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Ammelie und Dirk // © vvg

Ammelie und Dirk Eine Uniform und 40 Kleider

vvg - 15.11.2015 - 10:00 Uhr

Dirk, wie bekommst du den Spagat zwischen der maskulinen Rolle als Schütze und der femininen Ammelie hin?
Wenn ich Ammelie werde, ist das ein Prozess: Man zieht sich um, schminkt sich, setzt sich die Frisur auf und wird zu einer komplett selbständigen Persönlichkeit. Sie würde nie im Schützenverein mitmachen. Deswegen klappt das mit dem Spagat, beides sind getrennte Persönlichkeiten.

An welchem Punkt befindet sich in einer Skala von 0 (Schütze) bis 10 (Ammelie) die Person Dirk?
Sagen wir mal bei 5,5. Das Schützenwesen hat viel Interessantes: die Strukturen, die Regeln, das Gleich-unter-Gleichen-Sein. Deswegen auch die Uniform. Bei Ammelie ist es das Herausstechende, der Paradiesvogel, das Spannende. Deswegen liege ich so ca. genau in der Mitte.

Machen wir mal einen Vergleich zwischen der roten Perücke und dem grünen Filzhut: Was machst du als Schütze, was als Ammelie?
Ich habe damals wegen des Beschlusses des Bundes der historischen Schützenbruderschaft, der nur einer von vielen Schützenverbänden ist, die „Afra-Schützen“ gegründet. Der Beschluss besagte, dass der Partner eines schwulen Schützenkönigs nicht neben seinem Mann in der Parade auftreten durfte. Ich bin seit 30 Jahren aktiv Schütze und mein Ziel war es, das Schützenleben aufzulockern. Wenn ich nun sehe, dass sogar der Bund der historischen SBS nach vier Jahren harter Arbeit darüber nachdenkt, dass schwule Könige auch offiziell Könige sein dürfen, haben wir doch schon viel bewirkt. Als Ammelie macht es mir Spaß, auf der Bühne zu stehen und die Leute zu unterhalten, sie zum Lachen zu bringen. Früher habe ich den Spruch „Das Brot des Künstlers ist Applaus“ immer für Unsinn gehalten, bis ich selbst auf der Bühne stand. Wenn man merkt, dass man einen Raum mit über hundert Leuten auf Kommando zum Lachen bringen kann, ist das ein unglaubliches Gefühl. Und wenn man dann noch Applaus erntet, ist das Wahnsinn. Ich bin ja seit 20 Jahren im Kultur-Schock zu Hause, trete aber auch auf Galas, Geburtstagen usw. auf. Böse Zungen behaupten, ich wäre bei jeder Eröffnung dabei, selbst wenn es ein Briefumschlag ist.

Was brauchst du als Schütze, was als Ammelie – außer schönen Kleidern?
Als Schütze eine ruhige Hand, um das Ziel zu treffen. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung hat Schießen im Schützenverein nichts mit Ballerei zu tun. Schießen ist der einzige olympische Sport, bei dem es drauf ankommt, sich nicht zu bewegen, sondern ruhig zu werden. Wir trainieren, sogar den Pulsschlag runterzufahren. Bei Ammelie ist das Gegenteil der Fall: Da heißt es Aufdrehen, Gas geben und eine gute Show abliefern. Ich brauche aber in beiden Fällen ein gutes Auge: beim Schießen den genauen Blick, um ins Schwarze zu treffen, für die Bühne ein wachsames Auge, zum Leute Beobachten. Humor ist Beobachtung des Alltags.

Wofür gibst du mehr Geld aus?
Ammelie braucht gute Fummel, schöne Perücken und viel Schminke; das läppert sich zusammen. Wir bekommen im Kultur-Schock weder Gage noch Zuschuss für Kostüme. Das finanzieren wir alles selber. Im Schützenverein legen wir dafür gerne mal zusammen, wenn jemand weniger Geld zur Verfügung hat; wir sind ja eine Bruderschaft. Ein Gewehr wird vom Verein gestellt und eine Uniform ist auch kein Muss. Bei Umzügen reichen eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, und so etwas sollte eigentlich jeder in seinem Schrank hängen haben.

Haben die Beiden überhaupt Gemeinsamkeiten?
Wenn ich auf der Bühne von Erlebnissen erzähle, ist da immer viel Wahrheit dabei, was mir das Publikum nicht glaubt. Und wenn ich im Schützenumfeld unterwegs bin und erzähle, dass ich in 8-cm-Hacken auf der Bühne stehe, glaubt man mir das auch nicht. Da ist der Überraschungsmoment immer groß, wenn man feststellt, dass beide Welten sehr wohl zusammenpassen und auch funktionieren.

In welcher Rolle wird mehr von dir erwartet?
Auf der Bühne wird erwartet, dass man die Leute unterhält, lustig und gut gelaunt ist und Spaß verbreitet. Im Schützenverein wird erwartet, dass man gute Ergebnisse erzielt und die Gruppe zusammenhält. Bevor ich auf die Bühne gehe, ist der Druck größer; da habe ich immer Lampenfieber. Nicht so bei den Schützen, da geht es ja darum, zur Ruhe zu kommen.

Musst du als Schütze spießiger sein?
Im Gegenteil; ich habe erlebt, dass die Schützen wesentlich lockerer drauf sind. Wir bekommen viel positives Feedback, sogar aus dem Ausland. Beleidigungen und Hass-Mails kommen komischerweise leider immer aus der Szene; natürlich anonym.

Dein privater Name erinnert an das „Dirk Bach Haus“. Wofür engagierst du dich?
Für viele Dinge: Mein Schwerpunkt liegt im Moment bei der Flüchtlingshilfe. Ich sorge mithilfe von Freifunk dafür, dass diese kostenlos Internet bekommen. Mit dem Stadtverband der Schützen habe ich eine Spielzeugsammlung initiiert und die erste große LKW-Ladung schon losgeschickt. Außerdem engagiere ich mich politisch: Das heißt, wenn ich etwas geändert haben will, muss ich mich selber dabei beteiligen und nicht darauf hoffen, dass andere es für mich tun.

Der Nachname von Ammelie ist eine Aufforderung, sich kurz zu fassen. Dann mach das mal: Was stört dich an der Szene?
Die Szene im eigentlichen Sinne gibt es ja nicht mehr. Ziel der Szene oder der Bewegung war immer die Selbstauflösung, denn wenn wir die vollständige Gleichstellung erreicht haben, brauchen wir vieles nicht mehr. Was mich in der letzten Zeit ärgert, ist, dass manche Institutionen eher darauf aus sind, Gründe zu finden, um weiter existieren zu können. Theoretisch ist deren Arbeit doch getan und sie könnten sich auflösen.

Hast du da ein Feindbild?
Mich ärgert, wenn Dinge entpolitisiert und dafür kommerzialisiert werden. Und dass einerseits fast alle mitmachen, sich andererseits aber darüber aufregen.

Was macht Dirk Bachhausen eigentlich ganz privat?
Ich sitze zu Hause in meinem kleinen spießigen Rheingarten im Kölner Norden, kümmere mich um meinen Hund sowie meinen Mann Matthias und verkaufe beruflich Maßanzüge.
 

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Ammelie und Dirk im Oktober 2015 geführt.

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