ihre Wahrnehmung davon zu ändern, wie Menschen sind und was sie selbst mit einer Behinderung erreichen können.

Siehst du dich selbst vielleicht als Vorbild für andere Menschen mit Behinderungen, die einfach an ihren persönlichen Traum glauben?
Ich hatte lange Zeit große Mühe, mich selbst als inspirierend oder als Vorbild zu sehen. Ich wollte wirklich nur ein durchschnittlicher „Joe“ sein. Aber es wurde mir völlig klar, dass das für mich niemals eine Option sein würde. Menschen zu helfen war mir schon immer sehr wichtig. Es hat also Sinn gemacht, dass ich die Tatsache, dass ich ein Vorbild und Inspirationsquelle für so viele Menschen bin, wirklich anerkenne. Ich erhalte endlose E-Mails und Nachrichten in sozialen Medien von Menschen, die mir erzählen, wie sehr ich ihnen helfe, wie ich ihr Leben verändert oder gerettet habe. Es ist wirklich außergewöhnlich und etwas, das ich nicht leicht nehme. Die Tatsache, dass ich in der Lage bin, so vielen Menschen zu helfen, ist wirklich etwas, wofür ich unglaublich dankbar bin und was mich mit Demut erfüllt. Es ist zudem aber auch sehr motivierend. Die Tatsache, dass ich ein Vorbild für die Menschen bin, drängt mich wirklich dazu, die beste Version von mir selbst zu sein und mehr zu erreichen.

Neben dem Fitnessstudio hast du bereits als Model gearbeitet, unter anderem für Tommy Hilfiger. Wie fühlst du dich in der Modewelt - sie ist schließlich hauptsächlich auf perfekte Körper ausgerichtet?
Ich denke, es gibt mittlerweile definitiv eine Tendenz zur Vielfalt in Bezug auf Mode. Es fühlt sich so an, als ob sie nun auch versuchen, sich nicht nur auf sogenannte „perfekte Körper“ zu konzentrieren. Und ich denke, die breite Öffentlichkeit ist heutzutage wirklich dagegen. Mode- und Beauty-Trends ändern sich ständig. Früher wollten Mädchen, dass ihr Po so klein wie möglich ist. Jetzt bekommen Mädchen Injektionen für den Hintern! Aber in Bezug auf körperliche Behinderungen haben wir noch einen weiten Weg vor uns, und ich hoffe wirklich, dass ich dazu beitragen kann, dies zu ändern.

Auch einen Ausflug in die Welt der Musik hast du schon hinter sich. Du bist einer der Darsteller im Video zum Song "Rescue Me" von 30 Seconds to Mars. Wie war diese Erfahrung? Immerhin hat das Lied ja auch eine deutliche Botschaft.
Das war eine unglaubliche Erfahrung. Sie hielten wirklich alles geheim, so dass ich ursprünglich keine Ahnung hatte, was ich überhaupt drehte, bis ich dort ankam. Es wurde in diesem fantastischen Herrenhaus in Hollywood gedreht. Alles ging so schnell, weil sie mir nie das Call Sheet geschickt haben, also war ich der letzte, der am Tag gedreht hat und musste mich beeilen, um zum Set zu gelangen. Ich habe buchstäblich Papiere unterschrieben, mich umgezogen und gleichzeitig wurden mir Haare gemacht und das Makeup! Es war aufregend, eine Menge großartiger Energie. Ich habe dabei mit Mark Romanek gearbeitet, der die meisten Grammys für das beste Musikvideo hat. Er hat schon Videos für Taylor Swift, Beyonce, Jay-Z, Madonna und viele mehr gedreht. Es war wirklich aufregend, mit solch einem versierten und talentierten Regisseur zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig ist es aber auch ein wenig beängstigend und einschüchternd! Ich war ziemlich nervös, aber alles ging so schnell, dass ich nie wirklich eine Sekunde zum Nachdenken hatte. Ich bin so dankbar, Teil eines so bedeutungsvollen Songs einer so großartigen Band zu sein.

Hast du die Band oder Jared Leto während des Shootings persönlich getroffen?
Leider nein, da es einen Fehler gab, so dass ich nie das Call Sheet bekommen habe. Ich war also der Letzte, der aufgenommen wurden und die anderen waren leider alle schon weg.

Du bezeichnest dich selbst als bisexuell. Wie ist es für dich, sich in der manchmal doch recht oberflächlichen LGBTI*-Community zu bewegen? Einerseits hast du einen sehenswerten, sportlichen Körper, aber man kann sich vorstellen, dass die Behinderung oft eine Hemmschwelle darstellt.
Ja, diese Oberflächlichkeit kann manchmal ziemlich einschüchternd sein. Ich habe leider sogar schon selber einiges an Mobbing und Diskriminierung erlebt. Aber ich muss sagen, dass die Community insgesamt wirklich eher positiv gestimmt war. Es scheint ein größeres Gefühl der Offenheit zu geben, was wirklich großartig war. Es gibt am Ende doch ein größeres Gefühl der Verbundenheit und des Mitgefühls bei LGBTI*, dass es mir ermöglicht hat, wirklich selbstbewusster zu werden und mich selbst zu akzeptieren. Ich verdanke der LGBTI*-Community wirklich viel.

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Es drängt sich aber dennoch unweigerlich diese eine Frage auf: Hat deine Behinderung irgendeinen einen Einfluss auf dein Dating-Verhalten?
Auf jeden Fall! Ich weiß, dass es ein absoluter so genannter „Deal Breaker“ für einige Leute ist, nur einen Arm zu haben. Dass mir nicht einmal eine Chance gegeben wird. Als ich 12 Jahre alt war, wurde mir gesagt, dass alle Mädchen sagten: "Ich wäre so heiß, wenn ich nicht nur einen Arm hätte." Und auf der anderen Seite gibt es einige Leute, die mich fetischisieren und hauptsächlich mit mir zusammen sein wollen - gerade wegen meines fehlenden Armes. Und sie konzentrieren sich leider zu sehr nur darauf. Letztendlich ist es für die engsten Leute in meinem Leben und die, mit denen ich mich verabrede, in der Regel nicht wirklich ein Thema oder ein anderer Faktor, als die Verabredung mit jemandem mit blonden oder braunen Haaren. Es ist nur eine Frage der physischen Erscheinung und nicht der Identität. Ich kämpfte wirklich eine Weile mit Datings. Ich war sehr unsicher und versteckte oft, dass ich nur einen Arm habe. Meine Hoffnung wäre, dass sie anfangen würden, mich zu mögen, wenn ich "die Nachrichten bringe". Aber das ist eine so angstbasierte Vorgehensweise. Und ich bin so dankbar, dass ich nicht mehr so lebe. Dass ich mich voll und ganz umarme und nicht mehr vor dem davonlaufe, wer ich bin.

Was sind deine persönlichen Tipps für Menschen, die sich noch nicht für Menschen mit Behinderungen interessieren?
Dass ich es verstehe. Das tue ich wirklich. Ich beschuldige niemanden, wenn er zögert oder abgetörnt ist. Aber ich würde die Leute ermutigen, einfach nicht so viel dagegen zu unternehmen. Offen und mitfühlend sein. Und wenn es am Ende nichts für dich ist, dann ist es nichts für dich. Aber ich kann zuversichtlich sagen, dass all meine engen Freunde, Familienmitglieder und Menschen, mit denen ich ausgehe, das Thema Arm oder kein Arm wirklich keine Rolle mehr in meiner Beziehung zu ihnen spielt und dass sie irgendwann an dem Punkt sind, an den sie oft gar nicht mehr darüber nachdenken oder sich daran erinnern.

Ist es dir ein Anliegen, irgendwie Fitness, Behinderung und die ganze Vielfalt zu vereinen und gut rüber zu bringen? Schließlich bist du ein gutes Vorbild, wenn du sagst: "Schaut her, ihr könnt fast alles erreichen, wenn ihr es nur wollt."
Ich hoffe wirklich, dass ich bei all dem an vorderster Front stehen kann. Ich möchte wirklich eine Rolle dabei spielen, wie unsere Gesellschaft Menschen mit Behinderungen betrachtet. Ich bin einer der wenigen einarmigen Personen in den Mainstream-Medien. Und ich hoffe wirklich, dass ich mehr Veränderungen anregen kann, so dass ich eines Tages einer von vielen sein werde. Dass Behinderung, Rasse und Sexualität wirklich zu einem Nicht-Faktor werden und dass wir Menschen uns wirklich einfach nur als menschlich sehen können.

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