Hamburger Entertainer Jan Delay Ist das neurotisch, wenn man sein Privatleben versteckt? Als Hamburger ist das doch normal
Der Hamburger Entertainer Jan Delay (45) über seinen Rückzug aus Berlin, sein Aufwachsen als Sohn linker Eltern, Künstliche Intelligenz, die Isolation in der Gesellschaft, Elektro-Autos, Rap als Sport und die Feelgood-Musik seiner neuen Platte.
Fünf Jahre nach dem geglückten Comeback der Hamburger HipHop-Band Beginner veröffentlicht „Chefstyler“ Jan Delay (eigentlich Jan Philipp Eißfeldt) sein fünftes Soloalbum „Earth, Wind & Feiern“. Mit einem Dutzend Songs voller Bass, Bumms und positiven Vibes und Gästen wie Lary, Marteria, Summer Cem sowie Beginner-Kollege Denyo stellt er sich den finsteren Zeiten entgegen. Auch wenn das Gespräch in einem Corona-bedingt verwaisten Hotel mitten in Hamburg stattfindet: Delay ist bestens aufgelegt, als er von seinem Wieder-Wohnort Hamburg, seinem Heranwachsen im kreativen Elternhaus, Vaterfreuden und ganz normalem Ehekrach erzählt.
Herr Delay, Sie sind von Berlin zurück nach Hamburg gezogen. Wie kommt’s?
Das war immer mein Masterplan. Seit der Geburt meiner Tochter habe ich versucht, an den wichtigen Rädchen zu drehen. Wir waren jeden Sommer zwei, drei Monate in Hamburg. Für meine Frau und meine Tochter ist es gewohntes Terrain. Oma und Opa sind hier, und jedes Jahr hieß es am Ende des Sommers: „Schade, dass wir wieder zurückmüssen.“ Meine Reaktion darauf war immer: „Ja, dann lass uns doch bitte hierbleiben.“ Aber wie das so ist, dann ist man wieder Zuhause in Berlin, die Kita geht los und es heißt: „Ach nö, lass noch mal warten.“ So war das jedes Jahr.
Wie haben Sie’s doch noch hingekriegt?
Die Einschulung stand an. Aber die Schulen in Berlin sind scheiße. Das ist wirklich so, auch wenn wir mitten in der Kinder-Bubble am Prenzlauer Berg/ Kollwitz-Kiez wohnten. Du hast die Wahl zwischen Pest und Cholera, es ist kein Vergleich zu Hamburg. Wir haben uns das auch genauer angeguckt. Bei mir in Ottensen gibt es super Schulen. Die Traumschule meiner Frau ist genau gegenüber von meinem Studio. Als wir dort auch noch einen Platz kriegten, war die Sache klar: Sofort Koffer packen!
Mitten im Lockdown?
Klar. Ich konnte ja nicht abschätzen, was mit Corona noch auf uns zu kommen würde. Ich wusste nur: Wenn irgendeine Scheiße passiert, dann will ich in Hamburg sein, da wo die guten Ärzte und Krankenhäuser sind. Den ganzen Sommer waren wir auf dem Land bei meinen Eltern. Da lässt es sich in der Pandemie aushalten. Wenn alles, was die Stadt zu bieten hat, nicht mehr da ist, ist es auf einmal auf dem Land echt geiler.
Weinen Sie Berlin eine Träne nach?
Keine einzige. Ich war vor ein paar Wochen das erste Mal wieder da, bin nur rein und wieder raus und nicht mal in unsere Wohnung gegangen, die wir dort immer noch haben. Und das, obwohl ich nur 100 Meter von meiner Hood zu tun hatte. Das war ein komisches Gefühl. Es war jetzt keine Träne, aber wieder im Hood zu sein, hatte auch sein Schönes, das muss ich zugegeben. Aber ich habe das alles hier in Hamburg so vermisst, und ich genieße es so krass, wieder hier zu sein.
Das merkt man der neuen Platte auch an.
Aber das muss dann Suggestion sein. Denn als ich die Texte dafür schrieb, spielte sich unser Leben noch in Berlin ab. Nur bei den letzten zwei Songs war die Situation schon eine andere.
Vielleicht war es die Sehnsucht?
Ja, vielleicht. Mein Leben war in den letzten sechs Jahren total getaktet. Wenn ich in Berlin war, konnte ich voll und ganz Daddy sein. Ich hatte dann Zeit, habe jeden Tag gekocht, meine Tochter von der Kita abgeholt – das volle Programm. Und wenn ich arbeiten musste, war ich entweder irgendwo bei einem Auftritt oder in Hamburg im Studio. Diese Trennung gibt es nun nicht mehr, aber bisher läuft es super.
Darum geht’s auch im Stück „Ich muss zurück“.
Ja, um diesen Moment, wo ich meiner Tochter sage: „Ich muss jetzt nach Hamburg.“ Und sie steht im Flur, weint und will mit ins Studio. Da war sie noch sehr klein. Sie ist immer noch manchmal traurig, weil sie es nicht mehr gewohnt ist, wenn ich einen Tag weg bin. Das ganze letzte Jahr war ich ja immer da. Wenn sie anfängt zu weinen, sag ich ihr: „Maus, überleg doch mal, wie das vor zwei Jahren war. Da war ich eine Woche da und eine ganze Woche weg.“ Aber das kennt sie nicht mehr. Ich versuche sie darauf vorzubereiten, dass ich viel unterwegs sein werde, sobald Corona vorbei ist.
Sie sind auf diesem Album viel persönlicher und emotionaler im Vergleich zu früher.
Das hat meine Band auch gesagt, als sie das erste Mal die Platte gehört hat.
Liegt das am Vatersein oder haben Sie das Gefühl, dass Sie nicht mehr neurotisch Ihr Privatleben verstecken müssen.
Ist das neurotisch, wenn man sein Privatleben versteckt? Als Hamburger ist das doch normal.
Sie waren früher sehr beschützend unterwegs, so zumindest mein Eindruck.
Ja, das bin ich auch. Das ist so ein Hamburger Ding. Ich bin ein Privatsphäre-Mensch. Aber diesmal habe ich es zugelassen, dass die Songs ein bisschen mehr offenbaren. Ich glaube, das kommt mit dem Alter. Je älter ich wurde, desto mehr sind die Schutzwälle aufgeweicht.
Woran machen Sie das fest?
Auf der ersten Jan-Delay-Platte gab’s gar kein Liebeslied oder ähnliches. Bei der zweiten gab’s eins, aber das habe ich gecovert, weil ich original gesagt habe: „Ich kann das Liebeslied nicht schreiben, mir ist das zu peinlich, wenn ich dann da stehe und es singe.“ Aber ich konnte „Für immer und dich“ von Rio Reiser singen – das lieb ich. Das war mir auf der Bühne dann nicht peinlich. Bei der Platte danach, schrieb ich dann sogar selber ein Liebeslied für meine Frau. Ich habe sie aber trotzdem aus allem rausgehalten. Dann kam meine Tochter, da kann man’s nicht mehr raushalten, da fragt dann jeder, und man redet auch drüber. So ging das Stück für Stück, und jetzt lege ich die Karten auf den Tisch: Das ist meine Tochter, das sind meine Eltern, da komm ich her, das ist mein Haus.
Ja, man erfährt viel darüber, wer Sie sind.
Genau. Aber das ist doch auch okay. Stellen Sie sich mal vor, es wäre andersrum gewesen, und seit der ersten Platte erzähle ich jedem von der Familie, meinem Haus, meiner Tochter, meiner Frau. Dann hätten alle gesagt: „Digger, ist gut jetzt. Wir wollen das gar nicht alles wissen.“
„Saxophon“ ist ein Lied über Ihr Aufwachsen. War das immer schon klar, dass Sie mal Künstler werden? Es hört sich nämlich so an.
Gestern wurde ich gefragt, ob das immer schon meine Träumereien waren. Nee, nee und nee. Aber mein Papa ist Musiker. Für mich war Musik schon als Kind das Größte, und wenn ich zu seinen Auftritten durfte und die Bands von meinem Vater spielen gesehen habe, war das für mich immer ein Wow. Es gibt Fotos von mir beim Soundcheck. Jeden Takt, jede Sekunde habe ich aufgesogen. Aber ich habe nie gesagt: „Später will ich das auch machen.“ Es war für mich einfach meine Sozialisation.
Beneidenswert!
Ja, ich bin auch super dankbar dafür. Ich erinnere mich daran, dass ich die einzelnen Musiker der Band jeweils auf ein Blatt Papier malte. Aber nicht wie jemand, der einen Cowboy zeichnen soll, aber eigentlich aus der Großstadt kommt, sondern wie jemand, der einen Cowboy zeichnen soll und selbst auf einer Ranch aufgewachsen ist. Ich kenne das von Pieke auf, ich kann ’ne Kuh melken, ich weiß, wie man einen Hund wieder einfängt – rein metaphorisch gesprochen. Bands umgaben mich die ganze Zeit, ich hatte eine Faszination dafür und wusste schon mit 5, wie Konzerte funktionieren. Aber wenn ich es gemalt habe, dann weil es mich beschäftigt hat und nicht weil ich irgendwann selbst mal der geile Cowboy auf dem Pferd sein wollte – oder eben der Rockstar. Denn aufgrund meines Vaters und der Freunde meines Vaters wusste ich auch, dass das kein Job ist, mit dem man Geld verdienen kann.
„Wir haben zwar keine Einbauküche, doch Papa hat ’n Saxophon“, singen Sie in dem Song.
Ich komme aus Eppendorf. Meine Eltern hatten keinen Pfennig, aber alle um mich herum hatten sehr viele Pfennige. Dass ist der krasseste Kontrast, den du als Kind haben kannst, dadurch lernst du fürs Leben. Ich war Stammgast im Kinderladen in Ottensen, einfach weil es der einzige alternative Kinderladen war, der kein Geld gekostet hat. Da war ich unter meinesgleichen. Da waren nur Kinder von linken Eltern, die kein Geld hatten. Wäre ich mit denen auch noch auf dieselbe Schule gegangen oder hätte dort gelebt, hätte mich dieser Ehrgeiz nie ereilt.
Der Groschen fiel bei Ihnen also früh.
Ja, so nach dem Motto: Die anderen haben Geld, wie geht das, wie kriegt man das, wofür braucht man das? Ich hatte die beste Kindheit überhaupt, das war alles super. Aber etwas hat mich am Armsein immer geärgert. Mir war früh klar: Wenn ich groß bin, dann möchte ich einen Job haben, indem ich so viel Geld verdiene, dass ich in den Urlaub fahren kann, wohin ich will. Ich habe mich immer so danach gesehnt, mal schön wegzufahren, und das ging halt nicht. Das war mein größter Traum.
Manchmal träumt man, und wenn man sich den Wunsch dann erfüllen könnte, tut man es doch nicht.
Doch, ich habe mir den Traum erfüllt, ich hab’s durchgezogen. Aber ich gebe zu, wenn ich vergleiche, wie viele Turnschuhe ich mir gekauft und wie viele geile Reisen ich gemacht habe, dann gibt das ein anderes Bild.
Wo waren Sie denn überall?
Das ging immer in Etappen. Wenn ich gemerkt habe: Okay, ein Fernflug ist gar nicht so schlimm, und die Welt ist eigentlich ein Dorf, dann habe ich es gleich im nächsten Jahr noch mal gemacht. Erst war es Thailand, dann Hawaii. Nach Hawaii bist du länger als 24 Stunden unterwegs. Und ich flieg nun mal nicht gern. Mit Zwischenstopp in New York ging es. Meine Eltern habe ich natürlich dazu eingeladen.
Erkennen Ihre Eltern sich in Ihrer Musik wieder?
Ja, schon. Ich zeige denen normalerweise nie vorher die Songs. Aber „Saxophon“ habe ich ihnen sofort in einer Mail geschickt mit dem Hinweis: „Hört euch das sofort an.“ Ich glaube, sie waren gerührt. Aber so genau weiß ich’s nicht, ich war beim Hören ja nicht dabei.
Offensichtlich wurden Sie von Ihren Eltern „Süßer“ genannt.
Ja, manchmal auch Schnucki, aber eigentlich Süßer und Janni.
Im Song „Tür’n Knall’n“ geht es um Ehekrach. Müssen wir uns Sorgen machen?
Das eine gehört doch zum anderen dazu. Wenn das Herz hoch hüpft, dann kann es auch tief fallen.
Kann man mit Ihnen gut streiten?
Nee, Streiten ist ja nie gut. Aber manchmal ist Streit leider notwendig, damit einmal durchgelüftet wird. Das ist wichtig, besonders auch in Corona-Zeiten. Dann gibt es mal ein Erdbeben, alle Möbel fallen um, dann muss man alles wieder hinstellen, aufräumen und putzen – zusammen natürlich. Und es vielleicht auch mal wieder ein bisschen anders ordnen, damit alles nicht immer so gleich ist. Dafür ist Streit gut. Gestern meinte jemand zu mir, er würde so was gar nicht kennen. Wie kann man das nicht kennen? Ich will niemandem zu nahe treten, aber eine Beziehung, in der man sich noch nie so gestritten hat, dass jemand die Türen zugehauen hat, ist doch komisch.
Wie ist es mit dem Entschuldigen danach?
Es ist nicht ganz einfach, weil die Tür aufgrund des Streits natürlich viel fester zu ist. Es ist auf jeden Fall schwieriger, als wenn man sich für etwas Profaneres entschuldigt, wo dem Ganzen keine Beziehung zu Grunde liegt. Da ist die Angst, dass die Entschuldigung nicht gleich angenommen wird, schlimmer noch, dass es gleich in den nächsten Streit mündet. Das passiert schnell mal bei solchen Entschuldigungsformaten. Aber es muss getan werden, und ich glaube, ich kann das gut.
Wo Sie doch einen Song namens „Lächeln“ auf der Platte haben: Können Sie fremden Leuten ins Gesicht lächeln oder gewöhnt man sich das als Popstar eher ab?
Sie meinen ein Fake-Smile? Das kann ich. Leute, die mich sehr gut kennen wie meine Mutter oder mein bester Freund, erkennen das sofort. Andere nicht, denn man ist ja auch professionell und ein bisschen erfahren. Man hat gelernt, auch mal gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich ein aufgesetztes Lächeln rangezüchtet.
Da macht es natürlich Sinn, dass Sie ein Lied über den „Wassermann“ singen. Die sollen ja schwer einzuschätzen sein.
Wassermann bin ich nicht nur in Hamburg, sondern auch vom Sternzeichen, und zwar volles Brett. Das weiß aber kaum einer. Denn alle Geburtsdaten, die es im Internet von mir gibt, sind falsch. Ich habe auf jeder Plattform ein anderes Datum, und das mit voller Absicht. Ich krieg dann immer zwei, drei Mal im Jahr nette Glückwünsche, was schön ist. Mittlerweile ist es mir aber auch unangenehm, wenn ich immer wieder sagen muss: „Sorry, ich hab gar nicht Geburtstag.“ Deshalb scheiß ich auch da jetzt drauf, höre mit diesen Neurosen und dem Verbergungsquatsch auf und entspann mich mal.
Bei einem Clubhouse-Event sagten Sie neulich: „Rap ist Sport.“ Trainieren Sie den Muskel?
Ja, muss, muss! Wenn ich krass trainiere, ist das wirklich wie Sport: aufstehen, eine Zeit festlegen und zehn bis 20 Minuten freestylen am Stück – ohne Pause, ohne Ausreden, jeden Tag. (gibt Kostprobe) „Ja, jetzt sitz ich hier, will meinen Joint fertig rollen, hab danach Bock abzuprollen, kann die Maske nicht abnehmen, deshalb ihn nicht zudrehen...“ Am besten mache ich einen Beat dazu an, weil ich dann noch mehr dazu gezwungen bin, mir die ganze Zeit im Takt Reime auszudenken. So war das früher schon. Durch das Freestylen werden die grauen Zellen angeregt.
Und wenn Sie zwei Jahre nicht rappen...
...dann roste ich ein. Was mir allerdings noch mehr hilft, um in Form zu bleiben, ist das tägliche Schreiben – und wenn’s nur ’ne halbe Stunde ist. Da muss nicht mal eine Strophe bei rauskommen - bei mir in ’ner halben Stunde sowieso nicht. Es geht einfach nur ums Machen. Wie beim Sport.
Haben Sie eine Lieblingszeile auf diesem Album?
Die ist von „Eule“: „Jedes Kind, das weiß doch, in der Ruhe liegt die Kraft, und der allerbeste Treibstoff, ist die Energie der Nacht.“ Aber es gibt einige Zeilen, auf die ich stolz bin. Eine, die mir sofort in den Kopf kommt, ist von „Nicht nach Hause“, weil ich sie einfach so sehr liebe: „Aber du willst los, unbedingt, weil du morgen viel zu tun hast, ich zucke mit den Schultern mache Hundeblick, und entferne mich mit einem Moonwalk.“ Und „Die Rockplatte, auf die keiner Bock hatte“ mag ich auch sehr. Aber ich liebe auch die Zeile von Dennis (von den Beginnern, Anm. d. Red.): „Mir egal, was ihr dagegen habt, wer sagt, ich hab was gegen Ausländer? Kann nicht sein, mein bester Freund kommt aus Dänemark.“
Das Album streift viele Genres wie Disco, Trap, Reggae, Ska und Elektro. Ist das noch HipHop?
Nee, aber das war es bei Jan Delay ja noch nie. Deshalb habe ich Jan Delay überhaupt erschaffen so wie auch damals La Boom. Ich kreierte diese verschiedenen Aliasse, damit ich auch Musik machen kann, die kein HipHop sein muss, die kein HipHop sein will, und wo ich einfach das tue, worauf ich Bock habe – denn früher waren Genres ja noch viel wichtiger. Heute ist das echt eine Traumwelt für mich, meine Utopie!
Inwiefern?
Wir haben früher immer auf den Sack gekriegt, so von wegen: Ihr macht keinen echten HipHop, denn ihr habt Melodien und Gitarren usw. Und jetzt auf einmal leben wir in dieser Welt, wo es keine Genres mehr gibt, nur gute und schlechte Musik. Und jeder hört alles. Das ist so toll! Das ist genau das, was ich mir immer gewünscht habe. Deshalb sind die Namen Jan Delay und Eizi Eiz jetzt fast schon obsolet. Und es ist vollkommen egal, ob das noch HipHop ist oder schon HipHop ist.
Welches Statement wollen Sie mit dem Album abgeben?
(zitiert die Single „Intro“) „Es sind finstere Zeiten, aber das muss gar nicht sein. Lass uns die Wolken vertreiben, ich hab Sonne dabei.“ Ich fand die Zeiten vor Corona schon finster, ich hab tierische Angst gehabt vor der Naturkatastrophen-Bedrohung und dem Klimawandel, vor dem riesigen Rechtsruck überall auf der Welt, vor Trump als Präsident, vor all diesen abstrakten Dingen, die man sich zehn Jahre vorher nie hätte träumen lassen. Ich wollte aber unbedingt eine positive Platte machen: kein Mittelfinger, kein Runterziehen, kein Meckern, kein Jammern – nur gute Vibes.
Wobei Sie schon den einen oder anderen Seitenhieb verteilen.
Ich kann diese Ängste und diese Scheißthemen nicht untern Teppich kehren, also keine Schlager-Gute-Vibes-Platte machen, so nach dem Motto: Hey, der Himmel ist blau, die Sonne ist gelb. Ich wollte diese Themen trotzdem anschneiden, weil sie mir wichtig sind, aber immer so, dass man noch ein Lächeln auf den Lippen hat. Es sollte eine Feelgood-Music-Platte werden, die sich dessen bewusst ist, was alles Scheiße läuft. Aber durch das tanzen, feiern, hören und sich freuen so viel Kraft und Energie gibt, dass man diese Scheiß-Sachen angehen kann – so blöd sich das auch anhört. Denn wir müssen es angehen, das ist einfach so, sonst sind wir bald alle nicht mehr da. Und es müssen auch alle mitmachen. Da wollte ich meinen kleinen bescheidenen Beitrag dazu leisten.
Ob Corona-Afterpartys dem Umweltproblem zuträglich sind?
Wir sind auf jeden Fall schon wieder da, wo die Schadstoffe und Emissionen die Prä-Corona-Werte übersteigen. Es gab also nur ein kurzes Fenster, in der die Umwelt etwas geschont wurde. Klar muss man die Platte auch laut hören. Aber das, was dann das Feiern und das Lauthören und die Good-Vibe-Music mit dir macht und die Befriedigung, die es dir gibt, ist einfach nicht zu unterschätzen. Das gibt sehr viel Power. Und genau das ist es, was wir brauchen, um aus dieser ganzen Scheiße wieder rauszukommen. Egal, ob es der Klimawandel ist, der Rechtsruck oder Corona und die Kollateralschäden.
Hat Corona den Rechtsruck noch verstärkt oder ist er nur sichtbarer geworden?
Corona hat es geschafft, bestimmte Phänomene und Strömungen unserer Zeit noch schneller voran zu treiben, aber nicht unbedingt den Rechtsruck. Extrem vorangetrieben hat es diesen beängstigenden Trend, dass Menschen isoliert sind, sich alles immer mehr singuliert und vereinzelt, jeder sein Ding macht, und es immer weniger Gemeinschaftssachen gibt. Das finde ich sehr schade. Man geht nicht mehr in die City zum Shoppen, sondern bestellt sich seine Klamotten nach Hause. Man geht nicht mehr auswärts essen, sondern lässt sich sein Essen kommen. Man trifft sich nicht mehr mit Leuten, sondern hält eine Konferenz im Internet ab. All diese Dinge gab’s ja schon vorher, und die Jüngeren wachsen damit auf. Doch für die Älteren ist es befremdlich. Wenn man sich die Entwicklung des Versandhandels ansieht, könnte man fast meinen, Jeff Bezos (Amazon-Gründer, Anm. d. Red.) hat sich das alles ausgedacht. Aber ich hoffe, es gibt einen Weg zurück aus der Isolation. Aber der wird schwer.
Mit „Alexa“ haben Sie einen Song über Künstliche Intelligenz gemacht. Nutzen Sie die?
Nee, weil ich davor viel zu viel Schiss habe. Wer Alexa zu Hause stehen hat, hat kein Privatleben mehr. Jeder sollte sich schon bewusst machen, wen er in sein Haus lässt. Aber ich habe darüber nachgedacht, mir so ’nen Staubsauger zu holen, der durch die Wohnung fährt. Ich hab ja einen Hund, da hört das mit dem Saugen nie auf. So ein Gerät würde ich allerdings noch nicht unter Künstliche Intelligenz verbuchen. Da traue ich mir noch zu, das Ding unter Kontrolle zu behalten.
Im vergangenen Jahr haben Sie Ihren Führerschein gemacht. Sind Sie jetzt Auto-Fan?
Ich bin kein Auto-Fan, sondern Autofahren-Fan. Ich mache mir nichts aus Autos. Ich habe jetzt trotzdem eins, einen Mercedes-Hybrid. Ich hätte mir am liebsten ein E-Auto geholt. Ich hatte es ausprobiert. In Hamburg funktionierte das, aber in Berlin war es eine absolute Katastrophe, was das E-Tanken betrifft. Ich hoffe, dass das in ein paar Jahren anders ist. Meine Einstellung zu Autos hat das aber nur bedingt geändert. Sie sind mir immer noch suspekt und unsympathisch. Denn Autos sind Waffen. Das ist Gift, das ist nun mal so. Ich liebe Fahrräder, Fahrräder sind schön. Die tun niemandem weh, die bringen niemanden um, und die lassen die Natur in Ruhe.
Einer Ihrer Neujahrsvorsätze war, einparken zu lernen. Haben Sie den schon umgesetzt?
Nee. Ich muss noch bei DJ Mad (Mitglied der Beginner, Anm. d. Red.) Nachhilfe nehmen. Der kann das am besten, der kennt mich gut, der kann gut mit mir umgehen, und der wird mein Lehrer sein. Wir sind eh Nachbarn. DJ Mad soll es richten.