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Die Sorellas // © vvg

Im Interview Die Sorellas

vvg - 03.10.2014 - 09:00 Uhr

Die Sorellas sind Deutschlands attraktivstes Künstlerpaar auf internationalen Bühnen. In schwindelerregender Höhe am Trapez stockt einem der Atem, wenn man ihnen zuschaut.

Im wahrsten Sinne des Wortes: wo „hängt“ ihr momentan rum?
Wir sind nachdem wir 2007 den Circus Roncalli verlassen haben, hauptsächlich im Ausland aufgetreten. Wir haben in der Schweiz, in Dänemark, Finnland, Schweden, Frankreich, Spanien und in Russland gearbeitet. Jetzt kommen wir gerade aus Monte Carlo zurück und freuen uns, bis Ende des Jahres wieder mal in Deutschland auftreten zu dürfen.

In Monte Carlo habt ihr eine ganz besondere Auszeichnung erhalten: das Herz von Shirley Bassey …
Oh ja, sie kam in die Show rein und der erste Small-Talk ergab sich sofort, weil sie Rodriguez Hund so toll fand. Nach der Show war sie dann von unserem Auftritt begeistert und wollte uns unbedingt in den Arm nehmen. Unser Opening wird mit einem alten eigentlich unbekannten Shirley Bassey Lied untermalt, worüber sie sich sehr gefreut hat. Sie ist zauberhaft und sie sieht fantastisch aus. Ihr Besuch war ein echtes Highlight.

Ihr habt 2009 in Monte Carlo den „Bronzenen Clown“ erhalten. Konntet ihr denn dort auch, wo angeblich der größte Circus im Fürstenhaus stattfindet, das Herz von Fürst Albert erobern?
Er war (mit seinen Bodyguards) in der Show; wir finden die komplette Fürstenfamilie ist viel bodenständiger, als man denkt. Wir sind aber die totalen Fans von Prinzessin Stephanie; die sich im übrigen sehr für die Aids-Hilfe engagiert. Sie hat die Circus-Dinner-Show ins Leben gerufen und sie war es auch, die uns unbedingt dabei haben wollte. Wir haben sie jeden Tag erlebt und wir finden sie großartig.

Wo habt ihr euch eigentlich kennen gelernt und wie kam es zu eurem Namen?
Wir haben uns vor 21 Jahren in einer Artistenschule in Berlin kennen gelernt und seit 14 Jahren arbeiten wir zusammen. Der Name stammt von unseren italienischen Arbeitskollegen und bedeutet im italienischen so viel wie Schwestern. Das ist auf jeden Fall auch doppeldeutig. In Deutschland kannte man damals die Bedeutung nicht, aber wenn man uns in Frankreich oder Italien ankündigte, haben die Zuschauer im ersten Moment immer etwas anderes erwartet.

Ihr habt 2010 den “Gold Award” und 2011 den “President Award” in Russland erhalten. Wie habt ihr als „Schwestern“ das Land erlebt, in dem man heute nicht mal das Wort „Homosexualität“ aussprechen darf?
Christoph: Wir waren in Russland, als das Propagandagesetz noch nicht veröffentlicht war. Wir haben aber in der Szene von St. Petersburg gemerkt, dass es dort gefährlich ist. Der schwule Club hatte eingeschlagene Fensterscheiben und vor der Tür stand die Security. Als das Gesetz herauskam, hieß das dann so viel wie „ Die Jagd auf Schwule ist eröffnet“. Ich würde nicht mehr hingehen.

Rodriguez: Meine persönliche Erfahrung war anders, als das, was man aus den Medien kennt. Wir wurden als schwule Künstler immer herzlich und offen empfangen. Und geliebt, was ja konträr zu dem steht, was man hier lesen kann. Wir haben immer russische und ukrainische Kollegen, mit denen es nie Berührungsängste gab. Was uns aber auffällt: dass es keine Aufklärung gab. Die Leute kennen das nicht und stehen in der westlichen Welt zum ersten Mal vor schwulen Männern. Die haben kein Bild von seinem Schwulen. Und wenn, dann ist es negativ besetzt: tuntig, feminin und pädophil. Wir erleben andere Themen: In Monte Carlo hatten wir ukrainische Akrobatinnen in der Show und im Publikum saßen russische Millionäre; da spürte man eine ganz verrückte Situation. Und ein ukrainischer junger Tänzer hatte Panik, dass er, wenn er im Westen keinen neuen Job bekäme, sofort in die dortige Armee und in den Krieg eingezogen würde. Wir hoffen, dass er in Frankreich seinen Job behalten kann.

77 Länder auf diesem Globus sind homophob, hattet ihr jemals Probleme?
Homophobie findet man überall, selbst in Deutschland. Und das wird immer stärker, was wir beängstigend finden. Wir haben das Glück, dass wir uns aussuchen können, wo wir auftreten werden. Wir wollen mit der schwulen Presse und den Aids-Hilfen zusammen arbeiten und Benefiz-Geschichten machen; dass wollen wir uns von keinem Arbeitgeber verbieten lassen. Von daher wird das Thema Homosexualität immer ehrlich angesprochen. Das einzige, wo es gescheitert ist und wir deshalb den Job nicht angenommen haben, war Amerika.

Als ihr im Mai 2000 angefangen habt, warf man euch oft vor, eure Nummer sei zu schwul? Wie sehen die Kritiker das heute?
Unsere Nummer wir international immer gut gebucht und man sieht in unserem Auftritt einen Top-Act. Da spielt die Homosexualität zum Glück tatsächlich keine Rolle mehr. Das ist uninteressant geworden.

Viele Jungs in eurem Alter „haben Rücken“…
wir haben beide schwer Rücken und mussten sogar mal eine kurze Zeit pausieren, weil die Bandscheibe das verlangte. Wir machen das jetzt so wie die Profisportler und haben ein Team aus einem Physiotherapeuten und einem Sportarzt, die uns betreuen, pflegen und auf uns ein Trainingsprogramm zugeschnitten haben. So können wir unsere Körper pflegen und trotzdem Leistung erbringen. Wir machen fast 500 Shows im Jahr. Vor 10 Jahren hieß die Frage „Bekommen wir Arbeit?“. Heute, wo wir gar nicht so viel arbeiten können, wie Angebote vorliegen, heißt die Frage „Halten unsere Körper?“. Wir hatten oft vor, ein Mal im Jahr vier Wochen zu pausieren, was aber nie geklappt hat; dazu werden wir jetzt gezwungen. Wir sind aber heute ruhiger geworden und achten sehr darauf, dass wir uns bewusst ernähren und genug Schlaf haben. Wenn das klappt, können wir laut Arzt mit der Wirbelsäulenpflege noch ein paar Jährchen auftreten. Wir brauchen einfach einen freien Tag in der Woche und wir müssen lernen, auch einmal „Nein!“ sagen zu können. Das ist das Schwierigste.

Ihr hängt als „Fänger und Flieger“ zwischen Himmel und Erde. Wenn man sagt, der hängt an dem, hat das oft mit Liebe zu tun.
Wir sind kein Paar. Wir waren nie eins. Wir werden auch nie ein Paar sein. Und leben trotzdem in einem eheähnlichen Verhältnis. Das kommt weil wir seit langem eine gute Freundschaft und einen riesengroßes Vertrauen zueinander haben, dass wir bei unserer Arbeit brauchen. Außerdem sind wir beide in festen Händen.

Macht da ein eifersüchtiger Lover keinen Zirkus?
Nein, unsere Freunde haben uns ja in dieser Situation kennen gelernt: mit diesem Arbeitspartner, dem Arbeitspensum und dem ständigen Unterwegssein. Gerade jetzt, wo wir durch Deutschland touren, sind wir an unseren freien Tagen auch bei unseren Männern. Witzig ist nur, dass wir monatelang durch die Welt touren und wenn jeder von uns dann bei seinem Mann ist, trennen uns lediglich nur 30 km voneinander.

Euch schmachten nicht nur die Frauen an, gibt es schon männliche Groupies?
Wir haben schon E-Mail Angebote zu Dates mit dem Zusatz „egal, welcher von euch beiden“ erhalten. Darauf reagieren wir erst gar nicht. Wir sind ja in unseren Beziehungen glücklich und müssen uns nicht über unsere Arbeit irgendwelche Typen suchen.

 

Die Sorellas // © vvg

Euren Job kann keiner machen, der Höhenangst hat – wovor habt ihr Ängste?
Rodrigue: Persönlich steht da immer das Thema Gesundheit an erster Stelle. Aber es gibt auch eine andere Angst: wir sind international überall und haben aus allen Teilen der Welt Kollegen/Innen. Diese „Kriegs-Situation“ war in den letzten 15 Jahren noch nie so nah wie sie momentan ist; das macht tatsächlich schon Angst.

Christoph: Und ich frage mich manchmal, ob es wirklich stimmt, was man im Internet immer wieder lesen kann: dass die Gewalt in Deutschland gegenüber Lesben, Gay, Bisexuellen, Transgendern etc. (das Wort wird ja auch immer länger) zunimmt – Das finde ich extrem beängstigend.

Gab es mal ein Malheur oder etwas ungewollt Lustiges?
Christoph: Alle paar Monate stolpere ich mal und falle ich hin. Aber immer nur wenn ich festen Boden unter den Füßen habe. Auf dem Boden bin ich nicht so sicher, wie in der Luft.

Das geht Larissa Marolt ja auch so. Wann gehen Trapez-Künstler mal in die Luft?
Bei fehlender Professionalität. Wenn die Leute ihre Arbeit nicht so ernst nehmen wie wir, anfangen zu schludern, und nicht registrieren, dass wir durch die Fehler unser Leben riskieren. Wir sprechen die Probleme direkt in einem etwas lauteren Ton an und die Fehler passieren danach nicht noch einmal.

Wenn man euere Show sieht, stockt einem der Atem – wann seid ihr „Atemlos“?
Nach der Nummer.

Gute Überleitung: Erinnert ihr euch an euere 1. Nummer, also an das „Erste Mal“?
Christoph war 15 und es geschah mit einem 11 Jahre älteren Trapezkünstler beim Circus. Und bei Rodriguez war es zu früh und zu profan, um darüber zu sprechen.

Wie war das mit dem Outing?
Christoph hat sich mit ca. 15 geoutet, da waren die Reaktionen durchweg positiv. Geahnt hat das sowieso schon jeder und weil er so offen damit umging, hat er allen den Wind aus den Segeln genommen. Rodriguez ließ sich länger damit Zeit. Auf der Artistenschule konnte er noch nicht so offen damit umgehen, aber der Kreis derer, die es dann erfuhren, wurde immer größer. Er hatte ja Christoph als guten schwulen Freund. Als wir dann mit unserer Trapeznummer anfingen, wollte Christoph von Anfang an keine Geheimniskrämerei daraus machen. Sein Motto war „Entweder sie buchen uns, oder sie lassen es sein.“ Wir sind danach ja auch sehr aggressiv damit umgegangen und haben hier und da mal etwas mehr mit dem A.. gewackelt, als es nötig gewesen wäre. Das war anfangs nicht immer einfach, aber heute absolut kein Thema mehr. Die jungen Leute von heute wissen ja überhaupt nicht, dass das früher alles sehr heikel war.

Ihr arbeitet ohne Netz und doppelten Boden – wie sieht es im sexuellen Bereich aus?
Das ist ja eine Unverschämtheit, das zu vergleichen.  Wir sind extreme Safer-Sex-Verteidiger. Safer Sex ist das Allerwichtigste, was es gibt. Wir sind mit der Werbung für Safer Sex groß geworden und haben noch die ersten an Aids Verstorbenen erlebt. Wir haben regelmäßig Diskussionen mit meist heterosexuellen Kollegen, die uns berichten, dass sie die oder die ohne Gummi gebumst haben. Die raffen das irgendwie nicht. Jeder 18-jährige, der uns da falsch kommt, muss sich einen stündlichen Text anhören. Und wir werden nicht müde, den gebetsmühlenartig runter zu leiern. Wir waren im Leben viel unterwegs, haben viel Sex gehabt und viel erlebt. Wir wären aber heute nicht so gesund, wenn wir uns nicht an Safer Sex gehalten hätten. Was total stört ist diese Diskussion, das der unsafe Sex immer noch das Non-Plus-Ultra ist. Das schwule Paar ist angeblich nur glücklich, wenn es unsafen Sex haben kann. Da sind wir anderer Meinung, nämlich, dass man sich von so einer Meinung verabschieden muss. Wir sind schwule Männer, es gibt diese Krankheit – und es gibt ja außer HIV noch andere ansteckende Krankheiten. Wir können und wir müssen uns davor schützen. Und wir sind sogar in der Pflicht, der jungen Generation das mit auf den Weg zu geben und auch vorzuleben. Wie sonst sollen die das glauben?

Letzte Frage: Ihr habt Gütersloh und Göttingen gerade hinter euch und seid vom 09. Sept. 2014 bis 04. Jan. 2015 mit dem Circus Roncalli noch in Paderborn, Celle, Aschaffenburg, Wolfsburg, Hildesheim, Hameln und Osnabrück ...
was wir sehr lieben. Es macht so viel Spaß, mal wieder innerhalb Deutschlands unterwegs zu sein. Und man vergisst immer sehr schnell, das auch Deutschland einfach ein tolles Land ist.

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Die Sorellas im September 2014 geführt.

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